Anne-Marie Bonnet: Was ist zeitgenössische Kunst oder Wozu Kunstgeschichte?, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2017, 103 S., ISBN 978-3-422-07380-7, EUR 14,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Anne-Marie Bonnet / Barbara Schellewald (Hgg.): Frauen in der Frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Anne-Marie Bonnet: Kunst der Moderne. Kunst der Gegenwart. Herausforderung und Chance, Köln: Deubner Verlag 2004
Anne-Marie Bonnet: 'Akt' bei Dürer, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2001
Anne-Marie Bonnet betont eingangs, dass ihr Essay eine Stellungnahme "aus der Position der Kunstgeschichte" (9) auf die zeitgenössische Kunst darstellt: Es geht der Autorin nicht um das Aufstellen und Belegen von Thesen, sondern vielmehr um eine kritische Bestandsaufnahme, der Untersuchung von Zusammenhängen, Abhängigkeiten und der historischen Ursachen, die im Ergebnis zum aktuellen Kunstbetrieb geführt haben. Ebenso beleuchtet der Essay die Rolle der Kunstgeschichte in diesem Kontext.
Dem gut hundert Seiten umfassenden Essay ist eine Inhaltsübersicht der zahlreichen Abschnitte vorangestellt, was die Orientierung im Gesamttext erleichtert. Doch das vollständige Fehlen von Anmerkungen, auch wenn dies der Form des Essays geschuldet ist, erweist sich zuweilen als erschwerend bei der weiteren Recherche, wie etwa bei der Nennung einer "App" (82), da der Name im Text fehlt (gemeint ist die App "Magnus").
Im Vorwort werden die konkreten Themen des Essays formuliert (9f.): Neben der Frage, wer denn überhaupt die Kunstgeschichte der zeitgenössischen Kunst schreibe, geht es der Autorin um die Frage, was Kunst will, was wir von ihr erwarten, wo die Orte der Kunst sind, warum der finanzielle Wert in den letzten Dekaden derart in den Fokus geraten ist und wie sich die Strukturen bzw. die Netzwerke der Kunstwelt entwickelt haben. Dabei betont sie, dass es nicht um die Dokumentation der Ohnmacht vor ökonomischer Potenz der Kunstsammler gehe, sondern darum, Wege aufzuzeigen, wie die Kunstgeschichte aktiv und positiv am Diskurs der zeitgenössischen Kunst teilhaben kann. Darüber hinaus weist die Autorin darauf hin, dass die Ausführungen des Essays notwendigerweise Glättungen und Vereinfachungen enthalten.
Den Hauptteil des Essays beginnt Bonnet zunächst mit der Frage danach, was Kunst an sich sei, und damit einhergehend die Folgefrage, welche Instanzen diese grundsätzliche Frage beantworten. Dabei kommt dem Museum für die "alte Kunst" eine wesentliche Bedeutung zu, für die zeitgenössische Kunst spielen Galerien, Kunstvereine, Messen zusätzlich eine tragende Rolle. Doch zunächst umreißt Bonnet den historischen Zusammenhang von moderner Kunst und Museum, wobei sie die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung darlegt. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise Duchamps Readymade "Fountain" von 1917 zum Schlüsselobjekt. Das Museum ist der vereinbarte Ort von Kunst, und auch wenn Duchamp gerade dies in Frage stellt, so weist sein Readymade auf die Bedeutung des Museums als Instanz hin. Über Brian O'Dohertys "White Cube", der das Museum als (vermeintlich) neutralen Präsentationsort beschreibt, führt die Autorin den Leser zur Funktionsweise des "Betriebssystems Kunst" von Thomas Wulffen, demzufolge Kunst innerhalb eines komplexen kulturell-ökonomischen Regelwerkes abgewickelt wird, das von außen nicht mehr beinflussbar ist.
Aber nicht nur dem Museum als Instanz, dem Museum als Bauwerk selbst kommt eine unübersehbare Bedeutung für die Präsentation von Kunst zu, die sich über die Zeit hin enorm gewandelt hat, wie die Autorin anhand historischer und aktueller Beispiele charakterisiert (51-57). Neben der grundlegenden, mit Beispielen angereicherten Geschichte des (Kunst-)Museums beschreibt Bonnet den Wandel der Inhalte, von der Ausstellung von Beutekunst in napoleonischer Zeit, der Demontage der diskriminierenden Völkerkundemuseen sowie der Errichtung globaler Museum bis hin zur Rolle als "Durchlauferhitzer" für zeitgenössische Kunst mit dem Ziel, deren Wert zu steigern. Hie und da hat Bonnet Exkurs-Kapitel eingefügt, die nicht direkt zum Erzählverlauf gehören, jedoch den Essay um wichtige Themen ergänzen, wie die Sonderrolle Deutschlands in Bezug auf die moderne Kunst (31) oder den "Dilemmata der Avantgarde" (59), jener Außenseiter, die sich dem Museum entgegenstellten aber eigentlich doch dort Einzug halten wollten.
Dabei hat die Autorin immer auch im Fokus, Begriffe zu definieren und auszuloten. Wenn Sie etwa der Frage nach dem Unterschied zwischen "zeitgenössisch" und "modern", oder dem Unterschied von "Moderne" und "Postmoderne" (27) nachgeht, so geschieht dies vor der generellen Unsicherheit, die bezüglich dieser Begriffe herrscht, oder aber deren Unschärfe.
In anschaulicher Weise fokussiert Bonnet in der zweiten Hälfte des Buches ihre Analyse über Meilensteine des 20. Jahrhunderts und auf die Jetztzeit. Der Rundumblick richtet sich neben den spektakulären Ausstellungen und Retrospektiven, Kunstmessen wie der documenta, oder auf die Gründung des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM). Ebenso richtet Bonnet ihren Blick dabei auf Entwicklungen des Kunstmarktes wie Willi Bongards "Kunstkompass" oder den jüngeren "Power 100" (76-79), den "Charts" der Kunstwelt, und damit auf das Phänomen der sich zu Marken stilisierenden Künstler und deren exorbitant teure Kunst, der es zunehmend an Inhalten fehlt. Dabei sieht die Autorin abseits von einem von wirtschaftlichen Interessen getriebenen Kunstbetrieb ein Kunstschaffen alternativer Künstler, die durchaus wahrnehmbar sind und eine lohnenswerte "alternative Kunst" betreiben. Demgemäß hat die Autorin auch die Bildauswahl des Buches zusammengestellt, die pointiert die jeweiligen Textpassagen illustrieren und fast ausschließlich aus Ausstellungen des Bonner Kunsthistorischen Instituts stammen.
Die letzten Kapitel des Buches, "Wozu Kunstgeschichte?" und "'Eine' Kunstgeschichte 'der' Moderne" greifen die eingangs formulierten Fragen auf und eröffnen mögliche Perspektiven für die Zukunft. Dabei sieht Bonnet vor allem die Museen in der Pflicht, sich vom aktuellen Marktdruck zu befreien und ihre Sammlungen nicht mit bedeutenden Namen, sondern wieder mit bedeutenden Inhalten zu ergänzen. Zum anderen sieht sie die Kunstgeschichte gefordert, dieses System nicht weiterhin mit "Promotionsliteratur" (89, 98) zu füttern und die Museen bei deren Aufgabe des Umdenkens zu unterstützen. Auch die Kunstschaffenden können die Kunstgeschichte unterstützen, denn sie können "daran erinnern, dass es noch andere Parameter als den kommerziellen Erfolg gibt" (99). Das Buch schließt mit einem knappen Literaturverzeichnis, das auf die wichtigste Literatur verweist.
Bonnet liefert mit ihrem Werk zum einen eine verdichtete Bestandsaufnahme des augenblicklichen Kunstbetriebes sowie deren Ursachen und richtet Fragen an den Leser, um zum Nach- und Umdenken anzuregen. Letztlich steht nicht nur ein überkommener Kunstbegriff auf dem Prüfstand, sondern auch ein fragwürdiger Kunstbetrieb, der von Wissenschaftlern publizistisch unterstützt wird. Bonnet geht es jedoch nicht primär darum einen prekären Zustand zu beschreiben und zu analysieren. Ihr Ziel ist es, einen Diskurs auszulösen, inwiefern der Einzelne, die Kunstgeschichte als Instanz, das Museum als Institution, den Umgang mit Kunst wieder zugunsten des Inhaltes verändern kann.
Stefan H. Fischer