Hans-Jürgen Bömelburg (Hg.): Polen in der europäischen Geschichte. Band 2: Frühe Neuzeit. 16. bis 18. Jahrhundert, Stuttgart: Anton Hiersemann 2017, VIII + 924 S., 7 Kt., ISBN 978-3-7772-1710-9, EUR 364,00
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Vadim Oswalt / Hannah Ahlheim / Hans-Jürgen Bömelburg u.a. (Hgg.): Ein heimlicher Quellenkanon? Neue Perspektiven auf Dokumente der Geschichte, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2024
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Mit dem auf vier Bände angelegten Handbuch "Polen in der europäischen Geschichte" wird ein grundlegendes und dringendes Desiderat geschichtswissenschaftlicher Forschung und Lehre behoben. Die Darstellung des vorliegenden, die Frühe Neuzeit (16.-18. Jahrhundert) abdeckenden Bandes 2 ist dem Umfang von über 900 Seiten entsprechend umfassend und gründlich. Hinsichtlich des Forschungsstandes wird über die reichhaltige polnische Historiographie hinaus selbstverständlich die litauische, ukrainische und weißrussische Forschung aufgearbeitet; ferner werden der Einfluss der französischen Mentalitätsgeschichte und jüngere englische Forschungsergebnisse sowie amerikanische/israelische Arbeiten zu den Juden Polen-Litauens exponiert. Dabei fällt auf, dass die deutschen bzw. deutschsprachigen Ergebnisse zwar umfassend berücksichtigt, als Kategorie im Forschungsstand jedoch nicht wahrgenommen werden; österreichische historiographische Früchte sind zwar berücksichtigt, bleiben als historiographischer Cluster jedoch unbenannt.
Auf inhaltlicher Ebene werden Bezüge hinsichtlich der habsburgisch-österreichischen Perspektive seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert konsequent, aber implizit verfolgt. Zunächst wird die Stellung der Jagiellonen zwischen Konkurrenz und Partnerschaft zu und mit den Habsburgern bis hin zur Schlacht bei Mohács 1526 charakterisiert (Schlagwort Tu felix Austria nube). Als wesentlicher Knotenpunkt firmiert dabei ganz im Sinne einer dynastiegeschichtlichen Herangehensweise Elisabeth von Habsburg als Mutter der Jagiellonen. Bezüge werden aber auch über die Diplomatie- und Ereignisgeschichte hinaus hergestellt, etwa hinsichtlich der Bevölkerungsdichte, die im 16. Jahrhundert in den habsburgischen Ländern mit der des polnischen Kronlandes vergleichbar gewesen sein dürfte.
Ein weiterer Beziehungsbrennpunkt ist der Dreißigjährige Krieg, sei es in Wechselwirkung mit den Konflikten zwischen Polen-Litauen und dem Osmanischen Reich zu Beginn der 1620er Jahre, sei es mit den Auseinandersetzungen rund um den Schauplatz Ostsee am Ende des Jahrzehnts. Als Gemeinsamkeit nach innen wird nun auch der Kampf gegen die gesellschaftspolitische Macht der Stände gesehen. Über die enge heiratspolitische Partnerschaft König Sigismunds III. Wasa und anfänglich auch seines Sohnes Ladislaus' IV. mit den Habsburgern wird die These, Polen-Litauen sei nicht in den Dreißigjährigen Krieg involviert gewesen, reflektiert - immerhin war der Dreißigjährige Krieg eine Erschütterung des gesamten beziehungspolitischen Systems seiner Zeit und das Mächtedreieck Polen-Litauen/Habsburger/Moskau ein wesentlicher Faktor eben dieses Systems. Aber auch der Schauplatz Spanien wird als Feld der Verständigung zwischen Habsburgern und Polen-Litauen berücksichtigt, denn spanische Interessen waren über die Niederlande auch an den Ostseeraum und somit an die Interessen der Wasa-Dynastie gebunden.
Angesichts der durchschlagenden schwedischen, moskauischen und kosakischen Erfolge gegen Polen-Litauen im Jahr 1655 involvierte der Rückzug König Johann II. Kasimirs nach Schlesien die habsburgische Seite auch wieder unmittelbarer in die Geschehnisse. Die zu Ende des Jahres 1656 durch den kaiserlichen Hof schließlich erfolgte Zusage militärischer Unterstützung bleibt aber in der vorliegenden Darstellung weitgehend unmotiviert. Die Idee, mit dem Vertrag von Wilna eine habsburgisch-polnisch/litauisch-moskauische Achse zu schaffen und so Schweden und das Osmanische Reich voneinander zu isolieren, wird nicht benannt, Jaroslav Fedoruks diesbezüglich aufschlussreiche Arbeit [1] nicht zitiert. Ganz generell fällt auf, dass die verwendete Forschungsliteratur zur Darstellung der Rolle der Habsburger bzw. des Kaiserhofes im Nordischen Krieg der 1650er Jahre unklar bleibt.
Als nächste Epoche sind die Jahrzehnte um 1700 hervorzuheben, in denen die Vormachtstellung in der gesamten Großregion Ostmitteleuropa/Osteuropa von Polen-Litauen auf Moskau/Russland überging. Es fällt positiv auf, dass dem Entsatz des von Osmanischen Truppen belagerten Wien unter Johann III. Sobieski im Herbst 1683 kaum Raum im Sinne einer Ereignis- oder gar Helden-Geschichtsschreibung gegeben wird. Ganz im Gegenteil werden vielmehr die krisenhaften Züge der Herrschaft Sobieskis gerade in den 1680er Jahren hervorgehoben (Bömelburg, 392) und die Ereignisse von 1683 selbst angemessen im Umfang und nüchtern im Tonfall (Dybaś, 409) behandelt. Die Jahre zwischen 1683 und 1699 - dem Frieden von Karlowitz, der Ungarn zur Gänze unter habsburgische Herrschaft brachte - werden überzeugend ins Licht diplomatischer Konkurrenz zwischen Habsburgerreich und Polen-Litauen im Sinne einer angestrebten Stärkung Sobieskis im Süden (Unterstützung ungarischer Aufständischer unter Emmerich Thököly, Ambition auf die Donaufürstentümer) gerückt. Für die Zeit nach seinem Tod 1696 werden die Vorbereitungen auf die habsburgisch-französischen Auseinandersetzungen um das spanische Erbe akzentuiert. In die Darstellung des Nordischen Krieges wird Habsburg hingegen kaum einbezogen, allenfalls über die Idee, in Polen-Litauen habe man mit der Wahl des sächsischen Kurfürsten August des Starken auch auf indirekte Unterstützung durch Reich und Kaiser gesetzt. Erst wieder zu Ende des Großen Nordischen Krieges werden die Habsburger als Garantiemacht Polen-Litauens gegen Russland relevant, wenn auch nur kurzfristig: 1726 wurde mit dem Beitritt Österreichs zu einer russisch-schwedischen Allianz und dem Abschluss eines russisch-preußischen Bündnisses erstmals die sogenannte Ära der drei schwarzen Adler fassbar.
Der vor allem am Rhein und in Italien und somit europaweit ausgetragene polnische Thronfolgekrieg der 1730er Jahre stand jedenfalls unter dem Vorzeichen einer engen österreichisch-russischen Verbindung. Die schlesischen Kriege und ihre enge Konnotation mit den Konflikten um die österreichische Nachfolge nach dem Tod Karls VI. ab 1740 minderten zwar die Optionen des Hauses Habsburg kurzfristig - entscheidend ist jedoch, dass die Umstände von sächsischer Seite nicht zu einer nachhaltigen Profilierung genutzt werden konnten. Erst zum Ende des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) wird dann unter den Vorzeichen umgekehrter Bündnisse und der neuen habsburgisch-französischen Verbindung die Opposition gegen die Wahl des letzten Königs der polnisch-litauischen Epoche, Stanisław August Poniatowski, ausdrücklich als Faktor habsburgischen Einflusses akzentuiert. Nach seiner Wahl orientierte sich der König dann ja ausdrücklich am Haus Habsburg.
Eine ausführliche Behandlung als Thema polnisch/litauisch-habsburgischer Beziehungen erfahren die Teilungen Polen-Litauens, insbesondere die erste von 1772, die für die Habsburgermonarchie den Gewinn Galiziens bedeutete. Ihre Vorgeschichte wird gründlich und ausgewogen bis in die 1760er Jahre zurückverfolgt, die Partizipation Österreichs daran dann einleuchtend vor allem als Möglichkeit zur Kompensation für den Verlust Schlesiens akzentuiert. Unmissverständlich wird ausgesprochen, dass es die Habsburgermonarchie war, die 1769 mit der Besetzung der Zips den ersten Schritt hin zur territorialen Aufteilung Polen-Litauens tat. Hinsichtlich der Frage nach den Ursachen und Gründen der Teilungen wird der politische Vergleich der Teilungsmächte auf Kosten Polen-Litauens betont, innere polnisch-litauische Defizite werden diesbezüglich hingegen eher zurückgestellt. Der unbestreitbare Widerspruch zwischen Erfolg und Misserfolg Stanisław Augusts wird narrativ derart gelöst, dass Reformpolitik einerseits und Erste Teilung Polen-Litauens andererseits getrennt voneinander behandelt werden; der Verfassung vom 3. Mai 1791 wird dem gängigen polnischen Narrativ entsprechend viel Platz eingeräumt. Durchaus weitsichtig werden ausleitend die Konsequenzen der Ersten Teilung von 1772 hin zu den Konstellationen des 19. Jahrhunderts beleuchtet. Dies betrifft etwa den im vorliegenden Band seit der jagiellonischen Zeit konsequent verfolgten habsburgisch-hohenzollerschen Antagonismus oder die Orientalische Frage - immerhin wurde in den späten 1780er Jahren versucht, das Osmanische Reich zu zerschlagen, wobei sich die diesbezüglichen politischen Wirkungskreise bis in die Niederlande (1788) und Frankreich (1792) zogen, wo die Ereignisse mittelbar auf die Kapazitäten und Fähigkeiten der Habsburger wirkten, sich in Polen-Litauen zu engagieren.
Vor dem Hintergrund von derart viel Makropolitik (Diplomatie, Dynastie, Militär) steht etwa der seit dem 16. Jahrhundert betriebene Handel auf dem Landweg mit den habsburgischen Gebieten eher im Hintergrund, wofür die schlechte Quellenlage verantwortlich gemacht wird (Bues, 39). Auch kommt etwa dem polnisch-habsburgischen Handelstraktat von 1727 und seiner Rolle bei der Entwicklung eines Absatzmarktes für schlesische Woll- und Textilindustrie mit gerade einmal einem Satz nur sehr wenig Platz zu (Bömelburg, 474). Immerhin ist damit aber die offensichtlich nicht vorhandene Forschung angeregt und somit wiederum eine zentrale Aufgabe des Formates Handbuch erfüllt. Die Ausführungen zu den wirtschaftlichen Folgen der Ersten Teilung Polen-Litauens und zur Integration Galiziens in die Habsburgermonarchie sind ebenfalls knapp gehalten (Collmer, 645-647), was freilich mit dem chronologischen Gesamtkonzept des Bandes gut zu erklären ist. Erörterungen der gesamteuropäischen Transferleistungen hinsichtlich Produktion, Rezeption und Transfer von Kultur (Literatur, Malerei, Architektur, Musik) fehlen zumindest explizit; wenigstens die Literatur wird aber im Zusammenhang mit der Aufklärung stärker behandelt, als dies auf den ersten Blick deutlich wird. Wieder stärker mit Blick auf die habsburgische Perspektive fällt dazu auf, dass hinsichtlich der Bildungsgeschichte des 18. Jahrhunderts die habsburgischen Länder und ihre "Bildungsedikte von oben" (Friedrich, 286) als eher negatives Gegenbeispiel zu einer evolutionären Entwicklung der Institutionen und einer durch anregende Konkurrenz der geistlichen Orden geförderten Rolle der Jesuiten in Polen-Litauen gezeichnet werden.
Abschließend kann das Potential des Handbuches "Polen in der europäischen Geschichte" als künftiges Standardwerk nur nachhaltig unterstrichen werden. Gesellschaftspolitische Aktualität über die Bedeutung für die akademische Lehre und Forschung hinaus bekommt das Projekt über die differenziert und vielschichtig zu führende Diskussion um die europäische Einigung und ihre historischen Vorfahren - gerade unter den gegenwärtigen, der Integrationsidee ja wieder gegenläufigen Tendenzen an vielen Orten Europas ist das vorliegende Handbuch daher ein umso signifikanteres und wichtigeres Signal.
Anmerkung:
[1] Jaroslav Fedoruk, Vilens'kyj dohovir 1656 roku. Schidnoevropejs'ka kryza i Ukrajina u seredyni XVII stolittja. Kyjiv 2011.
Christoph Augustynowicz