Beate Meyer: Fritz Benscher. Ein Holocaust-Überlebender als Rundfunk- und Fernsehstar in der Bundesrepublik, Göttingen: Wallstein 2017, 272 S., 48 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3001-6, EUR 24,90
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"Mein Gott dieser Benscher, mit dem habe ich so viele gute Sachen erlebt!" Mit diesem Ausruf erinnerte sich der Münchener Kabarettist Dieter Hildebrandt an seinen Kollegen und zeitweiligen Mentor Fritz Benscher. Der Hamburger Jude Fritz Benscher hatte die nationalsozialistische Verfolgung in verschiedenen Konzentrationslagern überlebt, bevor er in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit zu einem beliebten Radio- und Fernsehstar avancierte. Benscher geriet nach seinem Ableben 1970 weitgehend in Vergessenheit, während viele einstige Kollegen, vor allem auch Hans Rosenthal, dessen Biografie so viele Ähnlichkeiten mit der Benschers aufweist, sich auch heute noch großer Bekanntheit erfreuen. Dieser Umstand ist vor allem Benschers frühem Tod im Alter von 65 Jahren zuzuschreiben sowie der Tatsache, dass Benscher erst spät in seinem Leben über Bayern hinaus einem breiten Fernsehpublikum bekannt wurde.
Beate Meyer hat nun mit ihrer Biografie Fritz Benschers ein Werk vorgelegt, das die Lebensgeschichte des Moderators und Schauspielers einbettet in die Geschichte der Verfolgung der deutschen Juden, die Geschichte der Überlebenden des Holocaust und in die deutsche Nachkriegsgeschichte. Um es gleich vorweg zu nehmen: Dies ist ein hervorragendes Buch. Mit ihrer Lebensbeschreibung Benschers bereichert Meyer die Geschichte der Bundesrepublik um viele Facetten. Sie wirft ein Schlaglicht auf die Nachkriegszeit aus der Perspektive eines Holocaust-Überlebenden und beleuchtet dabei ganz unterschiedliche Themenfelder, darunter Mediengeschichte, deutsch-jüdische Geschichte oder Münchener Lokalgeschichte. Meyers Darstellung besticht vor allem auch durch die Sprache: anregend geschrieben, präzise formuliert, souverän im Urteil, nähert sie sich der komplexen Persönlichkeit Benschers, wobei die Perspektive geschickt wechselt zwischen dem öffentlichen und dem privaten Fritz Benscher, dem schlagfertigen Publikumsliebling und dem Holocaust-Überlebenden, der unter den Langzeitfolgen der KZ-Haft litt und in der Nachkriegsgesellschaft weitgehend isoliert blieb.
Meyer hat nicht nur das Potenzial und die Bedeutung der Lebensgeschichte Benschers erkannt, sondern eine Biografie ohne überflüssigen Jargon, ohne Redundanzen verfasst, die durch ihre Lesbarkeit, Nuanciertheit und ihren Erkenntnisgewinn besticht.
Fritz Benscher, der sich selbst als "Jude, KZ-Überlebender, Linker und Hamburger in Bayern" (20) definierte und präsentierte, wurde, wie Meyer betont, trotz dieser Eigenschaften zum Publikumsliebling. Geboren 1904 in Hamburg, wuchs Benscher als jüngster von drei Söhnen eines Ledergroßhändlers in Blankenese auf. Entgegen den Wünschen seines Vaters wollte Benscher Schauspieler werden. In Berlin macht er sich als Conferencier in Varieté- und Revuedarbietungen schon bald einen Namen. Nach 1933 wechselte er zum Jüdischen Kulturbund in Hamburg und trat dort bis 1938 als Schauspieler und Sänger auf. Während seine Eltern und seine Brüder aus Deutschland flüchteten, blieb Benscher in Hamburg. Mit Beginn der Deportation der Hamburger Juden im Herbst 1941 wurde Benscher, der 1939 eine Tischlerlehre bei den Lehrwerkstätten der jüdischen Gemeinde begonnen hatte, Sargtischler am Jüdischen Friedhof im Hamburg. Meyer schildert am Beispiel Benschers nicht nur die Entrechtung und wirtschaftliche Ausplünderung, sondern vor allem auch das Alltagsleben der Hamburger Juden am Vorabend der Deportationen und die hemmungslose Gier, die so manche Hamburger an den Tag legten: Der Schrebergartenverein neben dem jüdischen Friedhof beanspruchte einen großen Teil des Friedhofsgeländes für sich, eignete sich die dort befindlichen Geräte an und verlangte von der jüdischen Gemeinde auch noch die Entfernung der Grabsteine.
Im Juni 1943 wurde Fritz Benscher zusammen mit ehemaligen Angestellten der jüdischen Gemeinde nach Theresienstadt deportiert. Dort wirkte er in verschiedenen Theateraufführungen und Kulturveranstaltungen mit, bevor er im September 1944 nach Auschwitz kam. Benscher überstand mehrere "Selektionen" und wurde nach einigen Wochen mit zahlreichen Mithäftlingen im Viehwagen nach Dachau-Kaufering verbracht. In Kaufering, wo die Häftlinge in Erdhütten auf dem blanken Holzboden schlafen mussten, war Benscher für den Transport von Essen und von Leichen zuständig. Auf einem Todesmarsch von Kaufering Richtung Dachau erlebte er die Befreiung im Lager München-Allach.
Nach Kriegsende wurde die Umerziehung der Deutschen das Hauptanliegen Fritz Benschers. Er fand eine Stelle beim amerikanischen Sender Radio Munich (dem späteren Bayerischen Rundfunk) und stürzte sich sofort in die Arbeit. "Benscher und seine Kollegen glaubten an die gesellschaftsverändernde Kraft engagierter Literatur und die Wirkung ihrer Sendungen." (87) so Beate Meyer. Anders als Hans Rosenthal wollte Fritz Benscher die Deutschen mit ihrer Vergangenheit konfrontieren. Dabei ging er keinem Konflikt aus dem Weg: Benscher legte sich mit konservativen Politikern und katholischen Würdenträgern an, sprach sich gegen die deutsche Wiederbewaffnung und gegen atomare Rüstung aus und sagte Hörern seines Wunschkonzerts, die sich "Nazilieder" gewünscht hatten, unverblümt die Meinung. Er fungierte als kritischer Gutachter für die Spruchkammern zur Entnazifizierung von Kollegen, er ergriff Partei für jüdische Händler in der Münchner Möhlstraße, die mit antisemitischen Vorwürfen des Schwarzhandels zu kämpfen hatten, und er trat im Prozess gegen den Staatskommissar für Wiedergutmachung Philipp Auerbach als Zeuge auf. Dabei musste er immer wieder Rückschläge einstecken: zeitweises Redeverbot beim Rundfunk, öffentliche Diffamierung, antisemitische Zuschriften. Meyer zeichnet eine lebendige Frühgeschichte des Bayerischen Rundfunks, eine Nachkriegsgeschichte Münchens aus der Perspektive eines überlebenden Juden, eines politisch links-stehenden Hamburgers in Bayern. Als doppelter Außenseiter kämpfte er an gegen den Antisemitismus, gegen alte Nazis und Mitläufer, gegen Geschichtsverfälschung, politische Zensur, gegen das Schwarz-Weiß-Denken des Kalten Krieges und gegen zu viel bayerischen Lokalpatriotismus. Trotzdem liebte ihn die große Mehrheit seiner Hörer: Benscher war witzig, schlagfertig, bissig und stellte auch gerne mal einen "Großkopferten" bloß.
Zweifellos den schwersten Rückschlag erlitt Benscher im Kampf um seine Wiedergutmachung. Nachdem er dem Rat Philipp Auerbachs folgend in seinem Antrag auf Haftentschädigung deutlich längere Haftzeiten als die Dauer seiner tatsächlichen Inhaftierung angegeben hatte, kam es zu einem Strafverfahren, in dem Benscher schließlich sämtliche Wiedergutmachungsleistungen (nicht nur die Haftentschädigung) verweigert wurden. "Wiedergutmachungsbetrug" diente als Begründung, um Benscher auch seine erheblichen Ansprüche nach Schaden am beruflichen Fortkommen, an Eigentum und Gesundheit zu verweigern. Benscher erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch und einen Herzinfarkt. "Ihm war die gesellschaftliche Anerkennung jahrelanger Diskriminierung Verfolgung und Lagerhaft explizit versagt worden. Mehr noch er war als Lügner und Betrüger abgestempelt." (152)
Benschers Zusammenbruch 1957 offenbarte, dass sich hinter der Fassade des streitbaren, schlagfertigen Radiomoderators ein schwer traumatisierter Überlebender verbarg, der unter den langfristigen Folgen der Lagerhaft litt. Psychiater, die Ende der 1950er Jahre begannen, sich mit Holocaust-Überlebenden zu befassen, kamen zu dem Ergebnis, dass diejenigen Überlebenden, die in Deutschland geblieben waren, am häufigsten mit Beschwerden zu kämpfen hatten. Darüber, wie einzelne Überlebende und ihre Familien im Nachkriegsdeutschland mit diesen psychosomatischen Langzeitfolgen lebten und umgingen, wissen wir noch vergleichsweise wenig. Meyer belegt, dass Benscher in einer "feindlichen Umwelt" nur in seinem "Schutzraum", dem Rundfunk, mit "einer Waffe", "dem bissigen Witz", überleben konnte (192f.). Benscher brauchte auch seine Ehefrau zum Weiterleben: 1950 hatte er Tamara Moser geheiratet, die für ihn ihre eigene Schauspielkarriere aufgeben musste, um ihren Mann persönlich und beruflich zu unterstützen. Sie erlebte seine Albträume, sah wie ihr Mann auch 20 Jahre nach Kriegsende noch Brot unter seinem Kopfkissen hortete. Der beliebte Entertainer blieb gesellschaftlich ein Außenseiter, selbst unter Kollegen zirkulierten Gerüchte, Benscher habe möglicherweise auf Kosten anderer Häftlinge überlebt (dafür gibt es keine Hinweise), der deutsche Staat hatte ihn wegen einem vergleichsweise geringen Vergehen kriminalisiert. Auch in der jüdischen Gemeinde Münchens fand er keinen "Schutzraum", denn Benscher hatte ihr nur wenige Jahre in der unmittelbaren Nachkriegszeit angehört und war auch nicht religiös. Warum war er überhaupt in Deutschland geblieben? Benscher hatte 1946 kurzzeitig die Emigration in die USA verfolgt, aber seinen eigenen Angaben zufolge hatte eine Krankheit schließlich diese Pläne durchkreuzt. Ob es auch andere Gründe für seinen Verbleib in Deutschland gab, ließ sich nicht mehr klären.
Benscher erholte sich 1957 soweit, dass er wieder arbeiten konnte. Dank eines Zufalls kam er ein Jahr später vom Rundfunk zum Fernsehen. Ein Kollege war ausgefallen und Benscher übernahm kurzfristig dessen "Tick-Tack-Quiz", eine Mischung aus Werbesendung und Ratespiel. Das Werbefernsehen war erst vor kurzem in Deutschland eingeführt worden und Benscher brillierte als Quizmaster in der Kombination aus Werbung und Unterhaltung. Das Tick-Tack-Quiz wurde zum Sprungbrett für eine erfolgreiche Karriere als TV-Entertainer und Schauspieler. Benscher übernahm weitere Unterhaltungssendungen und war auch in verschiedenen Fernsehserien und Filmen (u.a. im "Streichquartett" mit Dieter Hildebrandt und Ursula Noack sowie "Im weißen Rößl" mit Peter Weck) zu sehen.
Fritz Benscher war eine Persönlichkeit, die schwer fassbar blieb. Anders als Hans Rosenthal veröffentlichte er keine Memoiren. [1] Geschichten über sein Leben variierte er gerne nach Belieben. Benscher ließ sich ungern "auf eine Wahrheit festlegen," so Meyer (20). Damit stellte er seine Biografin vor einige Herausforderungen, denn, auch von den Selbstzeugnissen abgesehen, war die Quellenbasis dürftig. Die Autorin hat sich davon nicht abschrecken lassen: Beate Meyer konsultierte zahlreiche Archive, führte Interviews und konnte auch eine Sammlung von Zeitungsartikeln und Unterlagen Tamara Benschers, der Witwe von Fritz Benscher, auswerten. Beate Meyer hat akribisch recherchiert, einfühlsam, aber mit der gebotenen Distanz portraitiert und anhand von Benschers Vita deutsche Zeitgeschichte gekonnt erzählt. Sie hat mit ihrer Biografie Fritz Benschers hohe Maßstäbe gesetzt, an denen sich eine noch ausstehende Biografie Hans Rosenthals messen lassen werden muss.
Anmerkung:
[1] Hans Rosenthal: Zwei Leben in Deutschland, Bergisch Gladbach 1982.
Susanna Schrafstetter