Rezension über:

R. Kevin Jaques: Ibn Hajar (= Makers of Islamic Civilization), New Delhi: Oxford University Press India 2009, X + 156 S., ISBN 978-0-19-806300-1
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Mohammad Gharaibeh
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Mohammad Gharaibeh: Rezension von: R. Kevin Jaques: Ibn Hajar, New Delhi: Oxford University Press India 2009, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 7/8 [15.07.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/07/29153.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

R. Kevin Jaques: Ibn Hajar

Textgröße: A A A

Das Buch über Ibn Hajar hat Jaques insofern sinnvollerweise in der Reihe "Makers of Islamic Civilization" platziert, als dass diese Serie einflussreichen Gelehrten und Herrschern der islamischen Welt ausführliche Biographien widmet. Als bedeutender šāfiʿitischer Rechtsgelehrter, Historiker und vor allem hervorragender Ḥadīṯ-Gelehrter hat Ibn Hajar al-ʿAsqalānī (st. 1449) spürbaren Einfluss in der islamischen Gelehrsamkeit und Ideengeschichte auf verschiedenen Wissensgebieten hinterlassen. Ein "Macher" islamischer Zivilisation ist er vor allem wegen seiner nachhaltigen Werke und Methode im Bereich der Ḥadīṯ-Wissenschaften. Sein Kommentar zur kanonischen Ḥadīṯ-Sammlung des al-Buḫārī mit dem Titel Fatḥ al-Bārī ist wie kein anderes rezipiert, überliefert, gelehrt und kommentiert worden. Dies rechtfertigt auch die mittlerweile zahlreichen Studien zu seinem Leben und Werk. Neben einer Reihe von Abhandlungen zu Teilaspekten seines Œuvres sind vor allem zwei umfangreichere Biographien in westlicher Sprache zu nennen. Zum einen die nicht publizierte, in Princeton angefertigte Dissertation von Sabri Khalid Kawash aus dem Jahre 1970 mit dem Titel "Ibn Ḥajar al-Asqalānī (1372-1449 A.D.): A Study of the Background, Education, and Career of a ʿālim in Egypt"[1], und zum anderen eine weitere Promotionsschrift von Aftab Ahmad Rahmani mit dem Titel "The Life and Works of Ibn Ḥajar al-ʿAsqalānī", welche in einer Reihe von Artikeln in der Zeitschrift Islamic Culture veröffentlicht wurde.[2] Daher muss man sich bereits vor der Lektüre von Jaques' Buch die Frage stellen, was es eigentlich dem Forschungsstand hinzuzufügen hat bzw. wodurch es sich von seinen Vorgängern unterscheidet. Diese Frage stellt sich insbesondere, weil alle genannten Studien und auch die zu rezensierende sich auf dieselbe Hauptquelle stützen, nämlich auf die ausführliche dreibändige Biographie Ibn Ḥajars durch dessen Schüler und Vertrauten Muḥammad as-Saḫāwī (st. 1497).

Allzu viele neue Informationen über die Ecksteine in Ibn Hajars Leben wird der Leser nicht erwarten können. Der Autor findet keine noch nicht gekannten Schriften des Gelehrten oder überraschende Erlebnisse, über die noch nicht geschrieben wurde. Jedoch besticht das Buch von Jacque durch einen anderen Umstand. Zwar dient auch ihm as-Saḫāwīs Monographie als Grundlage, doch ergänzt er die darin enthaltenen Informationen durch zusätzliche Quellen. Neben Geschichtswerken und Einträgen aus biographischen Lexika anderer, meist zeitgenössischer Autoren, benutzt Jaques vor allem Ibn Hajars eigene Schriften. Diese umfassen auf der einen Seite sein Geschichtswerk Inbāʾ al-ġumr sowie die von ihm verfassten biographischen Lexika Rafʿ al-iṣr, ad-Durar al-kāmina und das Ḏayl ad-Durar al-kāmina. Auf der anderen Seite sind es vor allem Texte, die nicht unmittelbar als historiographisch betrachtet werden können, wie z.B. seine Schrift über die Pest Badl al-maʿūn. Die Besonderheit daran ist nun, dass Jaques diese Werke nicht ausschließlich als Quellen historischer Informationen liest. Vielmehr betrachtet er sie als persönliche Notizen des Gelehrten, in denen dieser die Ereignisse seiner Zeit kommentiert und bewertet. Dies ist deswegen möglich, weil sich Ibn Hajar zum einen als Zeitzeuge oft selbst einbringt, und zum anderen da seine Texte - vor allem das Inbāʾ al-ġumr - so konzipiert sind, dass sie überwiegend eine (persönliche) Beschreibung der Ereignisse und Personen der Zeit des Gelehrten darstellen. Die Lesart, die Jaques dabei an die Werke Ibn Hajars legt, erinnert stark an solche, welche man an ein persönliches Notizbuch eines Gelehrten anlegen würde. Für die Mamlukenzeit ist dies relativ innovativ und wurde bisher nur mit dezidiert als Notizbücher erkannten und wahrgenommenen Quellen wie Ibn Ṭawqs Taʿlīq und aṣ-Ṣafadīs Taḏkira versucht.

Dieser Ansatz wirkt sich selbstverständlich auf den Fokus aus, mit welchem Jaques das Leben des Gelehrten Ibn Hajar erzählt. In seiner Biographie stehen die Persönlichkeit Ibn Hajars, dessen berufliche Karriere und vor allem dessen Blick auf die Umwelt, auf Personen und Ereignisse im Mittelpunkt. Folglich ist auch die Gliederung des Buches nicht eine bloße Kopie des so typischen (arabischen) Aufbaus in Geburt, Studium, Lehrer, Schüler, Werke und Tod, den beispielsweise as-Saḫāwī in seinem Werk folgt und der auch in der Arbeit Rahmanis zu finden ist. Stattdessen teilt Jaques Ibn Hajars Vita in vier Phasen ein. Diese vier Kapitel, die auf eine Einleitung folgen, in der der Verfasser Ibn Hajars Selbstverständnis, den historischen sowie gesellschaftlichen Kontext und die Quellenlage skizziert, bilden das Herzstück des Buches. In "Loss, Piety, and the Beginnings of Scholastic Life (773-815/1372-1412)" (Kapitel 2), "Rise to Prominence: Ibn Hajar and al-Mu'ayyad Shaykh (815-29/1412-25)" (Kapitel 3), "Court Intrigues and International Fame (824-41/1421-38)" (Kapitel 4) und "Final Years and Lasting Influence (842-52/1428-49)" (Kapitel 5) wird das Leben des Gelehrten mit viel Liebe zum Detail erzählt. Jacques sieht die einschneidenden Ereignisse im Leben Ibn Hajars in einem größeren historischen Rahmen. Er identifiziert sämtliche wichtigen - und unwichtigen - Personen, welche sonst nur mit Namen genannt werden, und lässt zwischendurch den Gelehrten selbst sprechen, so dass der Leser einen Eindruck davon bekommt, wie Ibn Hajar selbst die Ereignisse erlebt haben dürfte. Ohnehin bekommt der Leser ein recht deutliches Bild von dem Zeitgeist, von den social players und der Bedeutung, die Notwendigkeit und vor allem der Verwundbarkeit sowie Kurzlebigkeit sozialer Beziehungen sowohl im privaten wie beruflichen Leben. Darüber hinaus diskutiert Jaques auch ausgewählte Schriften des Gelehrten näher, versucht ihre Entstehung zu datieren und zu kontextualisieren.

Um die eingangs gestellte Frage klar zu beantworten: ja, das Buch Jaques kann dem Forschungsstand tatsächlich noch einiges hinzufügen und unterscheidet sich von seinen Vorgängern in seiner Art, die bekannten Informationen in einem Großen und Ganzen zu sehen. Der Leser wird die von Jaques gegebenen Leseempfehlungen zu Ibn Hajars Leben und Werk dankbar annehmen, und auch der gut ausgearbeitete Index ist ein echter Gewinn, der sowohl Personen sowie Schlüsselbegriffe und Städtenamen beinhaltet. Bemängeln könnte man, dass Fußnoten mit entsprechenden Quellenangaben über die gesamte Biographie hinweg fehlen. Dies ist sicher den Vorgaben des Verlags und der Reihe geschuldet, macht das Buch aber zu einem nicht-akademischen Buch, auch wenn es ohne Zweifel von großem Nutzen für Akademiker ist.


Anmerkungen:

[1] Sabri K.Kawash: Ibn Ḥajar al-Asqalānī (1372-1449 A.D.): A Study of the Background, Education, and Career of a ʿālim in Egypt, PhD thesis, Prinston University, Prinston: UMI.

[2] Aftab Aḥmad Rahmānī: "The Life and Works of Ibn Ḥajar al-ʿAsqalānī", Islamic Culture 45 (1971), 203-212, 275-293; 46 (1972), 75-81, 171-178, 265-272, 353-362; 47 (1973), 57-74, 159-174, 257-273.

Mohammad Gharaibeh