Armin Kohnle / Uwe Schirmer (Hgg.): Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen. Politik, Kultur und Reformation (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; Bd. 40), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 451 S., ISBN 978-3-515-11282-6, EUR 76,00
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Ist zu Friedrich dem Weisen längst alles gesagt? Bis vor wenigen Jahren schien die 1984 vorgelegte Friedrich-Biographie von Ingetraut Ludolphy tatsächlich das letzte Wort zu sein. Zu den Anzeichen eines wieder erwachenden Interesses an jenem Kurfürsten, der zwischen Mittelalter und Neuzeit, altkirchlicher Frömmigkeit und Lutherschutzpolitik steht, gehört (neben einem Langzeitprojekt, das die Edition der "Briefe und Akten zur Kirchenpolitik der Kurfürsten Friedrich der Weise und Johann der Beständige" in Angriff nimmt) die hier vorzustellende Dokumentation einer Friedrich-Tagung von 2013.
Eine einleitend abgedruckte Studie über die Reichspolitik Friedrichs ist unergiebig. Wir erfahren in ermüdender Reihung, welche Reichstage der Kurfürst besucht hat, aber wie stellte er sich denn zu den großen reichspolitischen Problemen der Zeit? Auskünfte über die Rolle Friedrichs bei der Reformatio Imperii erschöpfen sich in den Behauptungen, er habe "die Interessen der Reichsstände" vertreten bzw. "den Interessenausgleich zwischen Kaiser und Ständen" gesucht (19). "Stände"? Das ist natürlich zu undifferenziert. Während der Regierungszeit Friedrichs scheiterte das Modell einer um Kurverein und Kurfürstentage organisierten Reichsregierung, die Tagungsform Königsloser Tag wurde definitiv preisgegeben, kurz, das Ringen zwischen Berthold von Mainz und Kaiser Maximilian mündete in ein standespolitisches Fiasko fürs Kurkolleg. Wie positionierte sich denn Kurfürst Friedrich in diesem für die neuzeitliche Forma Imperii zentral wichtigen Ringen, unterstützte er seinen Mainzer Standeskollegen energisch, oder doch (wie der Rezensent vermutet) eher wenig engagiert? Der Leser erfährt hierzu kein Wort. Auch eine "Friedrich der Weise und die Königswahl von 1519" betitelte Studie ist nicht weiterführend - wie auch, wenn sie die zahlreichen Arbeiten der letzten 150 Jahre zur bestens untersuchten Wahl Karls V., von Robert Roesler über Bernhard Weicker bis hin etwa zu Ernst Laubach oder auch Götz-Rüdiger Tewes, noch nicht einmal erwähnt? Dass Friedrich "nahezu stereotyp" die "freie Wahl" betont habe (31), ist kein Tick des Ernestiners; wer die kurfürstlichen Akten kennt, weiß, dass der Topos "freye wahl" durchgehend und tausendfach an allen Kurhöfen und vor allen Wahlen grassiert.
Vorbildlich auf dem Forschungsstand gearbeitet ist hingegen der Beitrag zum Einfluss Georg Spalatins auf Hof, Reformationsbewegung und Universität (natürlich konnte die 2014 erschienene Monographie von Natalie Krentz über die "frühe Reformation", in der uns Spalatin auf Schritt und Tritt begegnet, nicht mehr eingearbeitet werden). Die komprimierte Studie ist unbedingt lesenswert. Ein kleiner Fehler hat sich eingeschlichen, wenn der Autor von "diesen Jahren des Wartburgaufenthaltes Luthers" spricht: Luther weilte dort ungefähr elf Monate. Ebenfalls komprimiert auf dem (guten) Forschungsstand begegnet uns eine der wirkmächtigsten Gründungslegenden des Luthertums: ein vorgeblicher Traum Friedrichs in der Nacht auf den 31. Oktober 1517, der jenen Thesenanschlag avisierte, von dem wir ja erst seit gut fünfzig Jahren wissen, dass er sehr wahrscheinlich gar nicht stattgefunden hat. Die wohl im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts ausgesponnene Traumfiktion wird als "Meisterwerk der Fälschung" bewertet, sie sei "bis ins Kleinste geschickt konstruiert" (420).
Welche Beiträge sollte man noch hervorheben? Ganz besonders eine hier nicht resümierbare, aber sorgsam recherchierte und gut geschriebene kunstgeschichtliche Miniatur, die auslotet, ob es Abbildungen jener Geliebten Friedrichs gibt, die ihm vier Kinder schenkte. Auch eine kunsthistorische Studie zur Genese des Images vom gütigen, weisen Landesvater ohne Standesallüren ist gut recherchiert und lesenswert. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass sich in der Kunstgeschichte zuletzt eine Akzentverlagerung von den mehr oder weniger genialen, mehr oder weniger innovativen Gestaltungseinfällen der Maler hin zu den Intentionen der Auftraggeber abzeichnete. Den schon in den letzten Lebensjahren Friedrichs zunächst von Cranach dem Älteren (ihm folgend ein so anders gestrickter Maler wie Dürer!) realisierten Typus des unprätentiösen "Weisen" haben dann Großaufträge der an Friedrichs Memoria arbeitenden Nachfolger so breit popularisiert, dass er generationenlang für alle Maler (selbst einen Tizian) zum verbindlichen Muster "des" sächsischen Herrschers schlechthin wurde. Die historiographische Memoria prägte (so ein weiterer lesenswerter Beitrag) eine auf Friedrichs Leben zurückblickende Rede Melanchthons von 1551; auch der Beiname "der Weise" verdanke sich wohl der hohen Frequenz, in der sich Melanchthons Rede der "Wörter 'sapientia', 'sapiens', 'sapientissimus' und 'sapienter'" bedient (355).
"Distanz und Nähe" ist ein origineller Beitrag über das Verhältnis zwischen Friedrich und Luther überschrieben: "Langsamkeit, Beständigkeit, Mäßigung; mit diesen Leitworten erscheint der Kurfürst gewissermaßen als Ahnherr des politischen Prinzips der Nachhaltigkeit. Luther war zwar Nutznießer dieser Prinzipien Friedrichs, aber Stillhalten, Aussitzen von Problemen und Diplomatie lagen ihm fern" (427). Anregend ist sodann eine Studie über das Verhältnis zwischen dem Kurfürsten und seinem Bruder Johann. Dem Leser drängt sich die (nicht explizierte, aber gleichsam zwischen den Zeilen stehende) Frage auf, ob die noch immer etwas rätselhafte, vielleicht nie abschließend klärbare Motivation für Friedrichs Lutherschutzpolitik auch am innigen Verhältnis zum Luther zuneigenden Bruder liegen könnte?
War Wittenberg in der anhebenden Neuzeit tatsächlich, wie in der gängigen Literatur stets beiläufig unterstellt, die kursächsische Residenz? Dazu finden wir im Sammelband unterschiedliche Auskünfte. Ein Beitrag von Thomas Lang mündet in dieses Resümee: "Friedrich der Weise besaß [...] nicht eine Residenz, sondern mehrere Hoflager" (229). Wittenberg ist in dieser Studie ziemlich nebensächlich. Auch Uwe Schirmer kommt zum Schluss, dass "der Prozess der Residenzbildung [...] im ernestinischen Kurfürstentum bis 1525 noch keinen Abschluss gefunden" habe (249), aber Wittenberg spielt in seinem Beitrag doch eine etwas größere Rolle. Und Manfred Rudersdorf ist in einem kundigen Beitrag zur Frühgeschichte der Leucorea der Ansicht, die Universitätsgründung stehe "in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ausbau Wittenbergs zur kurfürstlichen Residenz" (256). Ein Beitrag von Jürgen Herzog zeigt uns Torgau, dann, in den letzten Jahren Friedrichs, Lochau als bevorzugte Aufenthaltsorte des Hoflagers (vgl. zusammenfassend S. 293f.).
Ziehen wir die Summe! Der Band ist so disparat, wie es manche Tagungsbände eben sind, die Palette der Themen reicht von spätmittelalterlichen Wandkritzeleien unbekannter Provenienz auf Schloss Rochlitz bis zum Großen und Ganzen der Reformationsgeschichte. Es irritieren ziemlich viele Flüchtigkeitsfehler, die darauf schließen lassen, dass eine gründliche Endredaktion ausgeblieben ist. Eine Reihe substantieller Beiträge findet der Leser schon, zumal abseits der Großen Politik.
Axel Gotthard