Gaia Sofia Saiani (a cura di): La Passio XII fratrum qui e Syria venerunt. Edizione critica e introduzione (= Uomini e mondi medievali; 62), Spoleto: Fondazione Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo 2019, CLVIII + 69 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-88-6809-273-3, EUR 28,00
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Julia McClure: The Franciscan Invention of the New World, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2017
Diese Passio und die darin genannten zwölf Heiligen sind nur Spezialisten für das Hochmittelalter oder für Mittelitalien bekannt. Die Fratres im Titel liegen den bekannteren, im 13. Jahrhundert auftretenden "Fratres Minores" des hl. Franziskus von Assisi und den "Fratres Praedicatores" des hl. Dominikus von Calaruega in Spanien um 900 Jahre voraus. Sie werden im urchristlichen Sinn "fratres" genannt entsprechend der Redeweise Jesu: "Ihr alle seid Brüder" (Mt 23,8), und der Weise, wie Paulus in seinen Briefen die Leser anredet, z.B. Röm 7,1; 12,1; 15,14; 1 Kor 1,10; 2,1; 3,1; 10,1; 12,1; 15,1; Phil 1,12; 2,12; 3,1.
Den in der Passio genannten Brüdern ist gemeinsam, dass sie aus Syrien kamen und in Rom bzw. im Umkreis von Spoleto, wo mehrere Kirchen einen oder mehrere von ihnen als Patron und Gründer verehren, das Martyrium erlitten haben sollen. Dies betonen vor allem drei Legendare von Spoleto. Deren historischer Wert steht schon seit 50 Jahren auf dem Prüfstand, wie 1976 ein Kongress in Spoleto unter dem Titel "Martiri ed evangelizzatori della Chiesa Spoletina" deutlich gemacht hat. Claudio Leonardi nannte damals die mit einer kritischen Edition der drei Legendare verbundenen Probleme, darunter dieses: die Legendare, obwohl sehr alt, haben schon eine lange Geschichte hinter sich und ein noch umfangreicheres "Nachleben". Sie wurden wichtig für die Konstituierung und Identität von Städten wie z.B. Perugia, das für sich Herculanus als Bischof und Märtyrer reklamiert. Selbst Umbrien als christliche Region führt sich und seine Bischofssitze auf diese zwölf Männer zurück, die in den Acta Sanctorum (Juli, I, Rom 1867, 8-63) "zwölf Gefährten" (socii) genannt werden. Sie haben der Via Flaminia und Via Salaria entlang gepredigt und an verschiedenen Orten das Martyrium erlitten; über ihren Gräbern bauten die Christen Kirchen wie in Rom und es entfalteten sich Städte. Dass jeder Ort sich seinen Heiligen "aufgebaut", manches von Nachbarn übernommen, anderes aufgebauscht hat, ist verständlich. Umso interessanter ist diese relativ kurze Passio, für welche die zum Redaktionsstab des Compendium Auctorum Latinorum Medii Aevi gehörende Autorin erstmals eine kritische Edition vorlegt, nachdem es bisher nur eine "diplomatische" Ausgabe gab (Spoleto 2000) und eine auf Terni bezogene, die sich auf vier Textzeugen stützte (Spoleto 2015).
Wie schwierig diese kritische Edition war, erfährt man in der Einleitung, die mit 157 Seiten länger ist als der eigentliche Text mit 23 Seiten, wo der genaue Titel lautet: Passio atque conversatio undecim Fratrum qui de Syrie partibus profecti sunt in urbe Roma, sub tempore Iuliani Cesaris, quod est septimo Kalendas Augustas (3). Von 38 Textzeugen nimmt die Autorin die 19 besterhaltenen in Betracht und unterscheidet eine Familie α mit 4 Zeugen von einer Familie β mit 15 Zeugen, die sich jeweils in Untergruppen gliedern lassen. In der Schule von Enrico Menestò folgt Saiani der Neo-Lachmann'schen Methode (CXLIII), um ein Stemma codicum (CXLIV) und den kritischen Text zu erstellen.
Dieser liest sich relativ leicht und ist voller Dialoge zwischen Peinigern und Gepeinigten. Anastasius, der mit zwei Söhnen und seiner Verwandtschaft aus Syrien nach Rom gekommen war, verkündet dort das Evangelium. Julian der Abtrünnige (360-363) lässt ihn mit seinem Anhang zu sich führen und fragt: " «Quid est, miseri, insania vestra?» Cui sanctus Anastasius respondit: «Insania nostra Christus est»" (4-5). Nach Kerkerhaft wird er enthauptet. Seine Söhne Euticius und Britius fliehen in Richtung Spoleto. Ähnlich die anderen künftigen Blutzeugen, deren Namen hier wenigstens genannt seien: Proculus, Carpoforus und Habundius, Laurentius, Johannes, Isak, Teudila, Paractalis, Herculanus. Letzterer wird in der Passio schon als Bischof von Perugia bezeichnet, "der die Krone des Martyriums verdiente" (20). Andere wirkten als Eremit, Diakon oder Priester. Wie weit sich solche Angaben verifizieren lassen oder auf späteren Zusätzen beruhen, wird in der Einführung ebenso erklärt wie die Entwicklung des Textes: Er fußt auf lokalen Traditionen aus dem 6./7. Jahrhundert, wurde im 8. Jahrhundert in eine erste schriftliche Form gebracht, die dann in den folgenden zwei Jahrhunderten erweitert und angepasst wurde, bis die Passio im 11./12. Jahrhundert eine quasi feste Version fand, die sich in Italien und darüber hinaus erstaunlich weit verbreitete. Wie an ihrem Anfang lokale Traditionen standen, so wurde sie auch später wieder exzerpiert, um lokale Patronate zu begründen oder zu festigen wie in Perugia und Spoleto oder eine Verbindung der Abtei Farfa mit dem syrischen Mönchtum herzustellen, wie Saiani in einem Anhang zeigt: "Le rescritture del testo" (25-55).
Detaillierte Verzeichnisse (57-69) - der Handschriften, der antiken und mittelalterlichen Personen, der Forscher und der Orte - krönen diese komplexe und doch lesbare Studie über eine alte, kurze, lineare, in Wirklichkeit aber widersprüchliche Passio, die ihr erster moderner Herausgeber Conrad Janning 1867 ein "monstrum historicum" genannt hat (XXXI).
Leonhard Lehmann