Urszula Sowina: Water, Towns and People. Polish Lands against a European Background until the Mid-16th Century (= Polish Studies - Transdisciplinary Perspectives; Vol. 17), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2016, 529 S., ISBN 978-3-631-64064-7, EUR 74,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Beim vorliegenden Werk von Urszula Sowina handelt es sich um die überarbeitete (und um einen von vier Teilen gekürzte) Übersetzung ihrer Habilitationsschrift, die 2009 bereits auf Polnisch veröffentlicht worden ist. [1] Die breite Literaturbasis, die über eine Bibliografie der Quellen und Sekundärliteratur gut zu erschließen ist, wurde moderat durch eine Handvoll Werke, welche 2009-2011 erschienen sind, aktualisiert.
Die Verfasserin analysiert in vielfältiger Hinsicht die Bedeutung des Wassers für die Entwicklung von Städten und deren Gesellschaft. Sie erfasst die ökonomische, technische und soziale Dimension von Wasser und Wasserversorgung. Ob als Nahrungsmittel oder zur Reinigung und Hygiene, als Energieträger oder Produktionsmittel / Rohstoff, ob in der Funktion als Verkehrsweg, Gegenstand fiskalischer Überlegungen oder Objekt wissenschaftlicher Debatte, die Studie von Sowina bietet zahlreiche Ausgangspunkte. Ihr Ansatz ist ein allgemeiner, fast schon universeller, wenngleich der Aspekt der Gefahren durch Wasser in der aktuellen Fassung deutlich an Gewicht verloren hat, da der entsprechende Teil über Hochwässer und deren durchaus ambivalente Bedeutung (Katastrophe versus Motor der Modernisierung) gestrichen wurde und vor allem auch die ökologische Dimension im engeren Sinne nur beiläufig thematisiert wird.
Sowinas Untersuchungsgebiet ist Kleinpolen mit besonderer Berücksichtigung Krakaus, das als königliche Residenz und größte Stadt der Region eine besondere Stellung einnahm und auch die beste Überlieferungsbasis besitzt. Aufgrund der insgesamt dünnen Quellenlage ist die interdisziplinäre Herangehensweise der Verfasserin beinahe zwangsläufig. Der Mangel an Texten, Gegenständen und Tatsachen in jedweder Form für den begrenzten Untersuchungsraum zwingt dazu, einerseits die Untersuchung zeitlich relativ weit zu fassen und andererseits bestimmte Erkenntnisse durch einen europäischen Vergleich zu interpolieren. Eine derart komplexe Untersuchung von Wasser als "kulturelles Phänomen" für die Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit dürfte dennoch für ganz Europa einzigartig sein, dem Anforderungsprofil einer Habilitationsschrift wird die Studie mithin mehr als gerecht.
Die Gliederung folgt in den ersten drei, vom Umfang her sehr ungleichen Teilen (20, 98, 280) der polnischsprachigen Fassung: Im ersten Teil bespricht die Verfasserin vor allem zeitgenössische Ansichten, Urteile und Theorien bezüglich der Wichtigkeit von Wasser und dessen Qualität für die Entwicklung von Siedlungen. Im zweiten Teil konzentriert sie sich auf die wirtschaftliche Bedeutung von Wasser. Dabei rücken räumliche Überlegungen zur Verteilung von Städten einerseits, aber auch zur sozial- und funktionsräumlichen Genese von Städten andererseits ins Zentrum. Sowina thematisiert die Lage von Städten in Bezug zum Flussufer (im Untersuchungsgebiet üblicherweise an hohen Ufern, was für die ökonomische Entwicklung ungünstig sei), bespricht die Funktion natürlicher und künstlicher Wasserläufe (vor allem von Stadtgräben etc.) und wirft insbesondere einen Blick auf die Rolle des Wasserzugangs und der Wasserversorgung für die städtischen Zier- und Nutzgärten. Im dritten Teil schließlich bespricht Sowina detailliert die materielle Kultur der Wasserversorgung. Sie beschäftigt sich mit der Konstruktion und Funktion von Zisternen, Brunnen und Wasserleitungssystemen (Wasserkünste, Rohrleitungen etc.) aus technischer wie wirtschaftlicher und auch sozialer Perspektive und widmet sogar den entsprechenden Handwerken ein eigenes Unterkapitel.
Besonders der dritte Teil zeigt nachdrücklich, dass die Verfasserin von Haus aus Archäologin ist. Die Beschreibung und Analyse der materiellen Kultur ist beachtlich. Ihr gelingt es durch eine recht ausführliche Illustrierung mit zeitgenössischen Abbildungen, modernen Rekonstruktionszeichnungen und Fotografien auch komplizierte Sachverhalte verständlich darzulegen. Ihre Arbeitsweise ähnelt damit Untersuchungen aus dem Bereich der europäischen Ethnologie / Volkskunde. Sie beweist durch ihre Vorgehensweise die doch erstaunliche Relevanz auch kleinerer Wasserversorgungseinheiten nicht nur für die räumliche Ausprägung von Städten und Stadtteilen, sondern auch für deren soziale Organisierung und für das Zusammen- beziehungsweise Zugehörigkeitsgefühl der Bewohner. Insgesamt hätten ihre Erkenntnisse aber vor allem im Resümee pointierter dargelegt werden können; dieser Eindruck mag aber unter Umständen auch damit zusammenhängen, dass man offensichtlich keine muttersprachliche Übersetzerin für das Werk gewinnen konnte.
Das Buch ist dank umfangreichem Anhang (fast 100 Seiten) mit zahlreichen Registern und Verzeichnissen gut nutzbar. Dass etwa ein Drittel aller Abbildungen und ein noch höherer Anteil der zeitgenössischen Bilder gar keine polnischen Phänomene illustrieren, ist aufgrund der Quellenlage verständlich.
Anmerkung:
[1] Urszula Sowina: Woda i ludzie w mieście późnośredniowiecznym i wczesnonowożytnym. Ziemie polskie z Europą w tle [Wasser und Menschen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt. Polen und Europa im Vergleich], Warszawa 2009.
Raoul Zühlke