Kai Brodersen (Hg.): Crimina. Die Antike im modernen Kriminalroman, Berlin: Verlag Antike 2004, 239 S., ISBN 978-3-938032-03-9, EUR 29,90
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Der Mörder ist nicht immer der Gärtner, sondern schlüpft auch gerne einmal in eine Toga und nimmt an Senatssitzungen teil. Dies ist seit der von Lindsey Davis und John Maddox Roberts ausgelösten Flut von Kriminalromanen, die im antiken Rom spielen, auch für den letzten Krimifan kein Geheimnis mehr. Natürlich gab es auch schon vor The Silver Pigs (London 1989) und SPQR (New York 1990) Romane, welche die Antike als Hintergrund für eine Kriminal- oder Abenteuergeschichte wählten. Wer erinnert sich diesbezüglich nicht an Henry Winterfelds Gaius ist ein Dummkopf, Rosemary Sutcliffs Eagle of the Ninth oder den bereits 1834 erschienenen Klassiker The last days of Pompeii von Edward Bulwer-Lytton? Bücher, die man in seiner Jugend nächtens unter der Bettdecke verschlungen hat. Doch die Autoren dieser Bücher fanden in ihrer jeweiligen Zeit nur wenige Nachahmer.
Ganz anders die heutige Situation. In den letzten 15 Jahren ist eine so gewaltige Masse an Titeln erschienen, die dem antiken Kriminalroman zuzurechnen sind, dass sich - wie im vorliegenden Sammelband durch die Literaturwissenschaftlerin Dagmar Dappert (127-142) - die Stimmen dafür mehren, in diesen keine Untertypen der Gattungen des Kriminalromans beziehungsweise des historischen Romans zu sehen, sondern von einem neuen hybriden Genre auszugehen: dem historischen Kriminalroman.
Beschränkt auf die Antike hat sich diesem Genre der Herausgeber Kai Brodersen mit einem Colloquium an der Universität Mannheim im Februar 2004 angenommen. Die dort vorgestellten und in anschließenden Diskussionen revidierten Beiträge sind im vorliegenden, liebevoll gestalteten und sorgfältig bearbeiteten Sammelband abgedruckt. Besonders gut und interessant ist dabei, dass der Sammelband nicht nur interdisziplinär, sondern sogar über die engen Grenzen des wissenschaftlichen Diskurses hinausschauend arbeitet. So ist es Brodersen gelungen, neben (Alt-)Historikern und Literaturwissenschaftlern auch Autoren, Lektoren und Bibliothekare an einem Tisch respektive in einem Buch zu versammeln. Dieses Konzept hat merklich dazu beigetragen, dass die Autoren sich durchgehend und erfolgreich darum bemüht haben, nicht nur informative, sondern auch spannend zu lesende Aufsätze zu produzieren, die den Horizont des Lesers erweitern.
Das Thema des Bandes ist dabei insofern en vogue, als es sich mit Rezeptionsgeschichte auseinandersetzt. Einem Arbeitsfeld, das im gleichen Zeitraum, in dem historische Krimis einen Aufwind erlebten, seinerseits verstärkt ins Zentrum geschichtswissenschaftlicher Überlegungen geriet. Den Autoren der vorliegenden Aufsätze ist diesbezüglich gemein, dass sie davon ausgehen, die Be- und Verarbeitung von Geschichte außerhalb der Gelehrtenstuben beeinflusse mindestens so nachhaltig die Arbeit der Geschichtswissenschaft wie umgekehrt die Geschichtswissenschaft die populäre Darstellung von Geschichte. Der implizit dieser Einschätzung innewohnenden Ablehnung der These Aleida Assmanns, dass "das Interesse am Gedächtnis [...] deutlich über die üblichen Konjunkturphasen wissenschaftlicher Mode-Themen" hinausgehe [1], ist zuzustimmen. So trifft Kai Brodersen den Sachverhalt sehr genau, wenn er gleich im ersten Satz des Vorwortes behauptet, "[e]ine erste intensive Begegnung mit der Antike erfolgt für viele Zeitgenossen nicht in einer Befassung mit antiken Texten oder Resten" (7). Und auch nicht die Vorlesung oder das wissenschaftliche Buch sind es, die uns den ersten Kontakt mit Geschichte im weiteren Sinne vermitteln, sondern Unterhaltungsfilme - wie Spartacus oder heute Gladiator - und Romane - wie Die Abenteuer des Röde Orm oder Ich zog mit Hannibal.
Deshalb ist es für den Fachwissenschaftler auch und gerade im Sinne der Reflexion des eigenen Schaffens immanent wichtig, Einblicke in die Arbeit von Autoren historischer Romane zu gewinnen. Solche gewähren die drei deutschen Krimiautoren Hans Dieter Stöver, Ilka Stritz und Karola Hagemann mit ihren Beiträgen. Dabei fällt - und dies ist nicht negativ gemeint - ein relativ naiver Umgang mit Geschichte auf. So begründet Karola Hagemann zum Beispiel die recht derbe Sprache ihrer Protagonisten nicht mit schriftstellerischer Freiheit (eine Interpretation, die im Band für verschiedene Auslegungsfragen des Öfteren von den Fachwissenschaftlern angenommen wird). Sie sagt vielmehr, auch in der Antike habe es einen durchaus derben Sprachgebrauch gegeben und belegt dies scheinbar mit der Wiedergabe eines Epigramms und dem Verweis auf manchen Cicero-Ausspruch (27 f.). Doch ohne nun behaupten zu wollen, Karola Hagemanns Interpretation sei falsch, vergisst sie, dass diese Aussprüche auf uns zwar möglicherweise derb wirken, wir aber vor fast unlösbare - und von der Autorin wahrscheinlich gar nicht angestellte - Deutungsprobleme gestellt werden, wenn wir den Versuch unternehmen, die Konnotation bestimmter Texte oder gar einzelner Worte zu dechiffrieren. Dies zeigt zweierlei: zum einen die andere Herangehensweise der Romanciers, aber zum anderen auch Interpretationsfehler der Geisteswissenschaftler! Ein Phänomen, das man sich bei anderen hermeneutischen Problemen vergegenwärtigen sollte.
Ebenfalls aus verschiedenen Motiven für den Fachwissenschaftler spannend, sind die Ausführungen der Lektorin Maria Rutenfranz. Zum einen stellt sie einige speziell für Kinder und Jugendliche konzipierte Krimireihen vor, zum anderen setzt sie sich mit den Chancen für solche Werke am Markt auseinander - und warnt dabei vor überzogenen Erwartungen, noch weitere, neue Serien platzieren zu können. Schließlich hinterfragt sie noch, ob es "Fluch oder Segen?" sei, wenn Kinder ihre ersten Vorstellungen von der (römischen) Antike durch Krimis vermittelt bekämen, in denen es natürlich sachliche Fehler und Unstimmigkeiten gebe (42). Ihrem diesbezüglichen Urteil, dass diese Bände "nicht nur interessieren, sondern [..] begeistern" wollten (44), und dass dies auch wichtiger ist als die rein sachlich richtige Information, kann man sich nur anschließen, denn dass jemand über den Oldenbourg Grundriß der Geschichte seine Liebe zur Geschichtswissenschaft erworben hätte, ist trotz der bekannten Qualität der Reihe noch nicht überliefert.
In Maria Rutenfranz' Beitrag klingt bereits eine Frage an, die alle folgenden Aufsätze mehr oder weniger stark durchzieht: nämlich wie gut oder schlecht sind die einzelnen Bücher oder Reihen eigentlich in sprachlicher, vor allem aber in fachlicher Hinsicht? Amüsant ist diesbezüglich, wie uneinig sich das Fachpublikum ist! Während - um nur wenige Beispiele zu nennen - Annette Kortenhaus etwa Steven Saylors' Roma sub Rosa-Reihe noch eine "Darstellung von Sozialgeschichte" bescheinigt (166), ergeht sich Jörg Fündling genüsslich - und zu Recht - darin, eben dessen Darstellung der sozialen Verhältnisse des römischen Alltages in ihrer grotesken Absurdität der Lächerlichkeit preiszugeben (91 f.). Roberts SPQR-Reihe wird wiederum von Dagmar Dappert durchweg als langweilig oder gewollt-aber-nicht-gekonnt abgestraft, wo hingegen der Kieler Historiker und bekennende Krimifan (143) Markus Schröder ihn als Vertreter eines erfrischenden, weil politisch unkorrekten Stils lobt (151). Ohnehin ist es immer wieder Roberts, an dem sich die Geister scheiden und dem einige offenbar nicht verzeihen können, dass er sich seine ersten Sporen als Co-Autor der mit Arnold Schwarzenegger verfilmten Fantasyreihe Conan erworben hat.
Aus den wirklich guten Aufsätzen des Sammelbandes sollen noch zwei besonders hervorgehoben werden. Dies ist zum einen der schon angesprochene Beitrag von Jörg Fündling mit dem Titel "Perlen vor die Säue oder Einäugige unter Blinden? Was (Alt-)Historiker an historischen Krimis reizt" (49-108). Er analysiert hier sehr umfassend und durchaus humorvoll, warum Historiker sich im doppelten Wortsinn von Antikenkrimis reizen lassen. Dass Fündling dabei manchmal in seiner Polemik gegen Fachkollegen über das Ziel hinausschießt (so wirft er Markus Schröder dessen angeblich "[d]ürftige Englischkenntnisse" vor, die "hier wie überall schlimmer als gar keine" seien, 65), ist bedauerlich, hat aber in ihrer konsequent zur Schau gestellten Form meines Erachtens schon wieder eine charmante Note.
Zum anderen ist es der Beitrag von Stefan Cramme "Morde am Vesuv und anderswo: Städte und Regionen des Römischen Reiches im Kriminalroman" (109-124). In diesem stellt der Bibliothekar und Altertumswissenschaftler seine einzigartige Datenbank vor, in der er historische Romane zur römischen Geschichte erfasst hat. Diese Datenbank, deren Erfassungskriterien der Autor verständlich schildert, kann für viele Fragestellungen ein wirklich fantastisches Hilfsmittel sein, und man wünscht ihr eine rege Benutzung.
Abschließend noch ein Wort zur Komposition des Sammelbandes: Sie gefällt insgesamt sehr gut, zeigt sie doch, dass Sammelbände durchaus mehr sein können als bloße Aufsatzsammlungen. Die präsentierten Aufsätze ergänzen und unterstützen einander, wie es bei einem guten Sammelband sein sollte. Zu kritisieren ist nur die Aufnahme des Aufsatzes von Thomas Kramer zur Antikenrezeption in der DDR. Nicht, dass dieser Aufsatz schlecht wäre, ganz im Gegenteil. Er passt nur meines Erachtens kaum zum Thema und wäre daher besser in einer anderen Publikation aufgehoben gewesen.
Anmerkung:
[1] Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 2000, 16.
Raoul Zühlke