Karlo Ruzicic-Kessler: Italiener auf dem Balkan. Besatzungspolitik in Jugoslawien 1941-1943, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, 375 S., 2 Kt., ISBN 978-3-11-054141-0, EUR 89,95
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Wer von Besatzungspolitik und Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg spricht, der schweigt zumeist von Italien. Zu schwer wogen die Niederlagen der italienischen Streitkräfte zwischen Afrika und Südrussland, zu unbedeutend schien der Beitrag des faschistischen Königreichs im Windschatten des Deutschen Reiches und Japans oder der Sowjetunion und der USA, zu realitätsfern muteten die imperialen Phantasien Benito Mussolinis an, und zu abgelegen waren Kriegsschauplätze wie die auf dem Balkan, um die es hier vor allem geht. So ist es kein Wunder, dass sich die historische Forschung jenseits der Apennin-Halbinsel kaum mit der imperialen Realität und der Herrschaftspraxis im italienischen Machtbereich beschäftigt hat; Ausnahmen wie James Burgwyn und Klaus Schmider bestätigen die Regel. [1] Auch die italienische Historiographie hat diese Themen lange ausgesprochen stiefmütterlich behandelt, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie der weithin akzeptierten Überzeugung entgegenstanden, Italien habe einen unglücklichen, aber weitgehend völkerrechtskonformen Krieg ohne Gräueltaten und Verbrechen geführt. Es dauerte bis in die 1990er Jahre, bis Historiker wie Davide Conti, Costantino di Sante, Brunello Mantelli oder Amedeo Osti Guerrazzi den Finger in die Wunde legten und den lange vergessenen, ebenso schmutzigen wie brutalen Krieg auf dem Balkan wieder ins Gedächtnis der Öffentlichkeit riefen. [2]
Eine erste Gesamtdarstellung der italienischen Besatzungspolitik auf dem Balkan in deutscher Sprache hat nun der Wiener Historiker Karlo Ruzicic-Kessler mit der gedruckten Fassung seiner Dissertation vorgelegt. Das Hauptaugenmerk des Autors gilt der italienischen Besatzungspolitik in Jugoslawien zwischen April 1941 und September 1943 und ist damit um einiges enger gefasst, als es der Titel des Buchs suggeriert. Insbesondere interessiert sich Ruzicic-Kessler für die Beziehungen zwischen den italienischen Okkupanten, ihren kroatischen Vasallen und den deutschen Verbündeten auf der einen Seite sowie zwischen Besatzern und Besetzten auf der anderen. Aus diesem komplexen Beziehungsgeflecht, das von Kooperation, Konkurrenz und offener Feindschaft geprägt war, erwuchs - so eine der Thesen des Autors - die besondere Dynamik auf dem jugoslawischen Kriegsschauplatz.
Ruzicic-Kessler gliedert seine Studie in vier Kapitel. Dabei greift er bis in die Jahre des Ersten Weltkriegs zurück, um die politischen Rahmenbedingungen des italienischen "Drang[s] nach Osten" (7) zu skizzieren, der vor allem nach der faschistischen Machtübernahme im Oktober 1922 von imperialistischem Expansionismus, planmäßiger Kriegsvorbereitung und terroristischer Destabilisierung gekennzeichnet war. Hier zeigt sich schon, dass Teile des erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstandenen Königreichs Jugoslawien - und hier vor allem Teile Sloweniens und Dalmatiens - Ziel aggressiver italienischer Begehrlichkeiten waren und dass fast jedes Mittel recht war, um diesen neuen Staat zu zerschlagen. Das zweite Kapitel dreht sich um die Eroberung Jugoslawiens im Zuge eines deutsch-italienischen Feldzugs 1941, um die Besetzung und Teilung des Landes und um die Angliederung bestimmter Regionen an Italien. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die politisch-territoriale, sondern auch die ökonomische Verteilung der Beute von besonderer Bedeutung. Denn während Italien nominell in der Region federführend blieb, große Gebietsgewinne verbuchen konnte und in Kroatien ein Regime installierte, das den Faschisten verpflichtet war, sicherte sich das Deutsche Reich strategische und wirtschaftliche Schlüsselpositionen. Konflikte waren daher gleichsam vorprogrammiert.
Das dritte Kapitel über die "Folgen der Okkupation" stellt den eigentlichen Hauptteil der Studie dar. Hier geht es um die "Organisation der besetzten Gebiete", um "Kollaboration und Widerstand", um "Zwangsmigration" und "Repression", um die "Rivalität zwischen ziviler und militärischer Verwaltung" sowie um die Politik gegenüber den Juden. Dieser Abschnitt ist für die gesamte Studie von zentraler Bedeutung, da es hier in letzter Konsequenz um die Qualität des faschistischen Regimes und um die Vergleichbarkeit von Faschismus und Nationalsozialismus geht. Der Autor zeigt in diesem Punkt zwar die Widersprüchlichkeit der italienischen Politik auf, hebt aber vor allem die Rolle des italienischen Militärs bei der Rettung tausender Juden vor der deutschen Vernichtungsmaschinerie positiv hervor. Damit stellt er sich eher auf die Seite der älteren Forschung, die traditionelle Prägungen des monarchistischen Offizierkorps und die Humanität der italienischen Soldaten hervorhebt.
Gleichwohl macht Ruzicic-Kessler aus dem gewalttätigen Charakter der italienischen Besatzungspolitik, die auch vor Kriegsverbrechen nicht zurückschreckte, keinen Hehl. Daher ist es nur konsequent, dass sich das letzte Kapitel mit der Frage beschäftigt, was im post- und antifaschistischen Italien mit mutmaßlichen Kriegsverbrechern geschehen ist. Wer hier sofort an die drei großen V denkt - Vertuschen, Verdrängen, Vergessen -, wird nicht fehlgehen, und an dieser Interpretation lässt der Autor auch keinen Zweifel, wenn er feststellt, die ausgebliebene Auseinandersetzung mit der italienischen Besatzungsherrschaft in den besetzten Teilen Jugoslawiens sei ein "historisches Versäumnis" (341) gewesen.
Was bleibt von dieser Studie, die vor allem auf italienischen, jugoslawischen und - allerdings vergleichsweise wenigen - deutschen Quellen beruht? Karlo Ruzicic-Kessler bringt dem Leser, der des Italienischen nicht mächtig ist, ein in der Bundesrepublik weitgehend vergessenes Kapitel des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung und leistet zweifellos einen wichtigen Beitrag zum Forschungstransfer. Das letzte Wort zum Thema ist dieses Buch freilich nicht. Dazu ist es in sich zu widersprüchlich, zu weit von den wichtigen Akteuren entfernt, zu wenig sensibel für die spezifischen Gegebenheiten der einzelnen Teilregionen und zuweilen auch zu abgeschottet vom historischen Kontext. Dies zeigt sich nicht zuletzt bei den Urteilen über die italienischen Streitkräfte, die erstaunlich unkritisch als wenig faschisiert, stark traditionsbehaftet und wenig kriegsbereit geschildert werden. An dieser Deutung hängt nicht wenig, umso wünschenswerter wäre es gewesen, kritischer nachzufragen und stärker zu differenzieren. Hier bleibt noch einiges zu tun - nicht zuletzt unter systematischer Einbeziehung aus Quellen deutscher Provenienz.
Anmerkungen:
[1] Vgl. H. James Burgwyn: Empire on the Adriatic. Mussolini's conquest of Yugoslavia, 1941-1943, New York 2005; Klaus Schmider: Partisanenkrieg in Jugoslawien 1941-1944, Hamburg 2002.
[2] Vgl. Davide Conti: L'occupazione italiana dei Balcani. Crimini di guerra e mito della "brava gente" (1940-1943), Rom 2008; Costantino di Sante (a cura di): Italiani senza onore. I crimini in Jugoslavia e i processi negati 1941-1951, Verona 2005; Brunello Mantelli (a cura di): L'Italia fascista potenza occupante: lo scacchiere balcanico, Triest 2002; Amedeo Osti Guerrazzi: L'esercito italiano in Slovenia 1941-1943. Strategie di repressione antipartigiana, Rom 2011.
Thomas Schlemmer