Guillebert De Mets: Description de la ville de Paris 1434. Medieval French text with English translation by Evelyn Mullally (= Textes vernaculaires du Moyen Âge; Vol. 14), Turnhout: Brepols 2015, 180 S., ISBN 978-2-503-55496-9, EUR 65,00
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Paris fasziniert - heute wie in früheren Jahrhunderten. So verwundert es wenig, dass bereits im Mittelalter die Stadt vielfach in literarischen und anderen Zeugnissen thematisiert wurde. Aus dem Spätmittelalter sind uns mehrere Stadtbeschreibungen erhalten: Der Tractatus de laudibus Parisius des Jean de Jandun aus dem 14. Jahrhundert in lateinischer Prosa, die lateinische Versdichtung des Antonio d'Asti von 1451 und die altfranzösische Description des Guillebert De Mets, die zwischen 1407 und 1434 in mehreren Schritten entstand. Evelyn Mullally hat sie zum ersten Mal seit 1867 ediert, mit einer englischen Übersetzung versehen und kommentiert.
Der Autor ist recht gut nachweisbar: Guillebert De Mets stammte aus Flandern und gehörte zum Umfeld der Herzöge von Burgund. Frühere Zuweisungen "de Metz" treffen nicht zu, der Name ist flämisch. Politische Geschehnisse der Gegenwart notiert er nicht, auch die Ermordung seines Gönners Herzog Johann Ohnefurcht findet keine Erwähnung. Er bezeugt selbst die Entstehung der Description in mehreren Etappen. In Geraardsbergen war Guillebert über lange Jahre als Rat in der Verwaltung seiner Stadt tätig. Mehrere Handschriften, die erst Johann Ohnefurcht und dann dessen Nachfolger Herzog Philipp dem Kühnen von Burgund gewidmet wurden, sind von ihm geschrieben worden, so auch diejenige, die seine Beschreibung der Stadt Paris enthält. Wir haben es also mit einem recht genau datierten Autograph zu tun.
Im Kontext der überlieferten Handschrift hat Guillebert einen Anhang verfasst. Im ersten Teil, der die Geschichte Frankreichs, die Ursprünge der Stadt Paris und die besondere Würde der französischen Könige thematisiert, kompiliert Guillebert aus der Übersetzung von Augustinus' De civitate Dei des Raoul de Presles, die erläuternde Einschübe enthält. Eine weitere Vorlage ist A toute la Chevalerie von Jean de Montreuil, einem Autor, der durch seine Parteinahme im Streit um den Rosenroman bekannt ist. Das Dossier zum Rosenroman, von Guillebert selbst abgeschrieben, findet sich in der Handschrift Brüssel, Bibliothèque royale de Belgique MS 9559-9564, an deren Ende die Description de la ville de Paris beigefügt ist. Für die Aufzählung der Straßennamen dürfte sich Guillebert auf die Londoner Fassung des Dit des rues de Paris beziehen.
Muttersprache unseres Autors war wohl Flämisch, sein Französisch ist aber auf der Höhe der Zeit. Kleinere Wallonismen verraten seine Herkunft (zur Sprache des Autors vgl. die Einleitung, speziell 28-31). Ungeklärt ist, was er in Paris eigentlich getan hat, wie oft und wie lange er dort war. Seine Ortskenntnis aus eigener Anschauung steht aber außer Zweifel.
Die zweisprachige Ausgabe (54-109) bietet viele reizvolle Details, auch wenn Guillebert selbst deutlich macht, dass er im ersten Teil zunächst aus Raoul de Presles, Jean de Montreuil und anderen Quellen kompiliert. Die Herkunft der Franken erläutert er mit der bekannten Trojanersage, die seit dem Frühmittelalter im Umlauf war. Hier widersprechen sich verschiedene Versionen im Detail, die Guillebert wie ein Enzyklopädist nebeneinanderstellt. Die Namen Lutetia und Paris werden als sprechende Namen erklärt, die einmal im Lateinischen und einmal im Griechischen einen besonders fruchtbaren Boden bezeichnen. Die Geschichte der Franken wird mit der Geschichte des spätrömischen Reiches synchronisiert, so dass der mythische erste König Pharamundus in die Regierungszeit des Kaisers Honorius um 400 eingeordnet wird. Die Geschichte Galliens, der Franken und Frankreichs wird zur bekannten Erfolgsgeschichte der französischen Krone in der Abfolge der drei Dynastien der Merowinger, Karolinger und Kapetinger weitergeführt, wobei Julius Caesar als gewichtiger Zeuge angerufen wird. Auch wenn Tribute an Rom gezahlt wurden, sei doch Paris nie von Caesar oder einem anderen Herrscher erobert worden. Die französischen Könige sind durch die Salbung mit dem Himmelsöl den anderen europäischen Herrschern überlegen. Nur sie können Krankheiten heilen, nur sie können vom Altar in Saint-Denis die Oriflamme aufnehmen, wie es schon Karl der Große getan habe. Dieser erste Teil ist inhaltlich nicht originell, aber vor dem zeithistorischen Hintergrund (Paris war im Hundertjährigen Krieg englisch besetzt) vielleicht doch politisch aufgeladener, als die Editorin meint.
Der zweite Teil ist dem zeitgenössischen Paris selbst gewidmet. Zunächst wird die Ile de la Cité beschrieben, natürlich mit der ehrwürdigen Kathedrale Notre-Dame im Zentrum. Allein auf der Cité standen 15 Pfarrkirchen, die einzeln aufgezählt werden. In der Sainte-Chapelle wurde nicht nur die Dornenkrone, sondern auch eine Greifenkralle aufbewahrt. Die Brücken werden mit ihren unterschiedlichen Merkmalen buchstäblich abgeschritten. Als nächstes wird die Rive gauche beschrieben, die Seite der Universität. Reizvoll ist, dass Guillebert sowohl die Sakraltopographie und zum Beispiel die bedeutende Krypta von Sainte-Geneviève mit den Gräbern Chlodwigs, Chrodechildes und der heiligen Genovefa beschreibt, dann aber auch den Lebensmittelmarkt auf der Place Maubert würdigt. Die Straßen der Stadt werden aufgezählt und addiert (es sind zusammen genau 310). Auf der Rive droite standen auch im 15. Jahrhundert schon imposante Bauten reicher Privatleute. Kapitel 25 (96/97) beschreibt das Haus des Jacques Dussy in der rue des Prouvaires und die Inneneinrichtung der einzelnen Räume, so dass die Herausgeberin sich mit Recht fragt, woher Guillebert seine Informationen hatte und wie er es gegebenenfalls dazu gebracht hat, hier Zugang zu bekommen. Die Couture Sainte-Catherine (heute Place du marché Sainte-Catherine) war ein umzäuntes Gelände, um Kämpfe zu trainieren. Der Bois de Vincennes im Südosten der Stadt war ebenso wie die Stadt mit einer Mauer umgeben. Auch wo Prostituierte zu finden waren, ist Guillebert nicht entgangen. Er fasst zusammen: Paris habe mehr als 4000 Weintavernen, über 80.000 Bettler und mehr als 60.000 Lohnschreiber. In jeder Woche würden in der Stadt 3.000 Schafe verzehrt und täglich 700 Fässer Wein verkauft. Die Angabe, bei einer Seuche seien 1418 allein im Hôtel-Dieu über 30.000 Menschen gestorben, lässt sich aus der sonstigen Überlieferung zwar falsifizieren, aber der Bericht des Guillebert ist ansonsten zuverlässig, sehr lebendig und spart nicht an Details.
Das Französisch ist frei von Manierismen oder allzu dunklen Wendungen. Eine zweisprachige Ausgabe ist dennoch zu begrüßen. Bei der Übersetzung ins Englische stellt sich natürlich die Frage, ob Chlodwigs Kampf gegen die Alemannen, hier den "roy d'Alemaigne", tatsächlich ohne weiteres mit "the king of Germany" wiedergegeben werden kann - die Vorlage des 15. Jahrhunderts lässt mehrere Deutungen zu, die Übersetzung muss eine Entscheidung treffen. Bei den Eroberungen Karls des Großen sind unter anderem die "Abrodiciens" aufgezählt (Kapitel 15, 76). Die Übersetzerin schlägt die Allobrogen vor; im Kontext von Schwaben, Serben und anderen Völkern, die Karl besiegt habe, sind die Abodriten wohl wahrscheinlicher. In der Anmerkung zu Kapitel 29 ist Ludwig V. von Westfranken/Frankreich (986-987) mit Ludwig VI. (1108-1137) verwechselt worden (160), wahrscheinlich aufgrund eines bloßen Tippfehlers, der sich allerdings bis ins Register fortsetzt. Auf derselben Seite wird im Einklang mit Guillebert und der dionysischen Tradition behauptet, König Dagobert habe Saint-Denis gegründet, was so nicht stimmt. Auf Seite 78 ist eine römische Zahl - wohl ebenfalls durch Tippfehler - falsch aufgelöst. Die Anmerkungen (leider am Ende und nicht unten direkt am Text) bieten ansonsten sehr zuverlässig Aufklärung über Guilleberts Ausführungen im Kontext der Pariser Topographie. Man kann nur wünschen, dass die anderen beiden Beschreibungen des spätmittelalterlichen Paris ebenfalls bald in einer Neubearbeitung zugänglich sein werden.
Julian Führer