Tomasz Gromelski / Christian Preusse / Alan Ross (Hgg.): Frühneuzeitliche Reiche in Europa / Empires in Early Modern Europe. Das Heilige Römische Reich und Polen-Litauen im Vergleich / The Holy Roman Empire and Poland-Lithuania in Comparison (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien; Bd. 32), Wiesbaden: Harrassowitz 2016, 264 S., ISBN 978-3-447-10574-3, EUR 48,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Der vorliegende Sammelband vereint Beiträge, deren Ziel ein vergleichender Blick auf das Alte Reich beziehungsweise Polen-Litauen in der Frühen Neuzeit ist. Dies sei, so Christian Preusse in seiner programmatischen Einleitung, notwendig, da die traditionsreiche Fokussierung politischer Verhältnisse weiterhin dominiert, die zudem durch regionale Zugriffe, die Anwendung "westeuropäischer" Modelle von Staatlichkeit sowie eine weitgehende Zurückstellung kulturhistorischer Fragen gleichsam flankiert werden, die vielen Ähnlichkeiten aber, die einen Vergleich rechtfertigen, zumeist außerhalb des Blickfelds zu den beiden Staatswesen verbleiben. Beide passten kaum in gängige Modelle, weswegen institutionell-strukturelle Vergleiche bislang - allen offensichtlichen Vorteilen zum Trotz - rar sind: Immerhin, Polen-Litauen und das Alte Reich erscheinen als "zwei Spezies desselben Genus" (24), deren fortgesetzte Analyse gleichsam als Absichtserklärung der Herausgeber über den vorliegenden Band hinaus gelten mag.
Die 13 Beiträge des Bandes, organisiert in drei Teilen, befassen sich mit einer großen Bandbreite, die von politisch-konstitutionellen Diskussionen (Teil 1) über die Verwaltungsgeschichte (Teil 2) bis hin zu politisch-religiösen Themen (Teil 3) reicht. Im ersten Abschnitt finden sich die Beiträge von Julia Burkhardt zu Reichsversammlungen in beiden Staatswesen, Maciej Ptaszyński über ständische Widerstandsrechte in Polen-Litauen, Horst Carl über Reinhart Kosellecks Föderationsbegrifflichkeit, Edward Opaliński über die konstitutionellen wie praktischen Konsequenzen des polnischen Wahlkönigtums nach 1572/73 sowie von Jerzy Lukowski zu den Verfassungsexperimenten der 1790er-Jahre. Der zweite Abschnitt zur königlich-ständischen Verwaltung beinhaltet einen Aufruf von Wojciech Krawczuk, verstärkt die Kanzleien der Herrscher zu beforschen, einen Beitrag von Joanna Kodzik zu Aspekten symbolischer Kommunikation am Beispiel zweier Hochzeiten im späten 17. Jahrhundert sowie Peter Collmers Studie zum sächsischen Einfluss auf die ökonomischen Entwicklungen Polen-Litauens. Teil 3 umfasst die Aufsätze von Jürgen Heyde bzw. Igor Kąkolewski zu Aspekten religiös-konfessioneller Toleranz von 1500 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, sodann eine konzeptionelle Vorstudie zu Provinzialsynoden aus vergleichender Perspektive von Elke Faber, an den die Beiträge von Damien Tricoire zu Aspekten religiösen Extremismus während des Dreißigjährigen Krieges bzw. von Klemens Kaps zu den Folgen der Ersten Teilung in Polen-Litauen und der Habsburgermonarchie anschließen. Den Band beschließen hilfreiche Personen- und Ortsregister.
In vielen derartigen Sammelwerken ist es oftmals nicht so einfach, klare Argumentationslinien bzw. inhaltliche Stringenz vorzufinden; der vorliegende Band ist auch diesbezüglich - trotz aller interessanten Aspekte wie etwa in den Beiträge Ptaszyńskis und Opalińskis, die auch inhaltlich gut zueinander passen, oder Tricoires - keine Ausnahme. Dies ist anhand zweier größerer Schwachpunkte ersichtlich: einerseits auf der konzeptionellen Ebene, da Schlüsselbegriffe wie etwa "empire" (z.B. 9 folgende), "periphery" oder "boundaries" (14) bereits in der Einleitung gleichsam ohne Qualifizierungen zum Einsatz kommen; ähnlich tauchen auch in anderen Beiträge wichtige Bezeichnungen wie "citizen" (122), "noble electorate" (125) oder "bürgerlich" (175-181) auf, die gerade im frühneuzeitlichen Kontext klar definiert werden müssten. Andererseits fehlen mindestens zwei relevante Bezugspunkte: Fragen bzw. Hinweise auf die Positionierung der beiden fokussierten Staatswesen innerhalb der Debatte um neuzeitliche Staatswerdung im Allgemeinen sowie das dritte große zusammengesetzte Staatswesen Zentraleuropas, die Habsburgermonarchie, bleiben weitgehend außen vor. Den in der Einleitung doch recht schematisch anmutenden historiografischen Bezügen werden die besprochenen Inhalte, auch aufgrund ziemlich großer Lücken - so behandelt etwa ein einziger Beitrag ein Thema aus der Zeit zwischen dem Westfälischen Frieden und dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts -, vielfach kaum gerecht.
Zu diesen zwei grundlegenden Problemen kommt zudem eine Reihe kleinerer Mängel, die in so gut wie allen Beiträgen auftauchen: unklare Metaphern wie die biologistisch anmutende Terminologie "Spezies" und "Genus" (24), die ebenso unerklärt verbleiben wie die Bezeichnung "Institutionalisierungsgrad" (29 folgende), der lapidar anmutende Hinweis, dass Fürstenehen "politische Verfahren" (141 folgende) gewesen seien, oder die für frühneuzeitliche Verwaltungsabläufe befremdlich anmutende Sprachwahl à la Foucault ("Maschinerie", "automatische Präzision", 159); hinzu kommen mehrere Anachronismen, wenn etwa von "Arbeitsteilung" (46 folgende), "direct democracy" (115) und "civil liberties" (117) die Rede ist; der Hinweis auf die anachronistische Wortwahl in der 3. Auflage von Jörg Hoenschs erstmals 1983 erschienener Geschichte Polens (168, Anmerkung 47) hingegen erscheint in diesem Lichte, wiewohl angemessen, wenig glaubwürdig. Diese Aspekte finden ihre Entsprechung in der zum Teil nicht immer aktuellen Literatur, wie etwa in den Beiträgen Kodziks (zum Beispiel Seite 139, Anmerkung 2; Seite 141 folgende, Anmerkung 13), deren gleichsam "zeremonialwissenschaftliche" 144) Abhandlung auf einer sehr dünnen Quellenbasis von nur sechs Seiten (Seite 140, Anmerkung 9) ruht, dafür aber ausführlich und teilweise redundant aus diesen zitiert (etwa Seite 141, 145-152) bzw. Kąkolewski (etwa Seite 191, Anmerkung 7), Heyde (174 folgende) oder Tricoire (228, Anmerkung 15), die allesamt konfessionelle Toleranz behandeln, aber die kürzlich vorgelegten Synthesen von Thomas Brady und Peter Wilson nicht erwähnen; ähnlich auch Kaps (240, Anmerkung 10; Seite 247-252), der etwa Derek Beales' Biografie Josephs II. nicht berücksichtigt.
So bleibt letztlich festzuhalten, dass zwar die Notwendigkeit derartiger Zugriffe klar ersichtlich ist, aber die Umsetzung sowohl auf konzeptioneller Ebene wie auch durch die einzelnen Autorinnen und Autoren nicht immer als gelungen zu bezeichnen ist; auch die überwiegende Nicht-Berücksichtigung der Habsburgermonarchie als Bezugspunkt ist zu erwähnen. Insgesamt ergibt der Band also nicht immer ein eingängiges, nachvollziehbares Bild, was schade ist, denn bei diesem Thema wäre gewiss mehr möglich gewesen.
Stephan Sander-Faes