Thierry Lassabatère: Du Guesclin. Vie et fabrique d'un héros médiéval, Paris: Editions Perrin 2015, 543 S., ISBN 978-2-262-04178-6, EUR 25,00
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Ein obskurer bretonischer Kleinadliger, aber in der königlichen Grablege Saint-Denis beigesetzt, der zur Titelfigur von Comics aufstieg und dem man Denkmäler errichtete (von denen eines von Separatisten 1989 gesprengt wurde) - wie kam es zu dieser erstaunlichen Karriere in Mitwelt und Nachwelt? Bertrand Du Guesclin (ca. 1320-1380) ist auch heute noch einem historisch halbwegs informierten Publikum in Frankreich bekannt. Die neue biographische Studie von Thierry Lassabatère zeigt, warum dies so ist.
Was man über Du Guesclin weiß, ist meist über die Chanson de Bertrand Du Guesclin Cuveliers vom Ende des 14. Jahrhunderts überliefert, von der es allerdings sieben verschiedene Fassungen gibt und bei der es sich um einen eindeutig literarischen Text handelt (15). Weitere Informationen liefern unter anderem Froissart, Christine de Pizan und administratives Schriftgut. In vorbildlicher Offenheit wird das Verhältnis der Informationen zueinander geprüft und im Hinblick auf die jeweilige Plausibilität diskutiert. Der zeitnahen Überlieferung wird gegenüber späterer Überformung tendenziell der Vorzug gegeben, doch erfordert dies teilweise ein Abwägen verschiedener Textstufen und einen Handschriftenvergleich, so dass diese Aufgabe nicht leicht zu lösen ist.
Das Leben des Bertrand Du Guesclin begann in der kleinen Herrschaft Broons in der Nähe von Dinan im heutigen Département Côtes d'Armor in der nördlichen Bretagne. Der historische Hintergrund ist der von Pest und Hundertjährigem Krieg; in einem gelungenen Überblick (Kapitel 1: Les temps désordonnés, 23-47) wird umrissen, was das für die Bevölkerung, aber auch die Wirtschaft Frankreichs bedeutete. Für die frühen Jahre Du Guesclins (Kapitel 2: Enfances d'un héros épique, 49-79) sind wir auf die Chanson Cuveliers angewiesen. Thierry Lassabatère weist nach, wenn Motive aus der Tradition der Chansons de geste auch Du Guesclin zugeschrieben werden, versucht aber dennoch, der literarischen Stilisierung des energiegeladenen Jugendlichen eine gewisse Plausibilität abzugewinnen.
Ab 1350 ist Bertrand Du Guesclin tatsächlich fassbar, sowohl in der schriftlichen Überlieferung als auch in Berichten über militärische Aktionen. Das entsprechende Kapitel 3 (Le dogue noir de Brocéliande, 81-131) differenziert hier zwischen mittelalterlicher literarischer Stilisierung, der eher unscheinbaren Gestalt des Adligen in der urkundlichen Überlieferung bis dahin und der späteren Aneignung als Heldengestalt im Kampf gegen den englischen Eindringling. Bei der Belagerung von Melun im Jahr 1359 zeigt Cuvelier seinen Helden in einer ebenso prekären wie grotesken Situation: Er fällt ins Wasser, steckt mit dem Kopf im sumpfigen Untergrund, die Füße ragen aus dem Wasser. Man rettet ihn und lässt ihn auf einem dampfenden Misthaufen wieder zu sich kommen, worauf Du Guesclin sofort wieder ins Kampfgetümmel eingreifen möchte (156). Solche Versatzstücke markieren die Verbindung Cuveliers mit den Chansons de geste und sollten nicht wörtlich genommen werden, auch wenn sie später gerne erzählt wurden.
Das Jahr 1364 markiert für Du Guesclin wohl einen Wendepunkt (Kapitel 5, "L'année que nous aurons honneur": 1364, 175-238). Der militärische Erfolg von Cocherel und die Thronbesteigung von König Karl V. von Frankreich als Nachfolger Johanns II. des Guten wurden oft als positive Wendung in der französischen Geschichte angesehen. Du Guesclin war an der militärischen Aktion maßgeblich beteiligt und vom neuen König zum Grafen von Longueville in der Bretagne erhoben worden. Sein wachsendes Prestige und sein steigender Bekanntheitsgrad lassen sich auch daran ablesen, dass er, im Laufe seiner Karriere mehrmals in Gefangenschaft geraten, Gegenstand immer höherer Lösegeldforderungen wurde. Als Anführer von Söldnertruppen wurde Du Guesclin auch in Spanien aktiv und war dort an der Beseitigung König Peters I. von Kastilien beteiligt (Kapitel 6: La croisade espagnole, 239-332). Indem er die Söldner außer Landes führte, konnte er Frankreich von diesen gefährlichen Gruppen entlasten und obendrein den englischen Interessen auch auf der iberischen Halbinsel Schaden zufügen. In spanischen Quellen wird er wegen Peters Tod als Verräter angesehen, die französischen Quellen äußern sich zu diesen Vorgängen eher sparsam. Der Autor legt dies dar und ist hier wie auch sonst weit entfernt davon, aus Du Guesclin einen Helden ohne Furcht und Tadel zu machen.
Die Krönung der Laufbahn Du Guesclins war die Erhebung zum Konnetabel durch den König im Jahr 1370 (Kapitel 7: "B. Du Guesclin, connestable de France", 333-410). Das Amt wird in seiner Geschichte und Bedeutung charakterisiert und mit Rückgriff auf militärisch informierte Autoren (und nicht zuletzt Christine de Pizan) im Hinblick auf die Anforderungen an den Amtsinhaber skizziert. In geduldiger Detailarbeit kann Lassabatère nachweisen, dass es recht stabile Ämterhierarchien bei der Auflistung von Würdenträgern gab, Du Guesclin hier aber zum Beispiel bei Froissart weiter oben erscheint, als sein Rang erwarten ließe. Eine besondere Nähe zum König und eine besondere Wertschätzung scheinen also tatsächlich gegeben, wenn ihm auch manche militärischen Aktionen erst nachträglich zugeschrieben wurden. Auch die wiederholten Gefangennahmen, die nicht zuletzt den König teuer zu stehen kamen, lassen Du Guesclin nicht eben als strategisches Genie erscheinen. Sein Ruhm jedoch ließ andere neben ihm verblassen.
Das Schlusskapitel (Conclusion: mort et transfiguration, 410-433) greift diesen Umstand noch einmal auf. In der Chanson Cuveliers wird die Hauptfigur Du Guesclin betont stark charakterisiert, der König eher schwach (auch hier in der Tradition der Chansons de geste stehend). Der starke Krieger, der dennoch (angeblich) stets loyal zu seinem König handelte, bildet den Anknüpfungspunkt für spätere nationale Aneignungen. Ein Glanzstück der Interpretation bildet die Untersuchung der verschiedenen Textfassungen bei Froissart. Das erste Buch der Chroniques wurde gegen Ende der 1370er Jahre verfasst, aber etwa 1391 überarbeitet, und zwar in einer Weise, die es zu einem "exemple inégalé de réécriture systématique dans la perspective du héros et au détriment des princes" macht (430). Der Grund dürfte im zeithistorischen Kontext liegen: Eustache Deschamps und andere beklagten in den 1380er Jahren den mit der Thronbesteigung Karls VI. von Frankreich eingetretenen Wandel, die Regierung Karls V. wurde zur guten alten Zeit, sein Konnetabel Du Guesclin, der 1380 im gleichen Jahr wie der König gestorben war, zunehmend idealisiert. 1388 nun konnten die erprobten Netzwerke wieder in hohe Positionen zurückkehren. 1389 wurde eine große Gedenkfeier für Du Guesclin in Saint-Denis inszeniert, mit der unterstrichen wurde, dass dieser eine so herausragende Gestalt war, dass ihm eine Bestattung bei den Königen zukomme.
Der Darstellung folgen die Anmerkungen (435-502, auch dieser Verlag mutet den Lesern lästiges Blättern zu). Nicht immer steht dort ein konkreter Beleg für alles, was im betreffenden Absatz des Fließtextes dargelegt wurde. Das Buch enthält weiterhin eine Strukturierung der Chanson in ihre 75 rhetorischen Sequenzen, eine Chronologie des Lebens Du Guesclins, genealogische Tafeln, ein nachhaltig von französischen Titeln dominiertes Literaturverzeichnis und ein Register der Personen.
Es ist ein besonderes Lesevergnügen, der Formulierungslust des literarisch gewandten Autors zu folgen (vgl. etwa 9-10, 133). Manche Wendungen würde man in einer mediävistischen Darstellung kaum erwarten, manche Zuschreibungen erfordern ebenso historisches Hintergrundwissen wie einen breiten Lektüreschatz (Du Guesclin in Cuveliers Schilderung als "ennemi des Anglais, un Grand Ferré avant l'heure, une espèce d'Astérix médiéval désireux d'en découdre avec l'envahisseur", 85). Die immer wieder angeführten Interpretationen der Vorgänger wie Siméon Luce, Raymond Cazelles und Georges Minois werden gegeneinander abgewogen und oft tatsächlich durch neue Einsichten ersetzt. In der Tradition der Darstellungen Georges Dubys zu Guillaume le Maréchal, dem 'Sonntag von Bouvines' und Jacques Le Goffs zu Ludwig IX. stehen die Ebene der ermittelbaren Fakten und die Ebene der späteren Interpretationen, Stilisierungen und Aneignungen nebeneinander. Man merkt dem Buch an, dass sein Autor etliche Schauplätze persönlich besucht hat und hier jahrelange Vorarbeiten verarbeitet. Das Buch vermag, was man sich von einer solchen Darstellung wünscht: prodesse et delectare.
Julian Führer