Julia McClure: The Franciscan Invention of the New World, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2017, XIV + 229 S., ISBN 978-3-319-43022-5, EUR 96,29
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Dieses Buch wirft einen neuen Blick auf die Geschichte der Franziskaner wie auch auf jene der Entdeckung Amerikas. Julia McClure, am Centre for Global History an der Universität von Warwick (UK) tätig, ist an der Geschichte der Armut, der Caritas und des Kolonialismus in ihren globalen Zusammenhängen interessiert. Dabei geht es ihr weniger um registrierte Ereignisse, Fakten und Daten als um zugrundeliegende Ideen und vorausgehende Entwicklungen, die zur Entdeckung der Neuen Welt geführt haben. Dass sie statt "Entdeckung" Invention (Auffindung, Erfindung) sagt, als ob die Franziskaner die Neue Welt erfunden hätten, deutet schon an, in welche Richtung ihr Denken geht. Sie entdeckt neue Verbindungslinien zwischen Geistes- und Profangeschichte.
Etwas ungewohnt zählt die "Introduction" schon als Kapitel 1 (1-22), dem dann weitere fünf Kapitel folgen mit einem Kapitel 7 als "Conclusion" (189-194). Das Wesentliche steckt also in Kapitel 2 bis 6. Am Schluss finden wir eine lange Liste von ungedruckten und gedruckten Quellen; bei der Literatur findet man kaum italienische und gar keine deutsche. Belege und Literaturhinweise stehen als Endnoten nach jedem Kapitel, was für jene, die Fußnoten gewohnt sind, die Lektüre erschwert. Auch wäre es praktischer, als Kopfzeile auf der linken Seite das Kapitel anzugeben statt durchgehend den Namen der Autorin.
Der Ausdruck "Neue Welt" (Orbe Novo) wurde erstmals im Jahr 1500 vom Forscher über die Renaissance, Peter Martyr d'Anghiera, gebraucht. Die Idee, dass die Entdeckung Amerikas 1492 ein Produkt der europäischen Renaissance sei und den Beginn der Moderne darstelle, vertrat auch Jacob Burckhardt. McClure hingegen geht weiter zurück und sieht die Wurzeln für Renaissance wie Moderne im Franziskanertum. Es habe eine eigene intellektuelle Weltsicht entwickelt, die von Anfang an universal war. Die Autorin räumt dabei der revolutionären Minderheit im Orden den Vorrang ein. Der Orden sei mit der Bestätigung der Regel 1223 nicht nur in die Kirche integriert, sondern auch gezähmt worden; unterschwellig wirkten die revolutionären Ideen weiter bei den Spiritualen. Rückzug von und Ausgriff auf die Welt spielten gleichermaßen eine Rolle. Ihrer Meinung nach hatte der Franziskanerorden ein ambivalentes Verhältnis zu Kirche, Welt, Geschichte und zum Kolonialismus. Diese Gedanken entfaltet sie in fünf Kapiteln, gut belegt mit Daten und Quellen.
Im 2. Kapitel "The Landscapes of Franciscan Poverty: the Franciscan Attempt to Disown the World" (23-48) stellt McClure die Frage, wieso die jeglichen Besitz ablehnenden Franziskaner eine so große Rolle in der Besitznahme der Neuen Welt spielten. Sie referiert den ganzen Armutsstreit von Gregor IX. bis Johannes XXII., von Bonaventura bis Wilhelm von Ockham. Die Verrechtlichung führte zu sonderbaren Kompromissen und Unterscheidungen wie "Besitz" und "armer Gebrauch" der Dinge. Andererseits hielt das Bemühen der Franziskaner, an kein Eigentum gebunden zu sein, den Raum frei für Utopien und anders gestaltete Orte. Das entdeckte Amerika diente als Verortung der Utopien, und diese wiederum rechtfertigten die koloniale Aneignung der Neuen Welt. Von diesem Versuch, die Welt kennenzulernen, handelt das 3. Kapitel: "Feeding the Imaginative Landscape of the Franciscan Order" (49-82). Schon Franziskus reiste nach Spanien und Marokko und sah die Mission auch in seiner Regel vor. Er sandte Brüder in den Nahen Osten, in die Länder nördlich der Alpen, und Johannes von Plano di Carpine reiste 1245 in den Fernen Osten und hinterließ eine Historia Tartarorum. Reisebeschreibungen von Franziskanern bildeten ein Netzwerk und für Christoph Columbus die Grundlage seiner Entdeckungen. Diese wiederum veranlassten Brüder, die nach Amerika zogen, ebenfalls Chroniken zu schreiben: "The chronicles produced by Franciscans in the Americas demonstrate that Franciscans continued to be interested in the peoples, geographies and climates of the world" (53).
Welche Rolle Riten, vor allem die Errichtung des Kreuzes, bei der Eroberung Amerikas spielten, zeigt das 4. Kapitel: "The Franciscan Atlantic" (83-11). Beginnt die Geschichte der Franziskaner in der Neuen Welt gewöhnlich mit der Ankunft der "12 Apostel" 1524 in Mexiko, geht McClure den Spuren jener Franziskaner nach, die schon früher unter königlichem Schutz, aber ohne päpstlichen Auftrag in Mexiko an Land gegangen waren, darunter 1523 drei Flamen. Noch früher waren Franziskaner auf den karibischen Inseln, schon 1449 auf der Insel Saltes, wo die in Spanien durch Kardinal Cisneros geförderte Observanz Fuß fasste. Auf den kanarischen Inseln wurde 1423/34 der erste Konvent gegründet, der zur Provinz Kastilien gehörte. So gibt es mannigfache Beziehungen zur Hierarchie und zu Europa. Die Aufrichtung des Kreuzes bedeutete die Einpflanzung des Ordens mit der Übernahme von Wissen und Gebräuchen aus Europa.
Das 5. Kapitel "Franciscan Landscapes of Identity and Violence" (117-158) sucht nach den Ambivalenzen in der Geschichte der Franziskaner, die zur "Invention of Coloniality" führten. Dazu gehört der Umgang mit Macht, Geld, Körper, Kleidung und Kultur. Vom Ursprung her zu Armut, Buße und Unterwerfung verpflichtet, ließen sich die Franziskaner dennoch in die Inquisition einspannen und übten Gewalt aus. Die Gesetze von Burgos und die Verordnungen zur Behandlung der Indianer gaben ihnen 1512 das ausschließliche Recht, die Söhne der Oberschicht zu erziehen. So gewannen sie die Kontrolle über die Eingeborenen. Darauf bedacht, sie zu Christen zu machen, lernten sie ihre Sprachen, kümmerten sich um Kranke und lebten mit den Armen, so dass sie auch für sich die Armut neu entdeckten. "The Franciscans saw themselves building the 'New World' together with the Amerindians in a shared state of poverty" (143).
Friede und Armut sollte auch das Zeitalter des Heiligen Geistes charakterisieren, das Joachim von Fiore († 1202) prophezeit hatte und das viele im Franziskanertum verwirklicht sahen. Ob aber die im 16. Jahrhundert nach Amerika ziehenden Franziskaner sich so sehr als viri spirituales verstanden, dass sie glaubten "The New World at the End of the World" (6. Kapitel: 159-187) errichten zu können, darf man bezweifeln. Gewiss erinnerten die Barfüßer in ihrem armen Habit und mit geschorenem Haupt (Tonsur) an die zwölf Apostel, doch ist damit eher eine Rückkehr zur Urkirche verbunden als die Vision eines kommenden novus ordo im dritten Zeitalter des Geistes. Wie sonst könnte man sich den enormen Einsatz der Missionare für Erziehung und Gesundheit erklären? Der Abt aus Kalabrien stellte sich den neuen Orden eher kontemplativ als aktiv vor.
Gewagte Thesen also zu einem weit gespannten Thema. Die Zitate, mit denen sie abgestützt werden, erscheinen manchmal weit hergeholt.
Leonhard Lehmann