Peter Rauscher / Andrea Serles (Hgg.): Wiegen - Zählen - Registrieren. Handelsgeschichtliche Massenquellen und die Erforschung mitteleuropäischer Märkte (13.-18. Jahrhundert) (= Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas; Bd. 25), Innsbruck: StudienVerlag 2015, 542 S., ISBN 978-3-7065-5420-6, EUR 49,90
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In diesem Band werden Beiträge einer Tagung in Krems (Donau) aus dem Jahr 2013 veröffentlicht. Sie stand in engem Zusammenhang mit einem Projekt am Institut für österreichische Geschichtsforschung, bei dem 194 erhaltene Mautregister aus Aschach in eine online abfragbare Datenbank eingelesen werden sollen. Die Arbeit mit diesem Material gab Anlass, massenhaft gleichförmige Quellen als Herausforderung insbesondere der Wirtschafts- und Handelsgeschichte zu untersuchen. Einleitend führen Peter Rauscher und Andreas Serles in "Fluch und Segen" der seriellen Quellen ein (19-42). Sie seien ein Fluch, weil ihre Bearbeitung meistens "zeitintensiv und nicht selten methodisch aufwendig ist" (19), ein Segen, weil sie Zugänge zu vielen offenen Forschungsfragen eröffneten und dabei mehrere aktuelle Forschungstrends bedienen könnten: Netzwerke unter Kaufleuten, die Verbindung von Kaufleuten und Märkten sowie Eingriffe des Staates in die Wirtschaft durch Steuern und Zölle. Die Erfassung großer Datenmengen erlaube zudem "mithilfe neuerer statistischer Methoden" die Suche "nach 'versteckten Mustern'" (30).
Die 17 in dem Band versammelten Beiträge liefern jeweils Fallstudien, die auf normative Quellen und auf solche Quellen, die in Rechnungsserien tatsächlich stattgefundenen Handel dokumentieren zurückgreifen. Eine erste Sektion widmet sich Städten und Handel. Elisabeth Gruber stellt die Maut- und Zollordnungen des österreichischen Donauraums im späteren Mittelalter vor (45-68). Für Basel kann Davina Benkert auf die Datenreihen der Messbücher zwischen 1471 und 1647 zurückgreifen (69-90), aus denen ein langfristiger Niedergang Basels als Handelsstadt abzulesen ist. Andrea Serles bezieht in ihren Überblick über serielle Quellen zur Handelsgeschichte in Krems Testamente und Ratsprotokolle ein und präsentiert vor allem die Online-Edition der 28 erhaltenen Waag- und Niederlagsbücher aus der Zeit von 1621 bis 1737 (91-135). Darin sind u.a. 9.000 Personen aus rund 900 Orten zu finden, die über eine herkömmliche Edition nicht zu erschließen gewesen wären. Die alternativ erstellte Datenbank erübrigt ein Register im herkömmlichen Sinn durch die Suchfunktionen. Serles zeigt Auswertungsmöglichkeiten am Beispiel von Handelskonjunkturen, Warenkatalogen und Marktakteuren und lenkt damit den Blick der Forschung auf eine ansonsten kaum wahrgenommene lokale Quellengruppe. Andrea Bonoldi präsentiert Gerichtsakten aus Bozen als serielle Quelle (135-167) und zeigt, dass diese Akten im 17. Jahrhundert mit wachsender Tendenz Kaufleute aus Oberitalien und Süddeutschland nachweisen. Jacek Wijaczka stellt die Krakauer Zollregister in den Kontext der polnischen Handelsgeschichte der Frühen Neuzeit (169-193).
Die zweite Sektion thematisiert Warenströme und Wasserwege. Uwe Schirmer untersucht den Warenverkehr auf der Elbe zwischen Pirna und Wittenberg anhand erhaltener Zollrechnungen des Jahres 1444/45 (197-215), Erich Landsteiner den Güterverkehr auf der österreichischen Donau zwischen 1560 und 1530 (217-254). Dabei wertet er die Mautrechnungen aus Linz aus, um Warenmengen und Transportrichtungen zu ermitteln. Peter Rauscher ordnet die Aschacher Mautprotokolle des 17. und 18. Jahrhunderts in die Auswertung von Quellen der Handelsgeschichte ein und präsentiert erste Ergebnisse des aktuellen Forschungsprojekts für die Jahre 1728/30: saisonale Konjunkturen, zu ermittelnde Knotenpunkte des Fernhandels und Warenstrukturen (255-306). Zwar lassen sich schon jetzt einzelne bisher in ihrer Bedeutung kaum erkannte Kaufleute ermitteln, doch: "Erst wenn lange Datenreihen zur Verfügung stehen, sind Strukturen und Konjunkturen zu erkennen" (293). Attila Tózsa-Rigó wertet das sogenannte "Verbotbuch" aus Pressburg als Quelle für den ungarischen Donauhandel im 16. Jahrhundert aus (307-329), Job Weststrate die geldrischen Zollrechnungen um 1550. Daraus lassen sich u.a. unterschiedliche Strategien der Städte Wesel und Nimwegen ermitteln.
Die wohl berühmteste Quelle für Handel und Schifffahrt in der Frühneuzeit, die Sundzollregister zwischen 1497 und 1857, werden derzeit in Groningen in einer Online-Datenbank zugänglich gemacht. Jan Willem Veluwenkamp erstattet dazu einen Arbeitsbericht (365-384), den Werner Scheltjens hinsichtlich der Möglichkeit für die Standardisierung von Maßen und Gewichten ergänzt (455-479).
In der dritten Sektion wird kaufmännisches Schriftgut als Massenquelle anhand von drei unterschiedlichen Quellengruppe analysiert. Heinrich Lang untersucht Material aus dem Archiv des Handelshauses Salviati in Pisa, das den Seidenzoll an der Rhone gepachtet hatte (387-409). Daraus lassen sich 1532/40 die Seidenimporteure in Lyon ermitteln. Mark Häberlein rekonstruiert den Donauhandel Augsburger Kaufleute im 16. Jahrhundert vor allem aus den Rechnungsfragmenten der Welser (411-431), Christof Jeggle weist anhand der Korrespondenz der Saminiati-Handelsgesellschaften in Florenz (rund 300.000 Briefe) exemplarisch die regionale Verteilung der außeritalienischen Handelspartner in den Jahren zwischen 1669 und 1684 nach (433-452). Klemens Kaps stellte die Merkantiltabellen der Habsburgermonarchie des 18. Jahrhunderts als Prototypen der Handelsstatistik vor (481-505).
Gegenüber den bisher vorgestellten Beiträgen fällt der letzte krass ab, den Jürgen Jablinski unter die Frage "Können Maschinen lesen?" stellt (507-527). Er will Möglichkeiten und Grenzen IT-gestützter Erschließung handschriftlicher Massenquellen ausloten, lässt aber leider im Titel unerwähnt, dass ihm als Beispiele für OCR-Verfahren das Kundenverzeichnis eines Fotografen von 1973 und die handschriftlichen Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes aus der gleichen Zeit dienen. Das erscheint angesichts der seriellen Quellengruppen aus Mittelalter und Frühneuzeit und ihrer paläografischen Herausforderungen nahezu grotesk.
Die empirisch ausgerichteten Beiträge des Bandes überzeugen, weil sie stets eine oder mehrere serielle Quellen erschließen und auswerten. Die Praxisberichte sollten Mut machen, das vorhandene Material auszuwerten. Freilich wird ehrlicherweise nicht verschwiegen, dass meistens ein langer Atem gebraucht wird, um die Datenmengen zu bewältigen und in Datenbanken zu bringen. Der Lohn für solche Anstrengungen ist ein erneuerter Blick auf die vormoderne Wirtschaftsgeschichte.
Wilfried Reininghaus