Pascal W. Firges / Tobias P. Graf / Christian Roth et al. (eds.): Well-Connected Domains. Towards an Entangled Ottoman History (= The Ottoman Empire and its Heritage. Politics, Society and Economy; Vol. 57), Leiden / Boston: Brill 2014, xxii + 308 S., ISBN 978-90-04-26670-4, EUR 127,00
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Der Sammelband "Well-Connected Domains" ist hervorgegangen aus einer Reihe von internationalen Workshops und Konferenzen im Rahmen des Forschungsprojektes "Dynamische Asymmetrien in transcultural flows an der Schnittstelle von Asien und Europa: Der Fall des Osmanischen Reiches in der Frühen Neuzeit", das von 2009 bis 2012 unter der Leitung von Thomas Maissen und Michael Ursinus am Heidelberger Exzellenzcluster "Asia and Europe in a Global Context" angesiedelt war. Ziel dieses Projektes war es, die in der Geschichtswissenschaft häufig aufgefundene "Unterscheidung zwischen einem christlichen und europäischen Westen und einem asiatisch-'islamischen' Osmanischen Reich [...] in Frage zu stellen" und "einen Beitrag zum besseren Verständnis von cultural flows im Kontext der Austauschprozesse zwischen dem Osmanischen Reich und Westeuropa zu leisten".[1] Wie die Herausgeber*innen in ihrer Danksagung bemerken, wurde ihnen dabei - ungewöhnlich für eine reine Doktorandengruppe in der deutschen Forschungslandschaft[2] - weitestgehende Autonomie und Eigenverantwortung bei der Organisation ihres Forschungsprojektes zugestanden (IX). Dass solches Vertrauen sich ausgesprochen lohnen kann, zeigt dieser Band, so viel sei vorweggenommen, sehr deutlich.
Den Herausgeber*innen gelingt es durch eine klare und gut durchdachte Strukturierung, aus den thematisch wie methodisch sehr vielfältigen Beiträgen ein zusammenhängendes und insgesamt überzeugendes Ganzes zu formen. Sie teilen sie dazu in drei Sektionen zu je vier bis fünf Artikeln auf und stellen sowohl dem gesamten Band als auch jedem der drei Teile eine kurze Einleitung voran. Die Vorstellung der einzelnen Kapitel wird nicht in der von Pascal Firges und Tobias Graf geschriebenen Gesamteinleitung vorgenommen, sondern in die jeweiligen Teileinführungen ausgelagert - also dorthin, wo man sie braucht. Ergänzt wird all dies durch eine Gesamtbibliographie und einen detaillierten Index. Da der Verlag Brill zudem dankenswerterweise auf das in anderen englischsprachigen Publikationen mittlerweile fast standardmäßige Endnotenformat zugunsten von Fußnoten in den einzelnen Beiträgen verzichtet, ergibt sich ein äußerst leserfreundliches Gesamtprodukt.
Die inhaltliche Aufteilung sieht wie folgt aus: Teil 1 ("Trade, Warfare, and Diplomacy in the Eastern Mediterranean") soll eine Einführung in das Forschungsfeld liefern, indem er drei der wichtigsten Komponenten des Austauschs zwischen dem Osmanischen Reich und Europa beleuchtet, nämlich Handel, Krieg und Diplomatie. Für ersteren Bereich leistet dies Suraiya Faroqhis umfassender und wie immer auf genauester Kenntnis des Forschungsstandes beruhender Überblick über die Außenhandelsbeziehungen des Osmanischen Reiches in nahezu seiner gesamten räumlichen und zeitlichen Ausdehnung, jedoch mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem 16. und 17. Jahrhundert. Diesen Beitrag an den Beginn zu stellen, ist auch insofern sinnvoll, als er zum einen durch seinen systematischen Aufbau entlang der vier Himmelsrichtungen als eine Art Einführung in die geographischen Dimensionen der in dem Band behandelten Phänomene dienen kann (12), gleichzeitig aber auch schon immer wieder die globalen Verflechtungen deutlich werden lässt, die diese Aufteilung sprengen. Diesem Rundum-Blick folgt kontrastreich die mikrohistorische Studie Joshua Whites, die alle drei Bereiche anschneidet, indem sie am Beispiel zweier Überfälle nordafrikanischer Piraten auf Iskenderun, den damaligen Hafen der osmanischen Handelsmetropole Aleppo, in den Jahren 1624 und 1625 und deren Auswirkungen ein Panorama internationaler wirtschaftlicher und diplomatischer Abhängigkeiten entfaltet. Maritime Konflikte - hier Übergriffe durch britische Freibeuter - und ihre Folgen bilden auch den Ausgangspunkt für Michael Talbots Betrachtung des osmanischen Seerechts und osmanischer Konzeptionen maritimer Territorialität im 18. Jahrhundert, während Viorel Panaite mit ihrem Einblick in die Arbeitsbedingungen französischer Konsuln in der osmanischen Provinz im 16./17. Jahrhundert anhand einer zeitgenössischen Handschriftensammlung die Bereiche Handel und Diplomatie abdeckt.
Teil 2 ("Constructing and Managing Identity") bietet Fallstudien von Nur Sobers-Khan, Gábor Kármán und den beiden Herausgebern Graf und Roth, die sich besonders mit der Konstruktion von und dem Umgang mit Identität befassen - einem Schlüsselbegriff für die Untersuchung von historical agency aus Sicht der Herausgeber*innen (8). Einen besonders interessanten Ansatz bietet hier Sobers-Khan, deren Beitrag eindrücklich demonstriert, dass die vergleichende Betrachtung so verschiedener Textgenres wie Rechtstexte, pseudo-wissenschaftliche Traktate, Ratgeberliteratur und Poesie im Hinblick auf ihre lexikalischen Überlappungen nicht nur das Studium jeder einzelnen Gattung bereichern, sondern auch bei der Erforschung der sozialen Dimension der Freilassung von Sklaven im Osmanischen Reich des 16. Jahrhunderts helfen kann. Der Artikel weckt die Neugier auf konkrete Ergebnisse einer solchen Rekonstruktion der "social language of slavery" (93), die er bislang nur andeuten kann. Die weiteren Beiträge behandeln den Wandel des Türkenbilds in den Schriften eines siebenbürgischen Diplomaten (Kármán), die sozialen Netzwerke von Renegaten und ihre anhaltenden Verbindungen zu ihrem Leben vor dem Übertritt zum Islam (Graf) sowie die verschiedenen Grade der Integration von Nichtmuslimen in das osmanische Rechtssystem im Ägäisraum des 18. Jahrhunderts (Roth).
Während Teil 1 und Teil 2 sich größtenteils in der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts bewegen, nimmt sich der dritte Teil des Bandes mit Beiträgen von Pascal Firges, Gülay Tulasoğlu, Sotirios Dimitriadis, Maximilian Hartmuth und Aylin Koçunyan das lange 19. Jahrhundert vor. Wie es der Titel, "Responding to an Age of Challenge", schon sagt, sind die Verflechtungen und Verbindungen, die hier im Mittelpunkt stehen, diejenigen von neuen Herausforderungen, denen sich Akteure im Osmanischen Reich gegenübersahen, und der Antworten, die sie darauf fanden. Die Herausgeber*innen wollen durch diese Deutung der Reformprozesse jener Zeit eine alternative Herangehensweise zu teleologischem und eurozentristischem "rise of the West"-Narrativ einerseits und revisionistischem Abstreiten jedes äußeren Einflusses auf das Osmanische Reich andererseits aufzeigen (166f.). Das Spektrum der Themen reicht hier von den französischen Motiven für die enge Militärkooperation mit dem Osmanischen Reich in der Zeit kurz vor Napoleons Einfall in Ägypten Ende des 18. Jahrhunderts (Firges) über die Veränderungen städtischer Räume des spätosmanischen Thessaloniki (Dimitriadis) bis zur transkulturellen Dimension der osmanischen Verfassung von 1876 und ihrer Vorgängertexte (Koçunyan). Die Beiträge von Hartmuth und Tulasoğlu zeigen beide, dass Modernisierungsprozesse im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts nicht immer nur vom Zentrum ausgingen: Während Tulasoğlu, ebenfalls am Beispiel Thessalonikis in den 1830er Jahren, die Rolle europäischer Konsuln in den osmanischen Provinzen als "engines of the reforms initiated by local authorities" (195) untersucht, ist es in Hartmuths Beitrag über ein "grassroots [...] project" (231) für ein bosnisches Museum um 1850 nicht einmal eine staatliche Stelle, welche die Initiative übernimmt, sondern eine Privatperson.
Wie schon in der Einleitung des Bandes deutlich wird, konzentriert sich diese "investigation into the well-connectedness of the Ottoman Empire" (2, der Buchtitel ist ein Spiel mit der gängigen englischen Übersetzung einer Selbstbezeichnung des Osmanischen Reiches, der "well-protected domains") bewusst auf Verbindungen mit Europa (1f.). Es hätte dem von den Herausgebern selbst gewählten Bild der "myriad of overlapping webs" (9) und der untersuchten "connections [...] between the Ottoman Empire, its inhabitants, and the world around them" (8) noch mehr entsprochen, auch Fallstudien von Verbindungen in andere Richtungen aufzunehmen. Zudem geht es vor allem um europäische bzw. nicht-muslimische Akteure im Osmanischen Reich, während osmanische Akteure in Europa (oder anderen Weltgegenden) kaum Erwähnung finden. Dies kann jedoch den Wert dieses Werkes als neuen und inspirierenden Beitrag zur entangled bzw. connected history des Osmanischen Reiches nicht schmälern.
Anmerkungen:
[1] Webseite des Teilprojekts (http://www.asia-europe.uni-heidelberg.de/de/forschung/a-regierungskunst-verwaltung/a7.html), abgerufen am 28.10.2017.
[2] Die Dissertationsprojekte von Firges, Graf und Tulasoğlu wurden kurz vor bzw. nach der Veröffentlichung des Bandes abgeschlossen; die Herausgeber*innen arbeiten zur Zeit am Deutschen Historischen Institut in Paris (Firges), der Universität Oxford (Graf), der Hacettepe-Universität in Istanbul (Tulasoğlu) und im baden-württembergischen Ministerium für Soziales und Integration (Roth).
Caspar Hillebrand