Stephan Flemmig / Norbert Kersken (Hgg.): Akteure mittelalterlicher Außenpolitik. Das Beispiel Ostmitteleuropas (= Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung; 35), Marburg: Herder-Institut 2017, VI + 376 S., ISBN 978-3-87969-415-0, EUR 57,50
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Es wird kaum zu bestreiten sein, dass das Themenfeld der Außenbeziehungen zwischen verschiedenen Herrschaftskomplexen im mittelalterlichen Europa in den vergangenen Jahren deutlich stärker als zuvor in das Blickfeld der Forschung gerückt ist. Mehrere sowohl inhaltlich als auch methodisch bedeutende Studien nahmen dabei die Situation im westlichen Teil des Kontinents in den Blick, wohingegen die Situation im östlichen Mitteleuropa bisher vergleichsweise wenig Beachtung fand. Auf dieser Einschätzung (1) aufbauend, versuchen die Herausgeber und Beiträger des hier rezensierten Sammelbandes, der das Ergebnis einer am 14. und 15. Oktober 2014 am Herder-Institut in Marburg abgehaltenen Fachtagung darstellt, die Forschungsdiskussion in diesem Feld zu bereichern.
Unter Außenpolitik respektive Außenbeziehungen können nach den Herausgebern, die hier den Vorarbeiten von Dieter Berg [1] folgen, "im weitesten Sinne jene politischen Aktionen eines Herrschers verstanden werden, die über die Grenzen des eigenen Machtbereiches hinausweisen und höchst unterschiedliche Ziele unter Verwendung eines geeigneten Instrumentariums politischer Kommunikation verfolgen" (1). Für die Beantwortung der in der Einleitung aufgeworfenen Leitfragen nach den Konzeptionen außenpolitischen Handelns, seinen Akteuren oder den von ihnen genutzten Medien wurde eine doppelte, vergleichende Perspektive gewählt: Zum einen sollen Akteure in den zahlreichen ostmitteleuropäischen Herrschaftskomplexen in den Blick genommen werden, zum anderen aber ebenso ihre Interaktionspartner aus den Herrschaftsgebilden in der westlichen Nachbarschaft. Zudem lassen sich die unterschiedlichen Beiträge des Sammelbandes drei thematischen Zugängen zuordnen (5).
Nach einem ebenso umfangreichen wie lesenswerten Überblick des Herausgebers Norbert Kersken über die wichtigsten älteren und gegenwärtigen sowie mögliche zukünftige Forschungsperspektiven auf das Themenfeld "Außenpolitik" im gesetzten zeitlichen und geografischen Rahmen widmen sich die ersten drei Beiträge dem Phänomen "Außenbeziehungen" auf der Ebene ihrer dynastischen Träger. So sucht Robert Antonín nach den maßgeblichen Akteuren und Mechanismen für die Außenpolitik der letzten Přemysliden-Herrscher, während Rimvydas Petrauskas die möglichen Ausdrucksformen und Handlungsspielräume für die internationale Politik der litauischen Großfürsten in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts charakterisiert. Rafał Simiński beschäftigt sich anschließend mit der Rolle pommerscher Diplomaten in der Kommunikation zwischen dem Herzogtum Pommern-Stolp und dem Deutschen Orden in Preußen im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert. Eine ähnliche Perspektive nimmt auch Lenka Bobková ein, die die multilateralen Verhandlungen auf zwei bedeutenden Herrschertreffen in Trentschin und Visegrád im Jahr 1335 untersucht.
Die daran anschließenden Beiträge eint ein zweiter thematischer Zugang, der den Blick auf die Stände als außenpolitische Akteure richtet. Tetiana Grygorieva und Dariusz Wróbel tun dies am Beispiel Polens am Ende des 15. Jahrhunderts bzw. in den einschneidenden Phasen 1382-1386 und 1434-1438, wohingegen Alexander Baranov die Beziehungen zwischen dem Deutschen Orden in Livland und dem Großfürsten Ivan III. von Moskau untersucht und beiden Seiten ein Verhältnis "zwischen Bündnis und Konfrontation" attestiert. Die Politik des Deutschen Ordens steht auch im folgenden Beitrag des Herausgebers Stefan Flemmig im Mittelpunkt, der versucht, die Einflussnahme sächsischer Berater auf die Außenpolitik des Hochmeisters Friedrich von Wettin nachzuvollziehen. Im Anschluss daran widmet sich Julia Burkhardt den außenpolitischen Dimensionen von polnischen und ungarischen Reichsversammlungen. Letztere seien zum Ende des 15. Jahrhunderts in beiden Regionen "zu einem festen Bestandteil des politischen Ordnungsgefüges avanciert" (196). Abgeschlossen wird der zweite thematische Block von Uwe Tresp, der die großen Linien der böhmischen Außenpolitik in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts recht treffend unter dem Titel "Gewalt und Diplomatie" zusammenfasst.
Die darauffolgenden Beiträge vertreten allesamt einen dritten Zugang, der die Rolle(n) von Vermittlern, Beratern und Gelehrten in der Organisation von Außenbeziehungen verstärkt in den Vordergrund rückt. So sucht Dániel Bagi nach weltlichen sowie kirchlichen Vermittlern in den Auseinandersetzungen um die angevinische Thronfolge im Polen des 14. Jahrhunderts, während Mario Müller die Träger der Außenbeziehungen im spätmittelalterlichen Kurfürstentum Brandenburg in den Blick nimmt. Adam Szweda widmet sich dem Verhältnis der polnischen Könige zu ihren Räten im Zuge der Beziehungen zum Deutschen Orden, und schließlich thematisiert Paul Srodecki den Einfluss von humanistischem Wissens- und Kulturtransfer in Ostmitteleuropa auf die Diplomatie an den Herrscherhöfen der Jagiellonen und Hunyadis.
Abgerundet wird die abwechslungsreiche Zusammenstellung des Sammelbandes durch das lesenswerte Tagungsresümee Martin Kintzingers, in dem nicht nur die einzelnen Beiträge nochmals ihre Würdigung erfahren, sondern ebenso das auch in Zukunft bedeutende Erkenntnispotenzial der Ostmitteleuropaforschung für die gesamteuropäische Mittelalterforschung hervorgehoben wird (351). Am Ende des Bandes findet der Leser zwischen dem üblichen Abkürzungsverzeichnis sowie einer Übersicht der Autorinnen und Autoren auch ein umfangreiches Orts- und Personenregister, das eine rasche Orientierung bei der Suche nach bestimmten Informationen oder Schlagworten ermöglicht.
Abschließend ist hervorzuheben, dass es den Herausgebern sowie den Verfassern der insgesamt 17 Beiträge mittels der von ihnen gewählten methodischen und perspektivischen Zugänge sehr gut gelingt, die in der Einleitung vorgestellten Fragenkomplexe zum Themenfeld "Außenpolitik" beziehungsweise "Außenbeziehungen" um zahlreiche neue Erkenntnisse zu bereichern und auf diese Weise nicht nur der Ostmitteleuropaforschung, sondern auch der europäischen Mittelalterforschung insgesamt wertvolle Impulse für weiterführende Diskussionen zu geben.
Anmerkung:
[1] Vergleich etwa Dieter Berg: Deutschland und seine Nachbarn 1200-1500, München 1997, 1, oder ders.: Einleitung, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert), hgg. von Dieter Berg/Martin Kintziger [u.a.] Bochum 2002, 11-14.
Eric Böhme