Sven Wirth / Laue Anett / Markus Kurth u.a. (Hgg.): Das Handeln der Tiere. Tierliche Agency im Fokus der Human-Animal Studies, Bielefeld: transcript 2016, 269 S., ISBN 978-3-8376-3226-2, EUR 29,99
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Reingard Spannring / Reinhard Heuberger / Gabriela Kompatscher u.a. (Hgg.): Tiere - Texte - Transformationen. Kritische Perspektiven der Human-Animal Studies (= Human-Animal Studies), Bielefeld: transcript 2015, 388 S., ISBN 978-3-8376-2873-9, EUR 29,99
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Arianna Ferrari / Klaus Petrus (Hgg.): Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen (= Human-Animal Studies), Bielefeld: transcript 2015, 475 S., ISBN 978-3-8376-2232-4, EUR 29,99
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Peggy McCracken: In the Skin of a Beast. Sovereignty and Animality in Medieval France, Chicago: University of Chicago Press 2017
Alison Langdon (ed.): Animal Languages in the Middle Ages. Representations of Interspecies Communication, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2018
Patrick Masius: Schlangenlinien. Eine Geschichte der Kreuzotter, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014
Barbara Wittmann: Intensivtierhaltung. Landwirtschaftliche Positionierungen im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021
Felix Lüttge: Auf den Spuren des Wals. Geographien des Lebens im 19. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2020
Thomas Wünsch: Der weiße Adler. Die Geschichte Polens vom 10. Jahrhundert bis heute, Wiesbaden: marixverlag 2019
Anita Prażmowska: Władysław Gomułka. A Biography, London / New York: I.B.Tauris 2016
Johannes Frackowiak: Wanderer im nationalen Niemandsland. Polnische Ethnizität in Mitteldeutschland von 1880 bis zur Gegenwart, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011
In gar nicht einmal so lange zurückliegenden Zeiten wurde die Formulierung "Was mit Tieren!" lediglich als Antwort vor allem weiblicher Heranwachsender auf die Frage nach ihrem Berufswunsch zur Kenntnis genommen. Heute dagegen ist es kaum noch möglich, auf dem Gebiet der Kulturwissenschaften einen Überblick über das boomende Feld der "Human-Animal-Studies" (HAS) zu bewahren. [1] Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass es derzeit keine andere Forschungsrichtung gibt, die sich mit einer vergleichbaren Dynamik entwickelt. In gewisser Weise hat sie damit das Erbe der gender studies angetreten, mit denen sie auch sonst viel verbindet. Bandbreite und Niveau der Arbeiten der deutschsprachigen Forschung sind dabei höchst unterschiedlich. Gegenüber der methodisch wie inhaltlich nach wie vor dominierenden anglo-amerikanischen Wissenschaft lässt sich durchaus eine nachholende Entwicklung ausmachen. Bei der Besprechung der vorliegenden drei Sammelbände, die allesamt zwischen 2015 und 2016 bei transcript erschienen sind, kann schon aus Platzgründen nicht auf alle Beiträge eingegangen werden, es soll aber insgesamt auf Impulse für die Geschichtswissenschaft geachtet und auf Entwicklungen hingewiesen werden, denen sie eher nicht folgen sollte.
Der spannendste und innovativste der drei Bände ist der Frage potenzieller tierischer Agency gewidmet. Die Herausgeber aus dem durch mehrere Publikationen einschlägigen Chimaira-Arbeitskreis für Human-Animal-Studies setzten sich in Fortsetzung der Überlegungen von McFarland / Hediger zum Ziel, aus verschiedenen Perspektiven auszuleuchten, ob und wie Tiere handeln, insbesondere aber wie der Handlungsbegriff theoretisch gefasst werden soll. [2] Wie nicht anders zu erwarten war, fielen die Antworten unterschiedlich aus. Die kenntnisreiche Einleitung versucht zunächst, diverse Agency-Begriffe zu definieren. Dabei werden subjekttheoretische Handlungsmodelle, die Betonung von Handlungskapazitäten und der Standpunkt des Neuen Materialismus herausgehoben, ohne auf ältere theoretische Überlegungen detaillierter einzugehen. Für Leserin oder Leser wäre etwa ein Hinweis auf den zusammenfassenden Beitrag Bruno Latours aus dem Jahr 2014 hilfreich gewesen. [3]
Schon zu Beginn wird klar, dass die naturwissenschaftlichen Studien zum Verhalten von nicht-menschlichen Tieren zum einen in vielerlei Hinsicht noch unvollständig sind, zum anderen die scharfe Trennung von Tieren und Menschen so keinesfalls mehr haltbar ist. Gleiches gilt für ältere soziologische und philosophische Darstellungen, die Tieren generell Agency kollektiver oder individueller Art absprechen. Auch der Begriff der Intentionalität, der häufig auf der Basis menschlichen Einfühlens und Projizierens eigener Vorstellungen auf Tiere angewendet wird, hat im Bereich der HAS an Bedeutung verloren. Stattdessen treffen verstärkt praxeologische Ansätze im Sinne von Anthony Giddens mit weiterreichenden Modellen temporärer Interaktion im Sinne der Latourschen Akteur-Netzwerk-Theorie aufeinander. Eine weitere Zuspitzung erfolgt schließlich im New Materialism, in dem die Netzwerkstrukturen radikalisiert und ihre Effekte unter Reduzierung der Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt herausgestellt werden. Eine Lösung oder Empfehlung wollen die Herausgeber nicht anbieten und benennen - stattdessen die offenen Fragen und Probleme. Hilfreich ist in jedem Fall der Hinweis, dass lediglich Analysen der sozialen Realität in einer gegebenen Situation tierliche Handlungskapazitäten identifizieren können (32). Der Verweis auf die Notwendigkeit der Untersuchung der Machtverhältnisse lenkt den Blick auf den nach wie vor vorhandenen starken Einfluss der "kritischen" Human-Animal-Studies. Die Bemerkung, die Gefahr sei virulent, tierliche Möglichkeitsräume zu überschätzen, ist mehr als angebracht, auch in Bezug auf einige Beiträge des Bandes selbst. Diese sind in die beiden Untergruppen "Transdisziplinäre Konzeptualisierungen" und "Konkrete Tiere und ihre Agency" unterteilt.
Aus historischer Perspektive muss der Beitrag Mieke Roschers, die sich in den letzten Jahren wie keine zweite im deutschsprachigen Raum um die Verbindung theoretischer Ansätze aus den Kulturwissenschaften und quellengestützter geschichtswissenschaftlicher Analyse verdient gemacht hat, besondere Aufmerksamkeit wecken. Unter stärkerer Berücksichtigung des gesellschaftlichen Faktors bemüht sie sich um die Ausdifferenzierung verschiedener Formen von Agency im Rahmen einer sich methodisch weiter öffnenden Sozialgeschichte. In Bezug auf Tiere plädiert sie für eine sichtbare Unterscheidung zwischen Wirkungsmacht und Handlungsmacht. Erstere betont in Anwendung der Akteur-Netzwerk-Theorie die Effekte tierischen Handelns auf den Menschen, weniger das Tier und sein "Wollen" selbst, und ist damit den klassischen Vorstellungen einer Unterscheidung von Subjekt und Objekt näher als letztere, die - wenn überhaupt - höchstens im Verhalten individueller Tiere "nachzuweisen" ist. Roscher tritt nun für eine deutlichere Akzentuierung des Sozialen ein, um das Besondere der Tiere etwa im Vergleich zu unbelebten Gegenständen herauszuarbeiten. Im Rahmen einer solchen "relationalen Agency" erscheint das Zusammenwirken von Mensch und Tier, und sei es auch nur temporär, als eigentliche Untersuchungsebene, bei der Körperlichkeit wie Textualität gleichermaßen wichtig, weil miteinander verknüpft, sind. Ob es dafür eines starken Agency-Begriffs überhaupt bedarf, überlässt Roscher der weiteren Diskussion. Mit diesem taktischen Kniff gelingt es ihr, die Aufmerksamkeit von einem allzu modisch eingesetzten Handlungsverständnis wegzulenken, ohne die Rolle der Tiere zu über- oder zu unterschätzen. Eine Möglichkeit, Agency zu rahmen, findet sich in Dominik Ohrems spannendem Versuch, den Begriff der "passiven Verwundbarkeit" nicht allein als Gegenmodell zu einer "aktiven Handlungsmacht" zu verstehen, sondern ihn mithilfe des Korporalitätskonzepts an diese zu binden. Methodisch ist damit eine stärkere und positivere Berücksichtigung emotionsbezogener Elemente verbunden, wie sie zuletzt auch Andreas Reckwitz eingefordert hat. [4] Verletzbarkeit wird damit auch zu einer Offenheit für Neues. Tiere sind damit nicht nur Opfer menschlichen Handelns, sondern mit den Menschen durch ihre Körperlichkeit im Sinne Jean-Luc Nancys verbunden. Der zur Welt offene Körper schafft somit die Voraussetzung für eine Vielfalt temporär verstandener Handlungsmöglichkeiten. Auch wenn der Historiker Ohrem sich hier nicht auf konkrete empirische Beispiele bezieht, so liegen Anwendungsfelder nicht nur im Bereich der HAS auf der Hand, bei denen eine zu starke Betonung des Individuums etwa im Kontext der klassischen Biografik vermieden werden könnte.
Ein weiterer Beitrag, der die Individualität von Tieren ernst zu nehmen versucht, ohne die methodische Einbettung vermissen zu lassen, beschäftigt sich mit Ausbrüchen aus Schlachthöfen und den menschlichen Reaktionen darauf. Markus Kurth hat dabei gerade die gesellschaftlichen Auswirkungen solcher Fälle im Blick. Dabei berücksichtigt er nicht nur das Latoursche Modell, sondern versucht ganz zu Recht, das vermeintlich zu Tode zitierte Biopolitikkonzept Foucaults auf den tierischen Sektor anzuwenden und weiterzuentwickeln, indem der Aspekt von Macht und Gewalt in ein größeres Ganzes eingebettet wird. Tierischer Widerstand greift in einem Ort exzessiver, antiindividualisierter Gewalt, wie ihn der Schlachthof darstellt, die Fortführung routinisierter Handlungspraktiken an und stellt das System selbst in Frage. Kurth gesteht dabei den Anekdoten tierischer Fluchten, wie wir sie aus Zeitungsberichten kennen, einen höheren Stellenwert zu als nur den des Erweckens kurzzeitiger Aufmerksamkeit. Mit Donna Haraway versteht er sie als lokale geschichtliche Wissensformen, die nicht nur das Feld der Möglichkeiten beschreiben, sondern zudem blinde Flecken der Wahrnehmung füllen. Eine potenzielle Übertragbarkeit auf vermeintlich kontingente historische Quellen ist hier durchaus naheliegend. Insgesamt ist ein äußerst inspirierender Band entstanden, der in seinen Angeboten zu Theorie und Methodik aus der Fülle der Publikationen zu den HAS deutlich heraussticht.
Der von Reingard Spannring und fünf KollegInnen herausgegebene Band zu kritischen Perspektiven der HAS bietet ebenfalls einige interessante Ansätze für auf historische Prozesse fokussierte Kulturwissenschaftler und Kulturwissenschaftlerinnen. In ihm wird allerdings deutlich, dass die Vielfalt der Forschungsfelder ein einheitlicheres methodisches Verständnis der HAS auch behindern kann. Es hätte vermutlich geholfen, wenn die HerausgeberInnen in ihrem Einführungsbeitrag jenseits des flott formulierten Buchtitels versucht hätten, gemeinsame Aspekte zu formulieren. So bleibt eher der Eindruck einer Buchbindersynthese, die durchaus eine Reihe interessanter Fragen anspricht, in ihrer Gesamtheit aber zu wenig Antworten liefert. Wie unterschiedlich der Zugang zum Thema aussehen kann, zeigen die beiden Beiträge, die sich mit Beispielen aus der Vormoderne befassen. Johannes Gießauf stellt auf eher traditionelle, kulturgeschichtliche Art und Weise Quellen zum Verhältnis von Menschen und Pferden bzw. der Wahrnehmung letzterer bei den Mongolen vor, Pia F. Cuneo widmet sich demselben Tier anhand eines Augsburger Traktats aus dem späten 16. Jahrhundert. Sie versucht, dieses erste deutschsprachige Buch über Pferdezucht und -haltung aus der Feder Marx Fuggers in den Kontext heutiger posthumanistischer Debatten zu stellen. Auf textueller Basis erklärt sie Fuggers Einsatz humanistischer Stilmittel als rhetorischen Trick, der letztlich dazu diene, diese Paradigmen zu dekonstruieren bzw. sie in alternative Diskurse zu überführen. Zentraler für den Autor seien tatsächlich der praktische Umgang mit den Tieren und die "Liebe zur Natur" gewesen. Der emotionale Umgang, ja, die Liebe, zu den Pferden, die mit menschlichen Epitheta belegt werden, ist demnach nicht nur Konvention, sondern Ausdruck der Empfindsamkeit Fuggers. Auch wenn die Belege für diese These etwas dünn ausfallen, so bieten sie doch zumindest einen Ansatz für eine andere Lektüre frühneuzeitlicher Texte über Tiere.
Neben Beiträgen, die sich mit Tieren in Kunst, Literatur, Musik, Philosophie, Biologie und Recht beschäftigen, finden sich in dem Band weitere Studien mit einem historisch-anthropologischen Bezug. Andrea Penz gibt einen kurzen Überblick über den internationalen Wildtierhandel. Dabei erscheint freilich weniger die durch den Umfang vorgegebene Verkürzung und Vereinfachung des Themas als zentrales Problem als der moralische Impetus, der sie antreibt. Niemand wird ja die Grausamkeit des Umgangs mit Wildtieren je bestreiten, es stellt sich jedoch hier wie generell in einer Vielzahl von Texten insbesondere der Critical Animal Studies die Frage nach dem Mehrwert solcher Wertungen für die kulturwissenschaftliche Forschung. Zudem zieht die Autorin überwiegend nicht die Originalquellen heran, sondern verwendet monografische Arbeiten der letzten Jahre, was die Tiefenschärfe der Aussagen reduziert.
Interessanter erscheint dagegen die Verbindung von HAS und iconic turn, wie sie in Reeta Kangas' Analyse von Karikaturen mit Haustieren aus der sowjetischen Parteizeitung "Pravda" zwischen 1965 und 1982 aufscheint. Abgesehen davon, dass die Autorin den von ihr verwendeten Propaganda-Begriff nicht hinterfragt, werden die diversen Zuschreibungen des Zeichnerkollektivs Kukryniksy sehr gelungen kontextualisiert. Die Unterscheidung zwischen Haus- und Arbeitstieren sowie Vieh ermöglicht es, gewisse Differenzierungen sichtbar zu machen, wenngleich die Tiere nicht überraschend in ihrer vom Menschen abhängigen Form dargestellt werden und sich die Bilder von ihnen in einem relativ engen kulturellen Kontext bewegen, der vom sowjetischen Leser leicht verstanden werden kann. Bei diesem wie einigen weiteren Beiträgen wie der Untersuchung des Mensch-Tier-Verhältnisses zwischen britischen Bauern und ihren Nutztieren im Kontext des Ausbruchs der Maul- und Klauenseuche im Jahr 2001 hätte man sich die Darstellung ausführlicher gewünscht, um den empirischen Aspekt einerseits und die methodische Vorgehensweise andererseits deutlicher hervortreten zu lassen. Hier stößt das Sammelbandkonzept eindeutig an seine Grenzen.
Der dritte hier zu besprechende Band ist als Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen angekündigt, was zumindest im Kontext des klassischen bildungsbürgerlichen Kanons von vornherein eine Überblicksdarstellung auf hohem, generalisierendem Niveau verspricht. Die Herausgeber künden in ihrem Vorwort an, "das faszinierende Forschungsfeld im deutschsprachigen Raum weiter bekannt zu machen" (9). Von dieser sprachlich unglücklichen Formulierung einmal abgesehen wird weiterhin proklamiert, Tiere aus ihrer Opfer- und Objektrolle zu befreien und "sie als eigenständige Individuen zu begreifen" (ebd.). Versprochen wird eine methodologische Offenheit ohne normativen Anspruch. Während dieser Ansatz - man muss fast sagen: leider - weitgehend eingelöst wird, sind die Kriterien für die Auswahl der Lemmata unklar. Da Lexika normalerweise nicht gelesen, sondern als Nachschlagewerk benutzt werden, ist es für eine Rezension nur möglich, sich auf einzelne Beiträge zu konzentrieren. Es ist vermutlich unvermeidlich, dass bestimmte Themen komplett fehlen, die man eigentlich erwartet hätte. Da es aber kein übergreifendes Konzept gegeben zu haben scheint, sind auch Qualität und Aussagekraft der Darstellung extrem unterschiedlich. Häufig überwiegt die moralische Bewertung eines Fakts die inhaltliche Information, mitunter sogar soweit, dass der Rezensent einen Beitrag als unfreiwillige Parodie empfunden hat, wie in Edward Dodingtons sektiererischem Text über "Architektur". Darin heißt es u.a., Architektur habe seit jeher dazu gedient, die Räume von Tieren zu begrenzen und ihr Leben zu beherrschen (41). Auch Martin Balluchs Interpretation der Jagd geht über Platituden ("Freizeitspaß der oberen 10.000") kaum hinaus. Ein zentraler Artikel wie der von Klaus Petrus über HAS fällt dagegen viel zu kurz aus und trifft nicht immer die wesentlichen Punkte des breiten Forschungsfeldes. Dass es trotz knappen Raums anders geht, zeigen die Lemmata von Arianna Ferrari über "Posthumanismus" oder von Julia Fischer über "Emotion", die die wichtigsten Aspekte dieser komplexen Themen sehr wohl erfassen. Auch Marcel Sebastians Beitrag über das heikle Thema "Holocaustvergleich" in Bezug auf Tierhaltung stellt den Informationswert über etwaige moralische Aussagen, während Colin Salter den "Krieg" zur Verbreitung kruder Ideologien nutzt.
Die Kritik am Konzept des Lexikons und seiner Umsetzung spiegelt in gewisser Weise die Situation in den Mensch-Tier-Studien selbst wider, wo das Sammelsurium miteinander konkurrierender Strömungen kaum mehr zu überblicken ist. Auch der Schwerpunkt auf dem anglo-amerikanischen Bereich unter weitgehender Vernachlässigung anderer Weltregionen ist in gewisser Weise dem Forschungsstand, vielleicht aber auch der Auswahl der Bearbeiter und Bearbeiterinnen, geschuldet. Es ist sicherlich kein Zufall, dass in diesem Band die Beiträge am kohärentesten ausfallen, die sich mit Fragen der Ethik und der Philosophie befassen. Beispielhaft gelungen ist dies etwa in Markus Wilds Artikeln zu "Bewusstsein" und "Geist der Tiere". Erfreulich ist, dass vereinzelt Detailaspekte aufgenommen werden, die man nicht unbedingt erwartet hätte, die aber interessant zu lesen sind, zum Beispiel Colin Goldners Lemma zum "Great Ape Project" oder Judith Benz-Schwarzburgs und Sabrina Brandos Stichwort "Meeressäuger", wenngleich letzteres Delfine und Wale stellenweise etwas unkritisch überhöht.
In redaktioneller Hinsicht ist das Lexikon gelungen, zumal zu jedem Artikel eine Auswahl weiterführender Literatur hinzugefügt wurde und die Register ein schnelles Auffinden von Personen und Begriffen ermöglichen. Zurückbleibt insgesamt aber ein eher zwiespältiger Eindruck, bei dem positive wie negative Aha-Erlebnisse nebeneinanderstehen.
Es wäre ein Leichtes, diese Sammelrezension um ähnliche Bände zu ergänzen. Die Menge an Publikationen zu den HAS zeigt, wie sehr dieses Thema in Mode ist. Die thematische und methodische Vielfalt mit all ihren Stärken und Schwächen demonstriert zudem die Offenheit des Feldes, wobei die wichtigsten theoretischen Anregungen zweifellos weiterhin aus dem posthumanistischen Umfeld im englischsprachigen Raum, aber auch aus Skandinavien, kommen. Aus der Perspektive der historischen Kulturwissenschaften fällt auf, dass quellennahe Forschung auf einer soliden methodologischen Basis durchaus stattfindet, mitunter jedoch weiterhin die heute gerne auch "thick description" genannte positivistische Erzählung mit Tieren als Objekten zu finden ist. Eine solche Mischung innovativer und traditioneller Ansätze kennen wir freilich noch aus den Zeiten, als die gender studies Einzug in die Wissenschaftslandschaft gehalten haben.
Anmerkungen:
[1] Vergleiche dazu den ausführlichen Literaturbericht von Mieke Roscher: Darf's ein bisschen mehr sein? Ein Forschungsbericht zu den historischen Human-Animal Studies, in: H-Soz-Kult, 16.12.2016, www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-2699.
[2] Sarah E. McFarland / Ryan Hediger (eds.): Animals and agency: an interdisciplinary exploration, Leiden 2009.
[3] Bruno Latour: Agency at the time of Anthropocene, in: New Literary History 45 (2014), 1-18.
[4] Andreas Reckwitz: Affective spaces: a praxeological outlook, in: Rethinking History 16 (2012), Nr. 2, 241-258.
Markus Krzoska