Rudolf Agstner / Rolf Steininger (Hgg.): Israel und der Nahostkonflikt 1976-1981. Berichte des österreichischen Botschafters Dr. Ingo Mussi, Innsbruck: innsbruck university press 2016, 229 S., 24 Abb., ISBN 978-3-902936-89-9, EUR 29,90
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"Die ganze Atmosphäre erinnert in ihrer Verhetztheit fatal an das Europa der Zwischenkriegszeit", schrieb der österreichische Botschafter Ingo Mussi am 15. Juni 1981, zwei Wochen vor der israelischen Parlamentswahl, aus Tel Aviv nach Wien (208). Es ging um den äußert aggressiv geführten Wahlkampf des umstrittenen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin. Am Ende stand Begins Wahlsieg mit dem nationalkonservativen Likud von 37,1%. Die von ihm angeführte Koalition stellte die Regierungsmehrheit von 64 der 120 Abgeordneten in der Knesset.
1977 war Begin als erster Likud-Politiker in das Amt gelangt, nachdem er zuvor lediglich in der Opposition und im Untergrund politisch aktiv gewesen war. Damit führte er 1977 den Likud zum ersten Mal in seiner Geschichte in die Regierungsverantwortung. Aus Sicht des österreichischen Botschafters war dies eine "historische Wendemarke in der Geschichte des Staates." (209)
Zu Beginn der vorliegenden Publikation, die im Wesentlichen die israelische Politik aus der Sicht des österreichischen Botschafters in Tel Aviv wiedergibt, steht eine kurze biographische Einordnung dieses engen Vertrauten von Bundeskanzler Bruno Kreisky, der bekanntlich für die Nahostpolitik auf internationaler Ebene eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. [1] Es folgt auf rund 30 Seiten eine Einordnung der von Agstner und Steininger präsentierten Dokumente in den historischen Kontext. Bei diesen Dokumenten handelt es sich um 59 politische Berichte des Botschafters, die zwischen November 1976 und Juni 1981 entstanden sind und alle an den österreichischen Außenminister Willibald Pahr adressiert waren. Sie sind im Hauptteil des Bandes ediert und mit knappen Anmerkungen versehen. Abgerundet wird die Darstellung durch ein hilfreiches Personenverzeichnis.
Das Buch schließt sich an zwei bereits erschienene Quellenedition an: An die von denselben Herausgebern 2006 veröffentlichten politischen Berichte der Vorgängerin Mussis, der österreichischen Botschafterin Johanna Nestor [2] sowie an die mehrbändige Aktenedition "Berichte aus Israel", die Berichte österreichischer Diplomaten zwischen 1946 und 1972 enthält [3].
Neben der "Innensicht von außen" auf die Stimmung in Israel während der Verhandlungen über eine Friedenslösung für den Nahen Osten in Camp David findet sich in den Quellen ein zweiter Aspekt: interessante Schlaglichter auf die Regierung Begin, die als eine der spektakulärsten der neuesten Geschichte Israels angesehen werden muss. Die Dokumente geben damit den Blick frei auf die innenpolitische Entwicklung und den inneren Zustand Israels, den es in dieser Form sonst kaum gibt.
Israel hatte schon seit längerem mit erheblichen innenpolitischen Problemen zu kämpfen. Eine horrende Inflation von 135 Prozent setzte der Bevölkerung zu, der Streit über den illegalen Siedlungsbau von Elon Moreh führte 1979 beinahe zur Auflösung der Regierung. Begins "Politik der harten Hand" gegenüber den Palästinensern in der Westbank ab 1980 führte zur stärkeren Solidarisierung der dortigen Bevölkerung mit der PLO und zunehmenden Terrorakten. Der scharfe Wahlkampf 1981 musste dieser Entwicklung Rechnung tragen. Immer wieder zog Mussi in seinen Berichten dabei historische Vergleiche. So schrieb er in einem seiner Berichte im Herbst 1979, Israel sei in seinem momentanen Zustand "am ehesten mit dem Frankreich zur Zeit der Vierten Republik zu vergleichen [...] und kein starker Mann ist in Sicht, der dieses Land aus der Krise führen könnte" (172f.). Begin litt offenbar unter schweren gesundheitlichen Problemen (173f.). Auch seien "die Parallelen zwischen Israel und Weimar nicht zu übersehen, und gerade die Generation der in den dreißiger und vierziger Jahren aus Mitteleuropa eingewanderten Israelis ist sich dessen sehr bewusst" (193).
In Mussis Berichten wird eine harte Verurteilung der Regierung Begin deutlich: der Botschafter zeichnete das Bild eines beinahe totalen demokratischen Regierungsversagens: "Likud-Anhänger werden in Labour-Versammlungen eingeschleust, umringen den Hauptredner und hindern ihn mittels Sprechchören 'Begin - Begin - König von Israel!' am Reden, Mülltonnen werden in Brand gesetzt, Schlägertrupps schlagen politische Gegner spitalsreif." (208)
Bedauerlich ist, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Israel und Österreich in den politischen Berichten Mussis nicht recht greifbar werden. Worin die Spezifika im beiderseitigen Verhältnis bestanden, in welchem Spannungsfeld es sich bewegte und welche Probleme es auszutarieren galt, bleibt weitgehend offen. Das Format der "politischen Berichte" wie sie von Mussi und den anderen österreichischen Botschaftern bis 1994 angefertigt wurden, waren im deutschen Auswärtigen Dienst nicht gängig. Eine detailliertere Einordung dieser Berichtsform wäre hier für jene Leser vonnöten, die mit dem schriftlichen Betrieb der österreichischen Diplomatie nicht vertraut sind.
Die Publikation ist insgesamt zwar nicht vergleichbar mit thematisch ähnlichen außenpolitischen Quelleneditionen, da sie von vornherein anders angelegt ist. Alles in allem handelt es sich aber um eine gute Quellensammlung, die besonders dann wertvoll wird, wenn man weiß, was man sucht. Ihr Verdienst besteht aber schon alleine darin, außenpolitische Regierungsdokumente einfacher zugänglich gemacht zu haben.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Elisabeth Röhrlich: Kreiskys Außenpolitik. Zwischen österreichischer Identität und internationalem Programm (= Zeitgeschichte im Kontext; Bd. 2), Göttingen 2009 (http://www.sehepunkte.de/2011/02/18299.html); Matthias Dahlke: Das Wischnewski-Protokoll. Zur Zusammenarbeit zwischen westeuropäischen Regierungen und transnationalen Terroristen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 57 (2009) S. 201-215; Thomas Riegler: Im Fadenkreuz: Österreich und der Nahostterrorismus 1973 bis 1985 (= Zeitgeschichte im Kontext; Bd. 3), Göttingen 2011 (http://www.sehepunkte.de/2016/09/20725.html).
[2] Vgl. Rolf Steininger / Rudolf Agstner (Hgg.): Israel und der Nahostkonflikt 1972 - 1976, München 2006 (http://www.sehepunkte.de/2010/06/17254.html). Der Vater des Herausgebers, Arthur Agstner, war von 1968 bis 1972 Botschafter in Israel.
[3] Vgl. Rolf Steininger (Hg.): Berichte aus Israel. Eine Aktenedition in 13 Bänden, München 2004.
Bettina Sophie Weißgerber