Roman Töppel: Kursk 1943. Die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs (= Schlachten - Stationen der Weltgeschichte), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017, 289 S., 24 s/w-Abb., 8 Kt., ISBN 978-3-506-78187-1, EUR 29,90
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Der Verlag Ferdinand Schöningh betritt mit der 2017 aufgelegten Reihe Schlachten. Stationen der Weltgeschichte ein verlegerisches Feld, das bislang von den Wissenschafts- und Publikumsverlagen eher gemieden wurde. Die Geschichte der Schlachten und militärischen Operationen hat man lange den Verlagen des Bahnhofsbuchhandels überlassen, oder man hat sich prominente angelsächsische Autoren wie John Keegan oder Richard Overy in Übersetzung eingekauft. In der genannten Reihe treten nun zum ersten Mal deutschsprachige Autoren (es sind bislang nur Männer) an, die durch die Schule einer neuen, kritischen Militärgeschichtsschreibung gegangen sind. Roman Töppel ist einer davon, und sein Buch kann man als ein Standardwerk bezeichnen.
Der Untertitel deutet schon an, dass das Thema recht komplex wird. Das fängt mit der Datierung an. Der Autor argumentiert nämlich, dass der in der deutschen Geschichtsschreibung als "Schlacht von Kursk" oder "Unternehmen Zitadelle" firmierende Großangriff der Wehrmacht zwischen dem 5. und 13. Juli 1943 nur den Auftakt zu einer größeren Schlacht bildete, zu der dann auch die beiden anschließenden Gegenoffensiven der Roten Armee bei Orël und Char'kov bis 23. August zählen. Wie alle Titel der Reihe gliedert sich das Buch in Kapitel zu den Vorbereitungen, den Kämpfen, den Ergebnissen und zum Bild der Schlacht in den kollektiven Erinnerungen. Den Band schließen ein Block mit Fotografien (etwas techniklastig und die Schrecken des Krieges nicht wirklich ahnen lassend) und Karten (vorbildlich).
Der Autor ordnet die Schlacht im ersten Schritt gekonnt in die strategische Lage des Deutschen Reiches im Jahr 1943 ein. Die Niederlagen von Stalingrad und Nordafrika ließen bei Hitler den Wunsch nach einem allianzpolitisch verwertbaren Prestigeerfolg wachsen. Eine Landung der Alliierten in Italien stand bevor, weswegen die militärische Führung auf eine spürbare Entlastung an der Ostfront drängte. Allerdings verfügte die Wehrmacht inzwischen schon nicht mehr über die Kräfte für eine entscheidungssuchende Offensive. Damit blieb nur ein Unternehmen mittlerer Reichweite, mit dem der Roten Armee für 1943 die Offensivfähigkeit genommen werden musste. Dies sollte durch den zangenförmigen Ansatz zweier operativer Kräftegruppen geschehen, die den exponierten Frontbogen bei Kursk von Norden und Süden angreifen sollten. Ziel war also von Anfang an kein operativer Durchbruch, sondern ein systematisches Aufbrauchen der sowjetischen Kräfte. Die in der Memoirenliteratur umstrittene bzw. verschleierte Frage nach der Urheberschaft für den Plan klärt Töppel wohl abschließend. Nicht der angeblich militärische Dilettant Hitler, sondern der Oberbefehlshaber der 2. Panzerarmee, Rudolf Schmidt, habe die Idee eingebracht. Der Diktator und die Oberbefehlshaber der beiden beteiligten Heeresgruppen hätten diese rasch aufgegriffen und weiterentwickelt. Auch die Frage der Verzögerung des Angriffsbeginns wird untersucht und durch den Zeitbedarf für die Konzentration der eigenen Kräfte, die anlaufende Fertigung für neue Panzertypen, die unsichere Lage in Italien und das Wetter erklärt.
Töppels Leib- und Magenthema ist die Darstellung der militärischen Kräfteverhältnisse. Das ist deshalb wissenschaftlich durchaus zielführend, weil Kursk eine ausgesprochene Materialschlacht war. Wer also die strategische und erinnerungskulturelle Wirkung einer Schlacht bewerten möchte, ist gut beraten, zunächst die taktisch-operativen Absichten und die eingesetzten Mittel kritisch zu prüfen. Die Sachkenntnis des Autors ist stupend, die Apodiktik in der Kritik der bislang vorliegenden Zahlen ganz erfrischend. Im Ergebnis wird deutlich, dass die Wehrmacht den Angriff mit deutlicher Unterlegenheit in allen untersuchten quantitativen Parametern (Soldaten, Panzer, Artillerie und Flugzeuge) begann und der Roten Armee im weiteren Verlauf erheblich höhere Verluste beibrachte.
Der erste Teil der Schlacht erscheint hier als eine systematisch angelegte Abnutzungsschlacht. Wer sich mit den Materialschlachten von 1916 bis 1918 befasst hat, der wird rasch dasselbe militärische Kalkül und die Menschen und Material verschlingende Dynamik einer solchen Schlacht wiedererkennen. Kursk also nur eine mechanisierte und stärker in die Luft verlagerte Version 2.0 von Verdun, der Somme oder Flandern? Nicht, wenn man die folgenden Gegenoffensiven der Roten Armee mit einbezieht, denn hier veränderte sich der Charakter der Kämpfe wieder in Richtung auf eine bewegliche Kampfführung. Der entscheidende Aspekt von Kursk - und Töppel arbeitet diesen gut heraus - ist, dass es der Wehrmacht zwar gelang, der Roten Armee im Verlauf von Unternehmen "Zitadelle" enorme Verluste beizubringen. Gleichwohl war die Rote Armee im Sommer 1943 inzwischen nicht nur in der Lage, diese Verluste zu verkraften, sondern gleichzeitig an zwei bzw. drei Stellen (nimmt man den örtlich abgesetzten Angriff im Donbas ab dem 17. Juli dazu) zum Gegenangriff überzugehen. Beide Armeen erlitten im Gesamtverlauf der Schlacht schwere Verluste, nur die Rote Armee konnte diese aber ersetzen. Damit war ein strategischer Wendepunkt im Krieg gegen die Sowjetunion erreicht.
Wer die einschlägigen Aufsätze des Autors kennt, weiß um seine intime Kenntnis der Quellen und Darstellungen. Im Fall von Kursk ergibt sich bei der von Töppel angestrebten Dekonstruktion des bisherigen Schlachtennarrativs eine doppelte Zielrichtung der Kritik: einmal die Memoirenliteratur der Wehrmachtgeneralität, deren Aussagen er bis zum quellenmäßigen Beweis des Gegenteils grundsätzlich als "unglaubwürdig" verwirft (12); auf der anderen Seite die (post-)kommunistische Geschichtsschreibung zum "Großen Vaterländischen Krieg", der er sich mit ähnlichem Ingrimm widmet (232). Das Konzept der Reihe bringt es mit sich, dass Töppels Kritik an dem bisherigen Standardwerk zu Kursk, dem Band 8 des vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebenen Reihenwerkes "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg", nur zwischen den Zeilen deutlich wird.
"Kursk 1943" ist sachkundig und lebendig erzählt. Der Autor vermag es, militärische Fachbegriffe und Zusammenhänge zu erläutern. Die Einordnung in die Gesamtkriegslage gelingt sehr gut. Die Perspektive ist eher die des Feldherrenhügels, nicht die Schlachtfelder, auf denen getötet und gestorben wird. Das ist eine völlig legitime Entscheidung des Autors, nur sollten es Leserinnen und Leser wissen, bevor sie zu dem Buch greifen. Dass die Darstellung der sowjetischen Seite blasser bleibt, liegt in der Natur der Sache: Wo sich die Geschichtswissenschaft bis auf wenige Ausnahmen wieder in den Dienst einer nationalen, heroischen Erzählung stellt, ist inhaltlich wie methodisch wenig Neues zu erwarten. Im Ergebnis liegt hier auf 289 Seiten eine konzise, kritische Darstellung der größten Schlacht des Zweiten Weltkrieges vor, die sich auch als akademisches Textbook unbedingt empfiehlt.
Markus Pöhlmann