Klaus Neitmann: Land und Landeshistoriographie. Beiträge zur Geschichte der brandenburgisch-preussischen und deutschen Landesgeschichtsforschung. Hg. von Hans-Christof Kraus und Uwe Schaper, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, X + 564 S., ISBN 978-3-11-043752-2, EUR 89,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die aus Anlass des 60. Geburtstags des Verfassers erschienene Aufsatzsammlung vereinigt acht thematisch zusammenhängende umfangreiche Arbeiten aus den Jahren 1990 bis 2010, dazu einen ungedruckten Text für die ursprünglich für 2012, jetzt für 2016 angekündigte, Bilanz und Ausblick versprechende Jubiläumsschrift der Historischen Kommission für Pommern zum 100-jährigen Bestehen. Die Beiträge "kreisen", wie Klaus Neitmann im Nachwort betont, "um wenige Schwerpunkte", die "sich inhaltlich berühren und sich gegenseitig ergänzen" (563), sodass die Zusammenfassung der ansonsten leicht zugänglichen Texte Sinn macht. Noch mehr Sinn hätte sie allerdings gemacht, wenn ein Personenregister diese Bezüge verdeutlichte.
Fünf Beiträge behandeln die moderne brandenburgische Landesgeschichtsschreibung von ihren Anfängen mit "Adolph Friedrich Riedel, dem Codes diplomaticus Brandenburgensis und dem Verein für Geschichte der Mark Brandenburg" bis 1848. Neitmann verdeutlicht, wie die Initiative Einzelner, der Archivare Riedel und Georg Wilhelm von Raumer, mit Quellenedition, Geschichtsverein und Zeitschrift (den Märkischen Forschungen) die Grundlagen für die moderne brandenburgische Landesgeschichtsforschung gelegt hat. Danach verfolgt er, ebenfalls mit Quellenanhang, unter dem Aspekt der "Organisationsform der Landesgeschichtsschreibung" die Geschichte des Vereins bis zur Krise in den Inflationsjahren, bevor er sich der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin (1925-1935/39) und der Historischen Kommission der Provinz Mark Brandenburg (1939/43-1945) zuwendet. Er zeigt, wie "die Forschungs- und Wirkungsmöglichkeiten stark von den organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten abhingen, die die politischen Instanzen ihr boten" (126). Hat er hier bereits die landesgeschichtliche Forschung in anderen preußischen Provinzen im Blick, vergleicht er danach die Tätigkeit der Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern bis 1945 in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der provinzialgeschichtlichen Forschung, "was in Pommern deutlicher als in Brandenburg sichtbar wird" (164). Er zeigt die Rolle der Provinzialverbände und betont, dass Kommissionen und Geschichtsvereine "einander ergänzende Bestrebungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten" (165) dargestellt hätten.
Die durch organisatorische und finanzielle Schwierigkeiten gekennzeichnete Geschichte der Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte zwischen 1918 und 1945, deren inhaltlichen Schwerpunkte sowie die dort ausgetragenen "historisch-politischen Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens" (225-240) ergänzen und vertiefen die eher organisationsgeschichtlichen Beiträge. Neitmann zeigt, dass hier die nach 1918 "modernen" kulturräumlichen und volksgeschichtlichen Ansätze keinen Eingang gefunden haben, was die Zeitschrift damals antiquiert erscheinen ließ, und lobt "die Orientierung an einer hochqualifizierten fachlichen Tradition" (244). Zu Willy Hoppes Karriere nach 1933 und seiner Rolle in der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung sowie im Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit beschönigt er nichts, betont aber den wissenschaftlichen Wert seiner Publikationen und schließt, dass "aus seinen politischen Bekenntnissen zum Nationalsozialismus [...] keinesfalls zwingend" folge, "dass er seine Wissenschaft in den Dienst der NS-Ideologie gestellt" habe (289).
Einen zweiten Themenblock bilden drei Beiträge zur "ost(mittel)deutschen" Landesgeschichtsforschung nach 1945 am Beispiel ihrer Repräsentanten bis in die 1980er-Jahre, Walter Schlesinger und Hans Patze. Neitmann zeigt Schlesingers Bedeutung für die historische Ostmitteleuropaforschung, insbesondere für die Erforschung der Germania Slavica, und sein richtungweisendes Engagement gegen die in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten dominierende Ostforschung. Obwohl der Untertitel zu "Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands" Patze und Schlesinger verspricht, behandelt er hier nur den thüringischen Landesarchivar (bis 1956) und "gesamtdeutschen Landeshistoriker" Patze. Aus ihrer Zusammenarbeit entstand die Geschichte Thüringens (1972-1984) als "wohl bemerkenswertestes Zeugnis deutscher 'Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands'", deren Entstehungsgeschichte der Verfasser instruktiv nachvollzieht.
Im letzten Beitrag, "Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen Studien in Göttingen nach 1945", bietet Neitmann Einblicke in die Wiederanfänge der deutschbaltischen historischen Forschung und die Anfänge der Baltischen Historischen Kommission nach 1945. Ohne Wittrams nationalsozialistisches Engagement vor 1945 zu verschweigen, arbeitet er seine Leistung für die Grundlegung der deutschbaltischen historischen Forschung nach 1945 heraus.
Neitmann ist - neben seinem Hauptberuf als Archivdirektor - ein sehr produktiver Historiker, wie das Verzeichnis seiner Publikationen für die Jahre 1983 bis 2015 zeigt. Mit diesen historiografiegeschichtlichen Studien bietet er archivarische Geschichtsschreibung in bester Tradition an, mit vorzüglicher Kenntnis der Forschung und einem die Landesgrenzen überschreitenden Horizont - Grundlagenforschung ohne Rücksicht auf modische Tendenzen. Neitmann wird sie hoffentlich, wie er es sich selbst abschließend wünscht, "eines fernen Tages mit der Vorlage einer Geschichte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung im 19. und 20. Jahrhundert" (564) abschließen können.
Wolfgang Kessler