Christian D. Liddy: Contesting the City. The Politics of Citizenship in English Towns, 1250-1530 (= Oxford Studies in Medieval European History), Oxford: Oxford University Press 2017, XXI + 254 S., 5 Kt., ISBN 978-0-19-870520-8, GBP 75,00
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Ausgehend von fünf Fallbeispielen handelt dieses Buch über die Art und Weise, wie die Politik in englischen Städten von der Mitte des 13. bis zum zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts gestaltet wurde. Die Vorbilder sind nicht unbedeutende kleine, sondern fünf größere, ja sogar sehr große Städte: Bristol, Coventry, Norwich, York und London.
In einem einleitenden Kapitel wird verdeutlicht, was unter "Bürgerschaft" zu verstehen ist. Anders als in der gängigen Literatur wird von einem kollektiven Bewusstsein darüber ausgegangen, welche Rechte mit dem Begriff Bürgerschaft verknüpft waren. Kulturelle Kategorien wie "Raum", "Zeit" und "Kommunikation" werden für die Analyse verwendet.
Es wird komparativ vorgegangen: miteinbezogen werden die Forschungsergebnisse der Städteforschung auf dem Kontinent. Der Autor hat viele der von der deutschen, niederländischen, belgischen, französischen und italienischen Forschung gewonnenen Erkenntnisse genutzt und kommt zu dem Ergebnis, dass es letztendlich nicht derart große Unterschiede zwischen der englischen und kontinentalen städtischen Politik gab, wie es jüngst in England noch vertreten wurde. Die Lektüre des Bandes verdeutlicht, dass es (wie auch kaum anders zu erwarten) tatsächlich viele Übereinstimmungen gab. Diese Erkenntnis konnte in dieser Deutlichkeit jedoch erst nach der Lektüre des vorliegenden Bandes formuliert werden, und dafür sei dem Autor gedankt.
Die hier erzählte Geschichte beginnt erst im 13. Jahrhundert und erfordert deshalb ein wenig Kenntnis der frühen Geschichte des englischen Städtewesens. Auf einigen wenigen, ausgesprochen luziden Seiten des vierten Kapitels, das übrigens über die Wahl der städtischen Behörden handelt, wird auf die Formen der "Bewegung der Kommunen" des 12. Jahrhunderts in England eingegangen (88-91).
Liddy eröffnet seine Überlegungen nicht mit Stadtrechten oder Stadtsiegeln, sondern mit dem Eid, den jeder Bürger zu leisten hatte, um in die Gemeinde aufgenommen zu werden und von gewissen Stadtfreiheiten profitieren zu können. Der Eid brachte das Bürgerrecht mit sich und verwandelte den, der ihn leistete, im selben Augenblick zu einem Stadtbürger und Untertanen des Stadtherrn (in England: der König). Alle Bürger waren in dem Sinne gleich, dass sie alle dieselben Rechte und Pflichten gegenüber der Stadt und dem Stadtherrn hatten. Der Bürgermeister und andere städtische Beamte erhielten ihre Verfügungsautorität aufgrund ihrer Amtseide. Diese waren gewissermaßen sekundär, da nur derjenige, der zuvor einen Bürgereid geleistet hatte, einen auf einem Wahlergebnis basierenden Amtseid leisten konnte.
Das städtische Jahr fing mit der jährlichen Wahl und dem darauffolgenden Amtseid des Bürgermeisters an. Diese Periode des Übergangs ermöglichte eine Beteiligung der Bürger an der Politik. Um die Autorität des neu Erwählten zu steigern, wurden mit der Zeit zusätzliche Rituale an diesen Behördenwechsel angelagert. Da es aufgrund der schlichten numerischen Größe der zu beteiligenden Bürger aus praktischen Gründen nicht immer gelingen konnte, alle tatsächlich zu Wort kommen zu lassen, versuchte der Rat die Zahl der an der Wahl beteiligten Bürger zu verringern. Ein Unterschied wurde gemacht zwischen den probi homines, den "würdigen Männern", und den einfachen Bürgern. Das konnte leicht zu Streit führen.
In einem eindrucksvollen Kapitel zum Thema "Raum" wird verdeutlicht, wie die Stadtgemeinde auf Verstöße gegen die Grenzen des Gemeinderaumes reagierte. Erweiterungen von Bürgerhäusern zum Schaden öffentlicher Straßen wurden nicht geduldet, sondern abgerissen. Ebenso wurde der städtische Grund, der von Privatpersonen oder kirchlichen Institutionen zum eigenen Nutzen umgewidmet wurde, von den sich zuständig und im Recht fühlenden Bürgern seiner Umfassungsmauern beraubt. Dies geschah auch dann, wenn die Stadtbehörde die Rechte zugunsten der Gemeinde verkaufen wollte. Die räumliche Verfasstheit der Stadt wurde auch dann sichtbar, wenn ein neu gewählter Bürgermeister unter Begleitung der Bürger die Stadtgrenzen umritt. Und diese Grenze war auch hörbar. Davon legt die Stadtglocke ein beredtes Zeugnis ab.
Im Kapitel über "Kommunikation" geht es zunächst um die öffentliche Meinung und darum, wie man sie für die Ausübung von Macht verwenden konnte. Das Interesse der Behörden an den innerhalb der Zünfte zirkulierenden Gerüchten war Teil eines allgemeinen Interesses an der öffentlichen Meinung. Behandelt wird einerseits das Stillschweigen darüber, was im Rat verhandelt wurde, andererseits aber auch das öffentliche Verkünden der Ratsentscheidungen, um die Stadtgemeinde zu informieren. Die Adressaten waren dabei nicht nur unter den Bürgern zu suchen, denn sie bildeten ja nur eine Minderheit der Einwohner der Stadt. Angesprochen waren alle, alle, die dem Rat gehorchen sollten. Auch der Inhalt der Archive sollte geheim bleiben. Einfache Bürger und andere Stadtbewohner konnten ihrerseits die öffentliche Meinung durch das Anschlagen von anonymen Texten (oft in Reimform) beeinflussen.
Auffällig ist, dass über die Schriftkenntnisse der Autoren solcher Texte nichts gesagt wird. Es wird davon ausgegangen, dass, obwohl auf Formen von Oralität als für die Mehrheit der Bevölkerung omnipräsente Kommunikationsform gelegentlich hingewiesen wird, Fragen des Schrifterwerbs keine Rolle spielen. Lesefähigkeit, und wenn es auch nur um die Verlesung von Eiden ging, wird vorausgesetzt. Man hätte mehr darüber erfahren wollen, gerade auch deshalb, weil im folgenden Kapitel das Aufkommen von geschriebenen Verfassungen behandelt wird, die vom 14. Jahrhundert an immer stärker als Zusatz zum Bürgereid selbst fungierten. Diese Inhalte mussten lesend oder zuhörend verstanden werden. Aber zugegeben: der Band handelt nicht vornehmlich von städtischer Schriftlichkeit.
Was aber wird untersucht? Zentrales Thema ist die städtische Politik und der Versuch der probi homines und gemeinen Bürger ihre unterschiedlichen Machtansprüche zu legitimieren und zu verteidigen. Das bedeutet eine beträchtliche Ausweitung des thematischen Dauerbrenners "Politik in der Stadt", der in England zumeist auf die Oligarchien beschränkt ist. Dennoch mutet es eigenartig an, dass, da die Bürger ja eine Minderheit in den Städten bilden, nicht mehr über die anderen Stadtbewohner verlautet. Über Unterschichten oder Randgruppen erfahren wir fast nichts. Die städtische Verfassung wird vom Standpunktpunkt der Bürger und ihrer Sorgen um die Durchsetzung politischer Ideen aus betrachtet.
Vielleicht hat dieser oder jener Leser bereits bemerkt, dass vieles, was hier hervorgehoben wurde, sich auch in Studien über Städte auf dem europäischen Festland finden lässt. Das ist richtig. Der vorliegende Band von Christian Liddy ist jedoch nicht nur deshalb wichtig, weil er eine profunde Auseinandersetzung mit der einschlägigen älteren und neueren Forschungsliteratur bietet, sondern vor allem die kontinentale Stadtforschung um nahezu unbekannte Beispiele englischer Provenienz bereichert.
Marco Mostert