Adam Zamoyski: Phantome des Terrors. Die Angst vor der Revolution und die Unterdrückung der Freiheit 1789-1848, München: C.H.Beck 2016, 618 S., 32 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-69766-1, EUR 29,95
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Mit "Phantome des Terrors" legt Adam Zamoyski binnen kurzer Zeit das dritte Buch zum frühen 19. Jahrhundert vor. [1] Während sich "1812" und "1815" als dichte Detailstudien mit dem Niedergang Napoleons und der Neuordnung durch den Wiener Kongress beschäftigten, ist der Gegenstand dieses Buches chronologisch breiter und zugleich systematisch ambitionierter: Es behandelt die Frage, von wem zwischen der Französischen Revolution und der Revolution von 1848 eine größere Bedrohung von Sicherheit und Ordnung ausging: von den Revolutionären oder den Regierungen. Schon der Titel macht deutlich, dass Zamoyski die These vertritt, dass es sich bei der Revolutions-, Terror- und Umsturzgefahr - wenn man von den "terreur"-Jahren in Frankreich absieht - im Wesentlichen um eine Projektion der Herrschenden handelte. Grund für die Kluft zwischen Wahrnehmung und Realität sei gewesen, dass es weit weniger zu der befürchteten "Ansteckung" (32) von Oppositionellen durch das Vorbild der französischen Jakobiner gekommen sei als zur Infektion der Herrschenden mit dem Virus der Umsturzangst, dessen Symptome ein dichtes Spitzelwesen und eine mit großen Ressourcen ausgestattete politische Polizei waren. Beides sei ironischerweise auf die französischen Jakobiner zurückgegangen, durch Napoleon perfektioniert und rasch von der politischen Polizei anderer Länder, vor allem Österreichs, Frankreichs und Russlands, übernommen worden. Die politische Polizei musste ihre Existenz durch die Aufdeckung von Verschwörungen rechtfertigen. Spitzel wurden nur dann belohnt, wenn sie dramatische Informationen anboten. Beides war eine Einladung zum Missbrauch, zumal die Summen für Informanten beträchtlich waren. Eine der eindrücklichsten Geschichten handelt von 2.000 Francs für einen falschen Tipp: Ein amouröses Stelldichein des Herzogs von Berry wurde zu einem Treffen mit einem Abgesandten Napoleons stilisiert, das ausgerechnet vom Ehemann der beteiligten Dame ausgehoben werden sollte; dieser war aber für die Protagonisten nicht zu erkennen, weil er verkleidet und mit einem von einem Lakaien geworfenen großen Weichkäse im Gesicht ins Zimmer trat. Der Tippgeber spendete das Geld der Kirche.
Viele der enttarnten revolutionären Umsturzversuche seien schlicht erfunden gewesen oder durch V-Leute initiiert worden. Den Regierungen war zwar vielfach bewusst, dass es sich um Fiktionen handelte (die vor Gericht auch vielfach keinen Bestand hatten); unter bestimmten Umständen fanden sie es aber nützlich, durch die Publikation solcher Berichte Panik zu schüren und diese zur Verabschiedung von restriktiven Gesetzen zu nutzen. Es konnte aber auch vorkommen, dass sich Politiker außerstande sahen, zwischen unabhängigen und staatlich geschaffenen politischen Bewegungen zu unterscheiden ("dass die Kabinettsmitglieder auf ihre eigenen Lügen hereingefallen waren, was Politkern so häufig passiert", 175); dafür ist Metternich das zentrale Beispiel. Es ist klar, dass diese Erzählung eine aktuelle Resonanz hat, die Zamoyski im Vorwort auch explizit erwähnt (8), die aber im Text nur in Kapitelüberschriften wie "Krieg gegen den Terror" (47) präsent ist.
Die Thesen Zamoyskis stehen im Gegensatz zu Teilen der jüngeren Historiografie, die ein positives Bild der Neuordnung Europas nach 1815 gezeichnet haben. Dieses Bild beruht auf der Annahme, dass die Prinzipien der Französischen Revolution in Verbindung mit den napoleonischen Ambitionen die Ursachen der großen Kriege zwischen 1792 und 1815 waren, sodass Friedenssicherung eine Einhegung nationaler und demokratischer Bewegungen voraussetzte, deren Breitenwirkung ohnehin begrenzt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund stellten die Verschwörungen nach 1815 eine reale Bedrohung dar: Hätten sie sich durchgesetzt, wären Kriege um die Grenzen 'nationaler' Staaten unvermeidlich und ein Umgang mit inneren Gegnern zu erwarten gewesen, wie ihn "Selbstmordterroristen" (231) wie Sand bereits auslebten: die Tötung missliebiger Personen im Stile der Terror-Phase der Französischen Revolution. Dagegen seien die staatlichen Repressionsmaßnahmen - meist lange Haft oder Verbannung, selten Hinrichtungen, bisweilen Konfiskationen von Vermögen - eher milde gewesen. [2]
Zamoyskis Buch weist dieselben Stärken auf wie seine vorangegangenen Werke. Es beruht auf einer breiten Lektüre einschlägiger gedruckter Quellen und Archivbestände aus Großbritannien, Frankreich, Österreich und Deutschland. Dabei macht es allerdings die Zitationspraxis, die Publikationen und Archivalien in einer Fußnote kombiniert, schwer, nachzuvollziehen, welche Details aus den ungedruckten Quellen stammen und ob diese für die Argumentation wesentlich sind. Das Buch ist klug komponiert und voller interessanter, kurioser und lustiger Details über Bestechungen, Verwechslungen, Provokationen, amouröse Verwicklungen und biografische Brüche, deren Struktur sich freilich im Verlauf der Lektüre oft wiederholt. Was Zamoyski im Verlauf der Erzählung gut gelingt, ist, plausibel zu machen, dass die Furcht vor einer revolutionären Gegenwelt, die in der Erfindung eines "comité directeur" als schemenhaftem Kopf einer europäischen Revolutionsverschwörung gipfelte, zumindest für Teile von Europas monarchischen und den Monarchien nahestehenden Eliten eine Bedeutung hatte, die exekutive Politik bestimmen konnte.
Dem stehen allerdings einige Einschränkungen gegenüber. Der Fokus auf die Perspektive der Herrschenden ist zwar angesichts der Fragestellung legitim, führt aber dazu, dass Ziele und Ursachen von Oppositionsbewegungen wenig präzise rekonstruiert werden und viele radikale Akteure gar nicht in den Blick geraten, obwohl sie auch mit der Polizei in Konflikt gerieten - Figuren wie Georg Büchner oder Karl Marx (als Teilnehmer, nicht als Interpret von Ereignissen oder Lektüre späterer russischer Oppositioneller) sucht man im Register vergeblich; anders als der Herzog von Berry wurden sie aber dort nicht übersehen, sondern kommen auch im Text gar nicht vor. Das lässt die Revolutionen von 1830 oder 1848 fast völlig überraschend über eine vorher als umfassend kontrolliert geschilderte Welt hereinbrechen - was wiederum daran liegt, dass die Existenz einer Opposition gegen die dominante Politik innerhalb der Eliten fast nur für das Militär ausführlich diskutiert wird (wo sie nach der Niederschlagung von Putschversuchen in Italien, Spanien und Russland sowie nach dem Sieg über die polnische Revolution von 1830 weitgehend gebannt erscheint), nicht aber für Verwaltung, Politik und Justiz. Die Bedeutung von Rechtstaatlichkeit und Justizwesen scheint nur in den zahlreichen berichteten Freisprüchen auf, wird aber kaum systematisch oder im Vergleich der untersuchten Länder diskutiert. Der Verzicht auf eine Aufarbeitung des Forschungsstandes zur politischen wie 'gewöhnlichen' Polizei, Justiz, Presse, parlamentarischen Debatten und politischen Konflikten schließt aus, dass die These, die "Politik der Ordnung" habe geholfen, "den modernen Staat [zu] formen" (120) wirklich plausibel gemacht werden kann; hier läuft das Buch Gefahr, die Bedeutung des Spitzelwesens für die Beobachtung von Elitenangehörigen oder die Bewohner von Hauptstädten auf die Gesellschaft im Allgemeinen zu übertragen, wie es überhaupt nur in wenigen Episoden - etwa der sehr gelungenen detaillierten Rekonstruktion der Demonstration von "Peterloo" - auf die lokale oder regionale Ausprägung von Staatlichkeit eingehen kann.
Das ändert freilich nichts daran, dass das Buch vielfältige Einsichten eröffnet und als engagiertes Plädoyer gegen eine allzu positive Sicht auf die Restaurationszeit die Lektüre lohnt.
Anmerkungen:
[1] Adam Zamoyski: 1812: Napoleons Feldzug in Russland, München 2012 (engl. 2004); 1815: Napoleons Sturz und der Wiener Kongress, München 2014 (engl. 2007); dazwischen erschienen Warsaw 1920: Lenin's Failed Conquest of Europe, London 2008; Poland: A History, London 2009 sowie Chopin: Prince of the Romantics, London 2010 (dt. 2010).
[2] Exemplarisch Wolfgang Siemann: Metternich: Stratege und Visionär, München 2016 sowie Wolfgang Behringer: Tambora und das Jahr ohne Sommer: Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte, München 2015. Einen differenzierten Überblick der Diskussionen bietet z.B. Jean Claude Caron / Jean-Philippe Luis (Hgg.): Rien appris, rien oublié? Les Restaurations dans l'Europe postnapoléonienne (1814-1830), Rennes 2015.
Andreas Fahrmeir