Sonja Wimschulte: Die Jakobiten am Exil-Hof der Stuarts in Saint-Germain-en-Laye 1688/89 bis 1712. Migration, Exilerfahrung und Sinnstiftung (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte; Bd. 244), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 283 S., ISBN 978-3-525-10148-3, EUR 75,00
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Die historische Migrationsforschung hat in den letzten Jahren einen rasanten Aufstieg erlebt. Im Zentrum standen dabei protestantische Glaubensflüchtlinge, allen voran die französischen Hugenotten. Einer vornehmlich katholischen Migrantengruppe widmet sich Sonja Wimschulte in ihrer Dissertation über "Die Jakobiten am Exil-Hof der Stuarts in Saint-Germain-en-Laye 1688/89 bis 1712". Sie fragt nach "Wahrnehmung, Sinnstiftung und Deutung" dieser Migrationsbewegung (21). Ihre zentralen Quellen sind Gehaltslisten und offizielle Ernennungen im Exil, die in britischen und französischen Archiven zu finden sind (26). Diese werden ergänzt durch Selbstzeugnisse und Naturalisierungen von Hofangehörigen (24f.). Als Methode wählt sie die in der Hofgeschichtsschreibung erprobten Ansätze der Prosopographie und Erfahrungsgeschichte (21, 23).
Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile. An die Einleitung schließt eine Darstellung des Migrationsprozesses, seiner Auslöser und Rahmenbedingungen an. Die Autorin konstatiert eine relativ schmale Quellengrundlage und orientiert sich deshalb vor allem an den Ergebnissen der bestehenden Forschungsliteratur. Zwischen 1688 bis 1692 vollzog sich auf den britischen Inseln die Glorious Revolution, in deren Verlauf der katholische König Jakob II. seinen Thron verlor. Er und seine Familie gingen ins französische Exil. Ludwig XIV. überließ Jakob II. das königliche Schloss von Saint-Germain-en-Laye und unterstützte den entthronten Stuart mit einer monatlichen Pension von 50.000 Livres (73). Dies ermöglichte Jakob II. die Etablierung eines englischen Exilhofes auf französischem Boden.
Ein dritter Teil untersucht daraufhin "Erfahrung, Wahrnehmung, Sinnstiftung und Deutung" der Jakobiten von 1693 bis zum Tod Jakobs II. im Jahr 1701. Der Hof war zu einem überwältigenden Teil katholisch und setzte sich vor allem aus Angehörigen der Gentry und Commoners zusammen (153). Die Hofangehörigen hätten sich aus Treue zu Jakob II., zur Dynastie der Stuarts und wegen der Idee des Gottesgnadentums für das Exil in Saint-Germain entschieden, welches sie vor Strafverfolgung in der Heimat schützte (154f.). Hofämter hätten ihnen eine Existenzmöglichkeit und die Aufrechterhaltung ihres sozialen Status im Exil geboten. Durch die Unterstützung des französischen Königs sei es Jakob II. gelungen, Klientelbeziehungen aufrecht zu erhalten und auszubauen. Gnadenerweise und Geschenke seien teilweise jedoch erst im Falle einer Restauration versprochen worden (155). Ein wesentlicher Grund für die Wahl des Exils sei deshalb auch die Hoffnung der Jakobiten auf eine Rückkehr auf die britischen Inseln gewesen, die durch die Anerkennung des Revolution Settlement im Frieden von Rijswijk freilich zunehmend dahingeschwunden sei. (158).
Der vierte Teil folgt der Frage nach "Wahrnehmung, Sinnstiftung und Deutung" des Exils durch die Jakobiten unter dem Nachfolger Jakobs II., dem Chevalier de Saint-Georges. Während seiner Minderjährigkeit übte die Königinwitwe Maria-Beatrix von Modena bis 1706 die Regierungsgeschäfte aus. Die Anerkennung des Chevalier de Saint-Georges als König von England durch Ludwig XIV. im Jahr 1701 war ein Grund für den Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges. Der Krieg habe die Hoffnungen der Jakobiten auf eine Restauration geschürt. Diese seien zusätzlich durch die Opposition weiter Teile der schottischen Öffentlichkeit gegen die Union mit England bestärkt worden (206). Sie hätten sich jedoch 1712 zerschlagen, als sich die französische Regierung gezwungen sah, ihre Unterstützung der Stuarts wegen der Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Königin Anna einzustellen. Der Chevalier de Saint-Georges wurde genötigt, sein Exil nach Lothringen zu verlegen. Große Teile seines Hofes folgten ihm.
Als abschließende Ergebnisse werden Strukturelemente des jakobitischen Exilhofes zwischen 1688 und 1712 herausgearbeitet. In Saint-Germain habe sich eine sozio-ökonomische Parallelwelt zum offiziellen englischen Königshof etabliert. Die Anhänger der Stuarts seien auf den Hof in Saint-Germain angewiesen gewesen, um ihre Titel und bescheidenen Einnahmen aufrechtzuerhalten und juristischer Verfolgung im Heimatland zu entgehen (217). Der Glaube an die Sakralität des Königtums der Stuarts sei ein wesentlicher Grund gewesen, ihm die Treue zu halten (218-220). Ökonomische und politische Motive der Jakobiten zur Emigration hätten sich nicht voneinander trennen lassen (229f.). Anders als der Exodus der Hugenotten sei ihre Emigration persönlich, institutionell, wirtschaftlich und politisch motiviert gewesen (228). Dennoch handelte es sich um ein mehrheitlich katholisches Phänomen. Da der Exilhof in hohem Maß katholisch war, eine katholische Frömmigkeitspraxis pflegte und keine freie protestantische Religionsausübung gestattete, standen die Stuarts vor einem erheblichen Rechtfertigungsdruck vor der protestantischen Öffentlichkeit Großbritanniens. Diesen Widerspruch hätten sie durch eine Trennung von einer privat-religiösen und einer öffentlich-politischen Sphäre versucht aufzulösen, ohne dass sie dadurch eine höhere Glaubwürdigkeit erlangten (220f.). Dennoch habe die andauernde Unterstützung Ludwigs XIV. für die Sache der Stuarts die Jakobiten in ihrer Hoffnung auf eine Restauration bestärkt. Sie sei ein wesentlicher Antriebsfaktor für ihre Wahl des Exils gewesen (221-222). Mit zunehmender Dauer des Exils verlor der Hof an Anhängern. Seine Angehörigen kehrten teilweise mit Billigung Jakobs II. oder des Chevalier de Saint-Georges in ihre Heimat zurück. Die Stuarts hätten damit das politische Kalkül verbunden, ihre Anhänger gleichsam als dritte Kohorte auf den britischen Inseln einschleusen zu können. Die zurückgekehrten Jakobiten hätten mit dieser Argumentation das Selbstbild, treue Untertanen der Stuarts zu sein, aufrechterhalten können (223). Eine Auflistung der Inhaber der einzelnen Hofchargen und ein Personenregister runden den Band ab.
Dem positiven Gesamteindruck der Studie stehen zwei kleinere Kritikpunkte entgegen. Die These, Ämter in Saint-Germain seien zur Selbstinszenierung der Stuarts im protestantischen England auch an Anglikaner vergeben worden, wird mit der Person des Staatssekretärs Charles Middleton belegt (14). Es ist aber kennzeichnend für den katholischen Konfessionalismus des Exilhofes, dass gerade der Protestant Middleton auf Druck Jakobs II. zum Katholizismus konvertierte. Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Gliederung. Strukturell sind kaum Unterschiede zwischen den Höfen Jakobs II. und des Chevalier de Saint-Georges zu beobachten, an deren Regierungszeiten sich die Arbeit orientiert. Dies führt zu zahlreichen Redundanzen, insbesondere bei den Forschungsergebnissen, die durch einen systematischeren Ansatz hätten vermieden werden können.
Die genannten Kritikpunkte schmälern aber nicht die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse für die historische Migrationsforschung und die internationale Hofgeschichtsschreibung. Die Arbeit erlaubt einen Einblick in weit verzweigte persönliche und finanzielle Netzwerke. Damit regt sie dazu an, Exilhöfe der Frühen Neuzeit stärker als Teil einer europäischen Geschichte systematisch zu untersuchen.
Christian Mühling