Christoph Bernhardt: Im Spiegel des Wassers. Eine transnationale Umweltgeschichte des Oberrheins (1800-2000) (= Umwelthistorische Forschungen; Bd. 5), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016, 569 S., 43 Farb-, s/w-Abb., ISBN 978-3-412-22155-3, EUR 40,00
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In den 1990er Jahren galt die europäische Umweltgeschichte vielen noch als recht exotisches Forschungsgebiet. Bis in diese Zeit reicht Christoph Bernhardts Idee zu seinem Habilitationsprojekt zurück. Rund zwanzig Jahre später ist seine Studie nun als Buch erschienen, und die Umweltgeschichte hat sich zu einem wichtigen Teilgebiet der Geschichtswissenschaft entwickelt, das mittlerweile viele Qualifikationsschriften und Drittmittelprojekte hervorbringt. Für einen Autor kann eine solche Entwicklung Fluch oder Segen sein. Fluch, wenn es einem kaum mehr gelingen mag, sein eigenes Forschungsdesign an die rasanten Fortschritte anzuschließen. Segen, wenn man ein Projekt in der Nische beginnt und es unter breiter Aufmerksamkeit abschließt. Im Fall von Bernhardts Studie über den Oberrhein zwischen 1800 und 2000 ist es eine Mischung aus beidem. So sind in der Zwischenzeit mit den Arbeiten von David Blackbourn und Mark Cioc bereits viel zitierte Werke erschienen, die wichtige Thesen an ähnlichen Beispielen entwickelt haben. [1] Zugleich hat sich dadurch allerdings die Möglichkeit ergeben, die eigenen Stärken herauszustellen. Dies gelingt Bernhardt vor allem durch seine konsequent transnationale Perspektive und akribische Archivarbeit, was man zum Beispiel in der ansonsten glänzenden Studie Blackbourns noch vermisst hat.
Wie kaum ein anderer Fluss hat sich der Rhein über die letzten Jahrhunderte verändert. Von einem weit verzweigten, wild mäandrierenden Strom wandelte er sich zu einer viel befahrenen Wasserstraße. Aus seinen Auen und Sumpfgebieten wurden intensiv genutzte Landschaftsflächen, und die Rheinromantik entwickelte sich zu einem Zugpferd des Tourismus. Bernhardt beleuchtet vor allem ersteres. Er analysiert den Wasserbau am und um den Rhein, rekonstruiert die hydrotechnischen Netzwerke Badens und zeichnet nach, wie der Fluss in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich zum Gegenstand europäischer Umweltplanung aufstieg.
Bernhardts Ergebnisse sind klar herausgearbeitet und überzeugend. Die Begradigung des Oberrheins in vorindustrieller Zeit war in der Tat ein massiver Eingriff in die Landschaft, der Industrialisierung und Urbanisierung in nichts nachstand. Ob der Autor damit "etablierte umwelthistorische Periodisierungsmodelle und Werturteile" (503) wirklich in Frage stellt, darf man allerdings bezweifeln. Eher müsste man wohl die Oberrheinkorrektion als Teil der Industrialisierung und Urbanisierung verstehen, diente sie doch zwei wesentlichen Interessen dieser beiden Prozesse: der Gefahrenabwehr und Verbesserung des Schiffsverkehrsnetzes. Dies kann Bernhardt selbst anhand seiner teils schon fast mikrohistorischen Studien aufzeigen. Die Einstellung der Anwohner in der Region wandelte sich mit jedem hydrotechnischen Eingriff. Schnell wich das Unbehagen gegenüber den wasserbaulichen Maßnahmen einer "Kultur des Verlangens" (505). Gemeinde und Verbände forderten in unzähligen Eingaben und Bittrufen regelrecht die staatliche Intervention ein. Die in Aussicht gestellte Präventivkraft der Technik entfaltete eine erhebliche Sogwirkung und verlieh der gesamten Region einen nicht zu unterschätzenden Modernisierungsschub. Auch wenn dabei zu kurz kommt, dass es im Grunde während des gesamten Untersuchungszeitraums immer beide Seiten gab, Gewinner und Verlierer der Landschaftsneugestaltung, kann Bernhardt zeigen, wie der Wasserbau zu einem wesentlichen Faktor der inneren Staatsbildung werden konnte.
Im Übergang zum 20. Jahrhundert sieht der Autor einen politischen und strategischen Wandel der Hydrotechnik, und zwar wurde aus dem Kampf gegen das Wasser immer mehr ein Kampf um das Wasser. Energiegewinnung und Großschifffahrt drückten neuen Wasserbauprojekten ihren Stempel auf. Zugleich löste sich die teils enge deutsch-französische hydrotechnische Kooperation auf und wich einer Konfrontation. Die immer stärker aufkommende umweltpolitische Sensibilität war nationalistisch durchsetzt und führte zum Aufbau einer doppelten Infrastruktur dies- und jenseits des Rheins. Damit ging jedoch nicht einher, dass man zwischenzeitlich auf dem grünen Auge erblindete. Eher das Gegenteil war der Fall. Gerade am Rhein und ausgerechnet während des Nationalsozialismus zogen Umweltschäden eine hohe staatliche Aufmerksamkeit auf sich. Erosionen, Wasserverschmutzung und Grundwasserabsenkungen wanderten offensichtlich, etwa im Vergleich zur Luftverschmutzung, früher und nachdrücklicher auf die umweltpolitische Agenda.
In der jungen Bundesrepublik knüpfte man daher auch meist nahtlos an die Konzepte der Vorjahre an und behielt die Strukturen bei. Bernhardt sieht darin die innere Widersprüchlichkeit des Nationalsozialismus bestätigt. Denn während das Regime auf der einen Seite außenpolitisch "revisionistisch-aggressive" und innenpolitisch "agrarisch-reaktionäre" Strategien verfolgte, legte man auf der anderen Seite den Grundstein für einen langfristigen Aufstieg grenzüberschreitender Umweltpolitik (511). Bezeichnend ist jedoch, dass sich diese transnationalen Kooperationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Strategien auf ihre Fahnen schrieben, die die Zustände vor den großen Eingriffen im 19. Jahrhundert idealisierten. Renaturierung war seit den 1980er Jahren das neue Leitbild, das unweigerlich historische Landschaftsbilder auf den Plan rief und zum Teil verklärte. Bernhardt kommt am Ende der Studie damit wieder am Anfang seiner Erzählung an. Dazwischen lagen 200 Jahre Konflikte über den Umgang mit dem Rhein, über Technikstile und politische Strategien, die Bernhardt in seiner nicht nur für Umwelthistoriker lesenswerten Studie beleuchtet.
Anmerkung:
[1] David Blackbourn: The conquest of nature. Water, landscape, and the making of modern Germany, New York 2006; Mark Cioc: The Rhine. An eco-biography, 1815 - 2000, Seattle 2002. Siehe dazu die Rezensionen in sehepunkte: http://www.sehepunkte.de/2007/05/10656.html: http://www.sehepunkte.de/2007/05/11178.html
Nicolai Hannig