Rezension über:

Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft SIK-ISEA / Karoline Beltinger (Hgg.): Kunsttechnologische Forschungen zur Malerei von Cuno Amiet 1883-1914, Zürich: Verlag Scheidegger & Spiess 2015, 144 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-85881-448-7, EUR 77,00
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Rezension von:
Kathrin Borgers
Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Jessica Petraccaro-Goertsches
Empfohlene Zitierweise:
Kathrin Borgers: Rezension von: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft SIK-ISEA / Karoline Beltinger (Hgg.): Kunsttechnologische Forschungen zur Malerei von Cuno Amiet 1883-1914, Zürich: Verlag Scheidegger & Spiess 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 7/8 [15.07.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/07/27847.html


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Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft SIK-ISEA / Karoline Beltinger (Hgg.): Kunsttechnologische Forschungen zur Malerei von Cuno Amiet 1883-1914

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Karoline Beltinger arbeitet in ihrer umfangreichen und sehr gut recherchierten Publikation zur Maltechnik Cuno Amiets mehrere Themenkomplexe auf, die die Reflexion von Materialgebrauch und -verwendung Amiets und einiger seiner Schweizer Malerkollegen verdeutlicht. Innerhalb der Reihe Kunst Material bildet die Publikation den dritten Teil, und schließt direkt an die kunsttechnologischen Forschungen zur Malerei von Ferdinand Hodler an. [1] Mit Cuno Amiet (1868-1961) widmet sich Karoline Beltinger (unter Mitarbeit von Ester S. B. Ferreira und Karin Wyss) einem Künstler, der im Schatten von zeitgenössischen Kollegen wie Giacometti, Bonnard und Gauguin steht. Im Wechselspiel zwischen der Auswertung historischen Quellenmaterials aus dem Nachlass des Künstlers und kunsttechnologischen Untersuchungsmethoden erzielt die Autorin eine kenntnisreiche Verflechtung von Theorie und Praxis der Maltechnik um 1900. Dabei eröffnet Beltinger, ausgehend vom Œuvre Cuno Amiets, eine Perspektive auf die Verwendung von Malmaterialien und Techniken, insbesondere der Temperamalerei des 19. und 20. Jahrhunderts in der Schweiz. Innerhalb der Zeitspanne von 1883 bis 1914 werden die von Amiet verwendeten Materialien in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Quellengeschichte und Kunsttechnologie anhand einer Auswahl seines Frühwerkes untersucht.

Beltinger beginnt mit einem Kapitel über die Vielfalt und Verfügbarkeit der Künstlermaterialien, die um 1900 in München, Paris und in der Schweiz vorherrschten, und behandelt dabei sehr detailliert die kritische Reaktion der Künstler auf die industriell hergestellten Malfarben, Grundierungen und Firnisse. Ausgangspunkt hierfür ist vor allem der 2000 publizierte, rege Briefwechsel von Amiet und Giacometti. [2] Eine sorgfältige Auflistung mit den vom Künstler verwendeten Bildträgern und dessen Grundierungen, um die es im zweiten und dritten Kapitel geht, lässt erkennen, dass Amiet den Hauptteil seiner Werke auf textilen Bildträgern anfertigte. Seltener fanden sich Karton und Holzträger sowie das zu dieser Zeit neu auf den Markt gelangte Eternit. Der Einfluss der avantgardistischen Künstler um Gauguin, die Amiet in seiner Zeit in Pont-Aven kennenlernte, zeigt sich in seiner Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Diskurs des mageren Malgrundes. Hatte er noch in seiner Akademiezeit mit der Ölmalerei auf nicht absorbierendem, industriell vorpräpariertem Grund zu malen begonnen, ging er nun dazu über, seine Grundierung selbst anzumischen und aufzutragen. Trotz einiger Ausnahmen, bleiben die selbst zubereiteten Malgründe seine bevorzugte Arbeitsweise, die er sowohl für Tempera- als auch für Ölmalerei verwandte.

Im anschließenden Kapitel wird die Temperamalerei, die im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Schweiz aufkommt, beleuchtet, deren Popularität sich schon im Laufe des ausgehenden 18. Jahrhunderts in diversen Schriften manifestierte. Die Vorzüge der Technik äußerten sich durch die schnelle Trocknung, die Leuchtkraft der Farben und ihre dauerhafte Haltbarkeit. Daneben gab es jedoch auch Unwägbarkeiten, wie die Veränderung des Kolorits bei Trocknung und Firnisauftrag. Zudem sind die Gestaltung weicher Übergänge, Verblendungen von nassen Farbschichten und der Effekt von Tiefenwirkung nur schwer mit der Temperamalerei zu erzielen. Dennoch, so zeigt Beltinger mithilfe sorgfältig ausgewerteter Quellen, hat dies die Künstler nicht davon abgehalten, sich rege mit der Technik auseinanderzusetzen. Neben diversen Briefwechseln äußert sich dies auch in der überlieferten Literatur, in der sich kunsttechnologische Traktate, wie die von Theophilus Presbyter und Cennino Cennini, sowie neu publizierte Schriften zur Temperamalerei finden (39-41). Zur Hinwendung zur Temperamalerei führte vor allem die Frustration über die schlechte Qualität der im Handel erwerblichen Ölfarben und das zunehmende Interesse an der Technik der alten Meister. Die überlieferten Briefe vermitteln jedoch auch einen Eindruck von der schwierigen Umsetzung der Technik, die nicht nur von Amiet, sondern auch von seinen Künstlerkollegen beklagt wird.

Dass die Technik dennoch zu seinem bevorzugten Malmittel wird, stellt Beltinger durch technologische Analysen überzeugend heraus. Die Überlieferung zweier Treffen von Amiet und Giacometti 1902 und 1903 geben Auskunft darüber, dass beide Künstler (wohl zum Zweck der Optimierung der eigenen Technik) in den Besitz einer Rezeptkompilation für Bindemittel der Temperafarbe von Hermann Urban gekommen waren (58-60). Eine Abschrift der Rezepte ist ebenfalls im Anhang der Publikation abgebildet und transkribiert. Welche Zusammensetzungen Amiet tatsächlich nutzte, ist durch eine tabellarische Übersicht über die untersuchten Gemälde mit Angaben zu Träger, Bindemittel, Quellen, Analysemethoden und Temperasorte für den Leser übersichtlich gegenübergestellt.

Den großen Wandel, der ab 1904 dazu führt, dass Amiet sich von der Temperafarbe abwandte, gründet Beltinger auf den Sammler des amietschen Œuvres und Unterstützer des Künstlers, Oscar Miller, der zunehmend Haftungsschwierigkeiten der Farbe auf seinen Bildern beklagt. Dies hatte vermutlich zur Folge, dass Amiet wieder begann, in Öl zu malen.

Auf die entwicklungsgeschichtlichen Kapitel des Buches folgt ein Überblick über die stilistische Bandbreite Amiets, die durch viele Detailabbildungen zu Unterzeichnung, Übertragungshilfen, Farbuntergründen, Untermalungen und Farbaufträgen visualisiert werden. Um mit den Worten der Autorin zu sprechen: "der Pluralismus der Stile [findet] eine direkte Entsprechung im Spektrum und in der Heterogenität der von ihm angewandten Techniken." (72)

Mit den jüngsten Forschungsergebnissen zu den Schadensbildern im Alterungsprozess beschließt Beltinger den Band. Neben Veränderungen des Pigmentkolorits, sind bei Amiets Gemälden häufig poröse Farbschichten festzustellen, die durch die geringe Sättigung von Amiets Grundierungen ausgelöst wurden. Insgesamt sind die auftretenden Schäden, wie die Autorin herausstellt, erst in ihren Anfängen erfasst. Die vorliegende Publikation bildet somit eine erste Untersuchungsgrundlage für die weitere Erforschung des Œuvres Amiets.

Die Publikation überzeugt vor allem durch den Facettenreichtum, die Materialfülle und die zahlreichen Forschungsergebnisse zur Maltechnik und deren künstlerischen Diskurs um 1900. Besonders aufschlussreich sind die angehängten Materialien aus dem Nachlass Amiets, wie das Notizbüchlein (1902-1905), in dem er zu seinen einzelnen Bildern kleine Zeichnungen sowie Anmerkungen zu Material und Technik vermerkte. Auch die Rezeptkompilation von Hermann Urban sowie die Auflistung der von Amiet verwendeten maltechnischen Literatur geben Aufschluss über die damalige Auseinandersetzung mit der Temperamalerei. Diese ist für die Einschätzung seiner Kenntnisse über Wirkung und Anwendung der neuen Techniken sehr interessant. Der vorliegende Band gibt einen gut aufgearbeiteten Überblick über die um 1900 diskutierten Techniken der Malerei in der Schweiz. Neben den formalen Erkenntnissen auf kunsttechnologischer Ebene zum Erhalt und zur Technik der Bilder, eröffnet die Publikation auch spannende Anknüpfungspunkte für kunsthistorische Forschungen zu Cuno Amiet.


Anmerkungen:

[1] Karoline Beltinger (Hg.): Kunsttechnologische Forschungen zur Malerei von Ferdinand Hodler, Zürich 2007.

[2] Viola Radlach (Hg.): Giovanni Giacometti. Briefwechsel, Zürich 2000.

Kathrin Borgers