Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der Europäischen Expansion 1415-2015, München: C.H.Beck 2016, 1648 S., 122 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-68718-1, EUR 58,00
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Dieses Buch ist ein gewaltiges Werk. Es beschreibt auf 1648 Seiten, von denen 291 Seiten den Quellen- und Literaturapparat ausmachen, die Globalgeschichte der europäischen Expansion der letzten 600 Jahre von 1415 bis 2015. Dem Begriff Geschichte vorangestellt signalisiert das Wort "Global" den Anspruch des Werkes auf umfassende Darstellung europäischer Expansion wie sie sich nach Verweisen auf die Römer und Wikinger als Vorform ab dem 15. Jahrhundert durch die portugiesische, spanische, niederländische, französische und britische Perspektive schreiben lässt. Hinzu kommen Ausführungen zur russischen und zur späteren belgischen und deutschen Expansion in Afrika genauso wie die Beschreibung der Folgen in Form von Dekolonisation in Amerika (einschließlich Lateinamerika), Afrika und Asien sowie die daraus heute erwachsene globale Welt.
Das Buch richtet damit seinen Blick auf alle Kontinente sowie auf die historischen Prozesse, die mit der europäischen Expansion als Form der Unterwerfung der Welt, wie der Haupttitel bereits als These vorwegnimmt, einhergehen. Die heutige Welt, mit der das Buch endet, wird als ein Produkt dieser Expansion bzw. Unterwerfung der Welt über die Jahrhunderte gesehen. Folgt man den Ausführungen im Kapitel 24 "Bilanz und Ausblick" am Ende des Werkes, so lässt sich die Unterwerfung der Welt im Zuge der europäischen Expansion formelhaft in drei Perioden unterteilen: 1. Europa ist Expansion gerade durch Gewalt {E=E}, dies macht die ersten Jahrhunderte teilweise bis weit ins 20. Jahrhundert aus; 2. Europa steht für Dekolonisation infolge der Expansion {E=D}, dies ist die Emanzipation der Kolonialreiche im 19. und 20. Jahrhundert; 3. Europa wirkt auf die Welt {E=W}, insbesondere durch die Verwestlichung, die in der Folge im 21. Jahrhundert zur Globalisierung und zur Migration beiträgt (1255-1256). Im letzteren Sinne erschließt sich auch der erste Satz im einleitenden ersten Kapitel ("Grundlagen der neuzeitlichen europäischen Expansion"): "Europa ist immer noch expansiv". Die europäische Expansion, einstmals durch Gewalt in Gang gebracht, wird heute durch das subtilere Instrumentarium der "soft power" in Form von "grenzenlosem Wirtschaftswachstum" fortgesetzt (17). Interpretiert man Reinhards Ansatz weiter, bedeutet dies aber auch, dass es kein Europa ohne Expansion (mit oder ohne Gewalt) geben kann. Folglich wäre noch zu fragen gewesen worin und wohin Europa zukünftig expandiert, wenn doch bereits die ganze Welt erfasst ist. Doch soweit lehnt sich Reinhard nicht aus dem Fenster, auch wenn er gelegentlich einige Sorgen durchblicken lässt, die ihn umtreiben, wie zum Beispiel, dass die Basislegitimation des nachkolonialen Staates in Europa, die auf sozialem Wohlstand gründet, verloren gehen könnte, wenn dieser nur noch einer Minderheit zu Gute käme (1292).
Wenn der Autor von Europa spricht, dann ist damit nicht etwas monolithisches gemeint, sondern ein Prozess der Herausbildung von Reichen und Staaten bis hin zu den modernen Staaten in Europa in Wechselwirkung mit dem, was die Expansion außerhalb Europas territorial-politisch gestaltete (20-21). Von Bedeutung für Reinhard dabei ist, dass die europäische Expansion zunächst innerhalb und außerhalb Europas auf Reichsbildung hinauslief (Beispiel Spanien und Las Indias), bevor im Zuge der Expansion die losere Struktur von Reichen in Europa (neben Spanien das Heilige Römische Reich Deutscher Nation) durch Staaten, insbesondere den modernen, souveränen Staat ersetzt oder ergänzt wurden (Frankreich, Großbritannien im 19. / 20. Jahrhundert, Russland). Damit schufen sich die europäischen Machtstaaten gewaltige Vorteile, weil die Territorien außerhalb nur schwache Reiche oder koloniale Imperien blieben, vergleichbar mit Reichen wie China oder Japan, die mit Europa konkurrierten (22). Von Kolonien oder Kolonialreichen im Sinne der altrömischen colonia, die auf Ansiedlung auf fremden Boden hinauslief, kann begrifflich daher auch erst ab dem 18. Jahrhundert gesprochen werden. Verschiedene Typen von Kolonien sind zudem Teil der europäischen Expansion. Hierzu zählen die Stützpunktkolonien (Handel, militärische Präsenz), die Siedlungskolonien (Besiedlung und Urbarmachung von Land) und Herrschaftskolonien (Kontrolle über das ganze Gebiet) (27-28). Ferner unterscheidet Reinhard minuziös zwischen Kolonial- und Fremdherrschaft. Erstere lief auf Nutzung einer Entwicklungsdifferenz durch die Kolonialmacht hinaus, letztere lediglich auf die Kontrolle Fremder ohne direkte Nutzung einer solchen Differenz (Beispiel Römer und Griechen, Sowjetunion und DDR) (25).
Die europäische Expansion war in weiten Teilen eine Übersee-Expansion. Dem gegenüber bedienten sich Russland, aber auch die USA und Kanada sowie Südafrika und Australien der Kontinentalexpansion. Für Reinhard ist dies insofern folgenreich, weil sich im Gegensatz zur Dekolonisation aufgrund der europäischen Übersee-Expansion die durch Kontinentalexpansion geschaffenen Imperien oder Staaten "schwer oder gar nicht dekolonisierbar sind" (25). Damit ist Reinhards Buch sowohl eine kritische Auseinandersetzung mit dem Eurozentrismus als auch eine umfassende Grundlage für eine Globalisierungsgeschichte. Mit Osterhammel und Petersson [1] zeigt Reinhard, dass die heutige Globalisierung eine Vorgeschichte hat - für ihn kritisch betrachtet, eine europäische. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die wirtschaftlichen Verflechtungen im Zuge der europäischen Expansion seit 1500, insbesondere auf Handel und Warenverkehr. Die im 19. Jahrhundert aufkommenden Kapital- und Finanzströme sind hingegen weniger gut erfasst.
Das Buch besteht aus 24 Kapiteln. Abzüglich der vorgestellten Grundlagen im ersten Kapitel und Bilanz und Ausblick im letzten bleiben somit 22 Kapitel zu jeder Form europäischer Expansion in jedem Erdenwinkel seit 1415. Kapitel 2 beschreibt die Voraussetzungen für die Expansion zu See: Navigationstechniken, Meeresströmungen und Motive wie das Verlangen nach Gewürzen, Gold und Silber, was vor allem die Portugiesen unter ihrer Krone vor den Spaniern als erste Europäer antrieb, Afrika entlang der Westküste zu erkunden und Handel zu betreiben. Erst im zweiten Schritt folgten die Spanier unter Kolumbus beflügelt von der Illusion Indien auf dem Westweg zu erreichen. Kapitel 3 zeigt wie der portugiesische Handelsdrang sie weiter ostwärts in den indischen Ozean u.a. nach Indien führte und Handelsinteressen gegenüber Einheimischen und deren lokalen Machthabern zunehmend durch Anwendung von zum Teil roher Gewalt durchgesetzt wurden (118-119, 125). Auf den Molukken (der Inselwelt, zu denen auch das heutige Indonesien und die Philippinen als Ergebnis europäischer Herrschaft zählen) entbrannte Ende des 16. Jahrhunderts aufgrund der seit dem 15. Jahrhundert bestehenden muslimischen Ausrichtung ein "Heiliger Krieg" gegen Portugal (140). Und auch bei den Chinesen stießen die Portugiesen auf wenig Gegenliebe, als sich der portugiesische König auf die gleiche Stufe mit dem chinesischen Kaiser stellte (141). Die dem Handel einhergehende von der Krone ebenfalls diktierte kulturelle wie religiöse Missionierung blieb somit nicht konfliktfrei. Doch die portugiesische Krone hatte trotz hoher Gewinne aus dem Gewürzhandel enorme Kreditrisiken zu tragen, die Ende des 16. Jahrhunderts zum Bankrott führten, sodass fortan private Geldgeber den Ton angaben (173). Dennoch markieren Portugals Handelskontakte nach Asien weniger den Beginn der europäischen Kolonialherrschaft, weil keine "Reiche und Kulturen zerstört" wurden, sondern nur "bestimmte Randgebiete Asiens politisch und ökonomisch [...] beeinflusst" wurden (175).
Die europäische Expansion nach Asien begann damit, Reinhard zufolge, erst durch das Hinzutreten der Niederländer mit Beginn des 17. Jahrhunderts, als im "Zeitalter der Glaubenskriege" die europäischen Konflikte in Übersee ausgefochten wurden (179). Kapitel 4 beschreibt diesen Prozess und die Strategie der Niederländer als von privatem Kapital und einer neu gegründeten Gesellschaft getragen, den Portugiesen ihre Handelsplätze in Asien streitig zu machen (184-190). Damit kam auch hier Gewalt ins Spiel, wenn es etwa in Macao darum ging, durch Handel, Monopolisierung und Siedlung, die Portugiesen vom Chinahandel abzuschneiden (193). Hier siegte die niederländische Handelsgesellschaft aufgrund ihrer üppigen Kapitalausstattung und der technischen Überlegenheit ihrer Schiffe. Jedoch trat alsbald die britische Handelsgesellschaft, die East India Company, ebenso in Konkurrenz dazu auf wie französische und andere europäische Kompanien (211ff.). Europa exportierte dazu größtenteils das spanische Silber aus Amerika und importierte Baumwolle, Gewürze, Tee und andere Produkte, nicht mehr und nicht weniger als um die 50 bis 60 standardisierte Artikel, aus Asien im Sinne des Prinzips der "komparativen Kosten" (238, 249). Kapitel 5 beschreibt den Übergang vom Handel zur europäischen Herrschaft in Asien im 18. Jahrhundert am Beispiel der Niederländer auf Java und der Briten in Indien und Indonesien. Mehr als ein planmäßiger Imperialismus ist der britische in Indien eher das Ergebnis eines schleichenden Prozesses. Denn anders wäre die Eroberung großer Teile Indiens bis 1818 trotz des eigentlichen Verbots von Eroberung und Expansion durch den India Act 1784 nicht zu erklären (277).
Kapitel 6 und 7 behandeln die spanische Eroberung Amerikas und die Eingliederung der Gebiete unter die Krone unmittelbar nach den Entdeckungs-, Handels- und Raubzügen, ein Ansatz, der in Asien mit Ausnahme Indiens so nicht zu beobachten war (293). Die Legitimation dafür waren die päpstlichen Bullen Ende des 15. Jahrhunderts, was auch für Portugal zutrifft und im Kapitel 8 beschrieben wird. Die einheimische Bevölkerung war damit Teil der spanischen bzw. portugiesischen Krone, was den Indigenen gegenüber den Sklaven aus Afrika einige Rechte sicherte, wenn auch sie nicht von der Dezimierung durch Krankheiten, Inquisition oder Zwangsarbeit verschont blieben. Damit ersetzten insbesondere die Spanier die "alten Herren" in Regionen mit stark differenzierten Herrschaftsstrukturen wie etwa in Zentralmexiko oder im Hochland Südamerikas. Gleichzeitig kam es zur "Überlagerung indianischer Traditionen durch europäische Einrichtungen" (320). Durch die spanischen und portugiesischen Besitzungen kam ein Warenaustausch in Gang, der die Welt veränderte. Amerikanische Grundnahrungsmittel wie die Süßkartoffel oder Mais und unzählige andere Produkte wie Tabak, Kakao oder Chili gelangten nach Europa und Asien wie auch umgekehrt die Europäer Schweine, Rinder und Pferde in Übersee beheimateten (331ff.). Vorrangig aber extrahierte die spanische Krone Silber, welches über Europa im Austausch gegen Waren nach Asien gelangte.
Kapitel 9 und 10 beschreiben die französische, britische und niederländische Politik der Freibeuterei und Piraterie in der Karibik und an der Nordküste Südamerikas, die die schwache spanische Präsenz in dieser Region ebenso nutzten wie den Sklavenhandel mit Afrika, zu dem Spanien der direkte Zugang fehlte (444). So belieferte Zentralafrika ab dem 16. Jahrhundert zugleich Amerika und die islamische Welt mit Sklaven, seinem wichtigsten nachgefragten Exportgut (457, 467). Die französische Besiedlung Kanadas im 17. Jahrhundert lief auf eine nach europäischen Muster gestrickte Feudalgesellschaft hinaus, jedoch nicht auf eine strikte Trennung von Weißen und Indigenen. Was interessierte war der Pelzhandel und weniger das Land noch die indianische Arbeitskraft (493ff.). Die Engländer erkannten ihrerseits den oftmals nur symbolisch erworbenen spanischen Besitz in Amerika nicht an. Für sie zählte nur der faktische Besitz, was es ihnen ermöglichte, sich in der Karibik genauso wie in Nordamerika niederzulassen (504). Gegenüber der spanischen Praxis des königlichen Monopols wurden Franzosen und Engländer zunächst aufgrund privater Gesellschaften aktiv, was Siedlungen und Handel betraf. Die Krone war allerdings hier im Gegensatz zur Praxis im Mutterland eine Veto-Instanz (524). Gegenüber dem katholischen Amerika Spaniens und Portugals hielten über die Engländer und andere Europäer der Protestantismus, Calvinismus und andere Glaubensrichtungen Einzug in Nordamerika, was teilweise bis heute das nordamerikanische Selbstverständnis von der "Mission" prägt (527). Nicht zuletzt prägten die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und England in Amerika auch Europa, bis 1763 Frankreich seinen Einfluss in Übersee weitgehend verlor (548).
Kapitel 11 behandelt das Zeitalter der Aufklärung und die Reformen im spanischen Amerika ebenso wie verschiedene Revolutionen in Amerika. Die Loslösung von England führte zur Gründung Nordamerikas, die von Frankreich auf der Insel Hispañola zur Entstehung Haitis mit der ein erster flächendeckender Genozid an Europäern bzw. ein "inverser Rassismus" einherging, bevor es zur generellen Unabhängigkeit Lateinamerikas von Spanien und Portugal kam (585). Reinhard spricht dabei im Allgemeinen von gelungener Dekolonisation mit allerdings bis heute nicht bewältigten Folgen, ohne diese im Einzelnen zu benennen.
Zur Buchmitte in Kapitel 12 skizziert Reinhard die These vom Verlust der Kolonien in Amerika (USA, Kanada und Lateinamerika) als Voraussetzung für den europäischen Imperialismus in Asien (und später in Afrika), weil erst jetzt der europäische Finanz- und Militärstaat sich "den asiatischen Reichen gewachsen" sah (603, 626). Europa vertiefte dadurch nicht nur sein Bestreben, die Kenntnisse über die Welt netzwerkartig zu ordnen, sondern ordnete, beflügelt von der Aufklärung und der Loslösung von der christlichen Vorstellung, die Welt danach unmittelbar so, dass Europa sich auf die höchste Entwicklungsstufe stellte (605). Im Gegensatz zu Amerika verband Europa mit Asien (einschließlich dem Islam) jedoch bereits eine enge kulturelle Austauschbeziehung, die nunmehr handels- und machtpolitisch instrumentalisiert wurde. Dabei ging es aber nicht nur um Staaten Zentraleuropas, die ihre Rivalität untereinander und die Expansionsgeschwindigkeit steigerten, sondern auch um solche wie Russland und das unabhängige Amerika, das erstmalig auf die Weltbühne trat (Kapitel 13). Vor allem steigerte sich die europäische Expansionspolitik im 19. Jahrhundert, wie Kapitel 14 zeigt, in der südlichen Hemisphäre (Südostasien, Afrika, Australien, Neuseeland, Südamerika). Damit verbunden waren große Auswanderungswellen aus Europa. Neben Russland und den USA entwickelte sich einzig England jetzt noch als weltumspannende Kolonialmacht von Kanada über Südafrika und Indien bis nach Australien und Neuseeland (Kapitel 15). Andere Kolonialmächte wie Frankreich (Indochina, heutiges Kambodscha, Laos, Vietnam) oder die Niederlande (Indonesien) waren nur in wenigen Gebieten tätig. Auch auf China hatten die Europäer ein Auge geworfen, selbst Staaten wie Deutschland (Kapitel 16). Ganz Südostasien, einschließlich Japan, wurde in die imperiale Politik Europas, Russlands und Amerikas verstrickt (Kapitel 16, 17): zunächst in Form des Freihandelsimperialismus - Machterschließung zur Rohstoffversorgung und des Absatzes - später im Hochimperialismus in dem die nationale Prosperität bei gleichzeitiger Einengung der Möglichkeiten in Übersee immer schwieriger zu garantieren war (869f.).
Die koloniale Politik brannte sich dabei zum ersten Mal auch in die Köpfe der Reichsvölker ("Kolonisation des Bewusstseins") und nicht nur bei den Kolonisierten ein (871), sicherlich eine Parallele zur heutigen Wahrnehmung von Globalität. Zugleich wurde Missionsforschung im Bewusstsein betrieben, Kolonialherrschaft zu erleichtern (873). Kapitel 18 und 19 behandeln die endgültige Einbindung Afrikas in die europäische Expansion und Kolonialherrschaft. Afrika wurde nicht zuletzt aufgrund von europäischen Beschlüssen - Kongokonferenz 1884/5 in Berlin und bilateral - im "Gerangel um Afrika" wie ein Stück Wild zerlegt und so "ungefragt ins westliche Völkerrecht integriert" (949). Dabei ging es wie im Falle Deutschlands auch darum, selbst seinen "Überschuss" an Menschen, Waren und Kapital zu exportieren (944). Entsprechend wurde Afrika erstmals über sein einstiges, nunmehr verbotenes Exportgut "Sklave" ökonomisch und politisch vollkommen von Europa und von den europäischen Prozessen (Erster und Zweiter Weltkrieg) vereinnahmt. Infolge dessen setzten auch weitere Prozesse wie eine rasante Verstädterung ein, die sogar bis heute anhält, allerdings gegenüber Europa mit einer oftmals noch kolonialen bzw. ethnisch geprägten Wohngebietsaufteilung (1023f.).
Kapitel 19 und 21 behandeln die Dekolonisation im Zuge von Erstem und Zweitem Weltkrieg. Das Osmanische Reich wurde im Zuge des Ersten Weltkrieges in Vorderasien zerschlagen. Die europäische Expansion hatte damit nicht nur ihre größte Ausdehnung, sondern auch einen Wendepunkt erreicht (1973). In der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg folgte die Unabhängigkeit Kanadas wie die Reintegration Chinas. Aber der eigentliche, von Europa lange hinausgezögerte dritte Dekolonisierungsprozess setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. In Asien gingen die meisten europäischen Kolonien, wenn auch nur widerwillig (Frankreich, Niederlande) verloren und es entstanden neue Nationen (Indien, Indonesien, Korea, Pakistan, Vietnam, Korea, u.v.a.m.). Damit ging einher, dass die Briten als "Ordnungsmacht des Indischen Ozeans und Südostasiens" von den USA abgelöst wurden (1145). Kapitel 22 ergänzt diesen Dekolonisierungsprozess um Afrika, wenn auch hier zunächst noch eine "zweite Kolonisation" in Form von entsandten Entwicklungshilfeexperten folgte, bevor das Zeitalter des europäischen Kolonialimperialismus zu Ende ging und die UNO in den politischen Prozessen um Unabhängigkeit in Afrika eine immer größere Rolle spielte (1161ff.). Wie in Asien (Indien) zeigt sich auch für Afrika, dass die britische Politik gegenüber jener der Franzosen (Algerien), Belgier (Kongo) oder Portugiesen (Angola) eine pragmatischere war (1151, 1180ff.). Schließlich endet Reinhards Darstellung der europäischen Expansion mit einem Blick auf Nord- und Südpol und den Weltraum und dem Hinweis, dass die Ex-Kolonialmächte vor allem besonders kleine Ex-Kolonien (meist Inseln wie Puerto Rico, Azoren, Réunion usw.), selbst wenn sie es wollen, nicht einfach "loswerden" (1237).
Allerdings fragt sich, ob nur die europäischen Verfassungen mit dem hadern, was vom Kolonialismus geblieben ist (1240). Die von Reinhard vorgenommene Unterteilung in maritime europäische Expansion und kontinentale Expansion anderswo (Australien, China, Kanada, Russland, USA) ist eben, wie er selbst zum Schluss betont, keine Garantie, dass eine stärkere Kontrolle und Assimilation durch letztere Form weniger ethnische Spuren hinterlässt. Aber nicht nur in der ehemaligen Sowjetunion ist die vermeintlich geglaubte Vergangenheit nicht überwunden. Dies trifft für China oder die USA genauso zu wie für Ex-Kolonien wie beispielsweise Mexiko oder Brasilien, wo eine mehrheitlich westlich orientierte Gesellschaft mit der Vergangenheit seiner indigenen Völker hadert. Und dies wird letztendlich auch das Schicksal Afrikas werden. Insofern ist Reinhards gewaltiges Werk eine Fundgrube an Daten, Prozessen und lehrreichen weltgeschichtlichen Erfahrungen, gerade auch um die Zukunft ausloten zu können.
Das Werk wird begleitet von zahlreichen Karten, die die europäische Expansion hilfreich visualisieren. Ein Orts- und ein Personenregister sind vorhanden, jedoch kein Sachregister. Weniger hilfreich hingegen ist das nach Kapiteln angeordnete Literaturverzeichnis in durchlaufender Form. Es erschwert den leichten Überblick. Zudem bleibt unverständlich, warum wichtige Werke wie beispielsweise Eric Wolfs Werk "Europe and the People without History" (1982), ein Klassiker der Ethnologie, in dem die vernetzte Handelswelt einschließlich der nicht-Europäer beschrieben wird oder Charles Mann "How Europe's Discovery of the Americas Revolutioned Trade, Ecology and Life on Earth" (2012) fehlen.
Aus Platzgründen bleibt der Vergleich von Reinhards Werk mit Jürgen Osterhammels "Geschichte der Welt - Wege zur modernen Welt: 1750-1870" (2016) und Ulrich Menzels "Die Ordnung der Welt" als Darstellung wie Kolonialmächte und Imperien ordnen hier noch geschuldet.
Anmerkung:
[1] Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung, München 2012.
Daniel Graña-Behrens