Andreas Rutz (Hg.): Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568-1714 (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 20), Göttingen: V&R unipress 2015, 388 S., 30 s/w-Abb., 1 DVD, ISBN 978-3-8471-0350-9, EUR 55,00
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Am 16. und 17. November 2013 veranstaltete die Abteilung für Rheinische Landesgeschichte des Bonner Instituts für Geschichtswissenschaft die Tagung, deren Beiträge in diesem Sammelband vereinigt wurden. Dabei geht es dem Veranstalter vor allem um eine Wahrnehmungs- und Erfahrungsgeschichte von Krieg und Gewalt im oberen und niederen Rheinland und dem westlichen Westfalen während der Zeit des spanisch-niederländischen Krieges von 1568 bis zum Frieden von Rastatt. Die übliche Periodisierung des Achtzigjährigen Krieges wird verlängert um den "zweiten Dreißigjährigen Krieg" Ludwigs XIV. (Formulierung von Johannes Burkhardt).
Zunächst führt der Herausgeber in den Forschungsgegenstand ein. Dabei stützt er sich auf das wichtigste Ego-Dokument der rheinischen Frühneuzeit, das Buch Weinsberg. Rutz gibt dabei die ältere Edition aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an, es bleibt aber unerklärlich, warum er nicht auch auf die Komplettausgabe im Internet verweist, die 2003 von Manfred Groten präsentiert wurde. [1]
Das erste Kapitel heißt "Krieg". Hier vergleicht Magnus Ressel die Politik des Herzogs von Alba gegenüber den grenznahen Städten Köln, Aachen und Trier. Michael Kaiser stellt rheinische Quellenfunde zu den Söldnertruppen der Niederländischen Republik vor. Claude Muller untersucht das Elsass während der Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges und erläutert die vorherrschende Strategie, den Gegner eher durch kleine Scharmützel und Belagerungen als durch Feldschlachten zu zermürben.
Das zweite Kapitel "Kriegserfahrung" beginnt mit einer Alltagsgeschichte der Rheinlande während des Kölner Krieges in den 1580er-Jahren von Thomas P. Becker, der nicht nur aktuelle Kriegsgräuel, sondern auch langfristige Verschuldungen der rheinischen Kommunen als Konfliktfolgen nachweist. Anschließend blickt René Hanke in die Erfahrungsgeschichte rheinischer Kommunen mit Soldaten aller Kampfparteien zwischen 1618 und dem Rastatter Frieden. Gerhard Fritz spürt der sozialen Grenze zwischen den regulären Kombattanten, den Marodeuren und den Flüchtlingen nach, die angesichts der Versorgungsprobleme für alle genannten Personengruppen eher eine rechtlich-abstrakte als eine real wirkungsmächtige war. Guy Thewes schöpft für seine Frage nach dem Kriegsalltag aus der Quellengruppe der Luxemburger Ego-Dokumente. In einem gemeinsamen Beitrag untersuchen Matthias Asche, Susanne Häcker und Patrick Schiele die Lebensformen von Studenten während des Dreißigjährigen Krieges an rheinischen Universitäten. Ebenfalls gemeinsam gehen Guido von Büren und Marc Grellert der Frage nach, wie die Bonner Heinrichbastion unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Festungsbaukunst entstand und wie sie aussah. Dem Buch liegt eine DVD mit der virtuellen Rekonstruktion dieser Bonner Festungsanlage bei.
Das dritte Kapitel "Kriegswahrnehmung und -darstellung" wird von Astrid Ackermann eröffnet, die auf das Verhältnis von Kriegslogistik und publizistischer Darstellung am Beispiel der Eroberung Breisachs 1638 durch Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar eingeht. Stephan Kraft weist topische Elemente in der Darstellungskunst von Grimmelshausens Simplizissimus nach und ordnet ihn ins Kampfgeschehen in der Oberrheinebene ein. Guillaume van Gemert untersucht die publizistische Berichterstattung über die Kriege der aufständischen Niederlande und der späteren Republik während des "langen" 17. Jahrhunderts, wobei besonders die Frage nach dem "Dutch miracle" von Belang ist. Emilie Dosquet knüpft an van Gemerts kommunikationsgeschichtliche Fragestellung an und nimmt die Verwüstung der Kurpfalz in den 1680er- und 1690er-Jahren in den Blick, die bei den deutschen Zeitgenossen Fassungslosigkeit und Verbitterung auslöste.
Der gelungene Sammelband unterscheidet sich wohltuend von mancher akademischen Buchbindersynthese, in der bewährte Gelehrte zu Jubiläen aller Art ihr schon mal Geschriebenes in einer sprachlich leicht veränderten Form vorlegen. Die Beiträge des Bandes von Andreas Rutz beruhen zumeist auf eigenen Archiv- und Quellenstudien und bringen auf diese Weise wirkliche Novitäten zum Vorschein. Der Band ist dankenswerterweise mit einem Personen- und einem Ortsregister versehen.
Anmerkung:
[1] http://www.weinsberg.uni-bonn.de/Projekt/Weinsberg/Weinsberg.htm (letzter Aufruf: 19.07.2016, 00.47 Uhr).
Johannes Arndt