Eline van Onacker: Village Elites and Social Structures in the Late Medieval Campine Region (= The Medieval Countryside; Vol. 17), Turnhout: Brepols 2017, XLII + 318 S., 4 Kt., 64 s/w-Abb., 68 Tbl., ISBN 978-2-503-55459-4, EUR 100,00
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Die Gegend um Kempen gehört heute vorwiegend zur belgischen Provinz Antwerpen. Obwohl die Lage in der Nähe der Metropole Antwerpen es wahrscheinlich gemacht hätte, dass diese von Landwirtschaft geprägte Region im 15. und 16. Jahrhundert eine Rolle bei der Entwicklung des Kapitalismus spielte, geschah dies nicht. Auf Grund der sandigen Böden der Region waren ihre Dörfer weniger produktiv als das benachbarte Flandern oder einige der anderen großen Regionen in den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Niederlanden, z. B. in Holland. Warum ist Eline van Onackers gut geschriebenes Buch dennoch auch für diejenigen interessant, die nicht hauptsächlich an dieser Region im Herzogtum Brabant interessiert sind?
Van Onacker hat eine Fallstudie zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte verfasst, in der sie eine Reihe von Fragen bezüglich der Dorfeliten und sozialen Strukturen in der spätmittelalterlichen Campine überzeugend beantwortet. Sie lässt sich von jenen Quellen leiten, die einer statistischen Behandlung zugänglich sind, ergänzt um die Gemeindeverordnungen, die das Leben in den einzelnen Dörfern regelten.
Nach einer methodologischen Einführung orientiert sich ihr Umgang mit den Quellen an wirtschaftsgeschichtlichen Generaldebatten über die Fragen, mit denen sie sich in ihren sieben Kapiteln beschäftigt. Sie bespricht einen Großteil der Literatur zu diesen Fragen und vergleicht die darin verwendeten Definitionen, die sie in manchen Fällen als miteinander unvereinbar bezeichnet. In jedem Kapitel nutzt sie Vergleiche zwischen der Campine und anderen Regionen der spätmittelalterlichen Niederlande, auf die sich die wirtschaftsgeschichtliche Forschung vornehmlich konzentriert hat. Die Ergebnisse dieser reichen Ernte von Erkenntnissen auf Makroebene werden dann als Rahmen für die Untersuchung der Kempener Dörfer auf der Mesoebene verwendet. Zusätzlich achtet sie angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Dörfern auch auf die Mikroebene. Auf diese Weise kann das Buch auch als Einführung in allgemeine Debatten über das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Land verwendet werden. Die Beobachtungen zu den Niederlanden basieren auf umfassender Kenntnis der jüngeren (und älteren) Forschung und können als Orientierungshilfe für vergleichende Forschungen in anderen (nordwesteuropäischen) Regionen dienen. Die Studie von Van Onacker ist daher auf mehreren Ebenen von Nutzen.
Die Kempener Dörfer wurden von gemischter Landwirtschaft charakterisiert. Ackerland und Wiesen wurden um große Allmenden ergänzt. Die Betriebe einzelner Bauern (peasants) waren viel kleiner als die seltenen Pächterhöfe (z. B. der Abtei Tongerlo). Unabhängige Bauern (vergleichbar mit Peter Blickles "gemeinen Männern" [1]), die etwa 25% der Bauern ausmachten, hatten einen Betrieb von mindestens drei Hektar zu bewirtschaften, aber wenige hatten mehr als fünf Hektar. Dies bedeutete jedoch, dass unabhängige Bauern im Unterschied zu Bauern (cottagers, Bauern mit einem bis drei Hektar) und Kleinbauern (mit weniger als einem Hektar) normalerweise vor existenziellen Sorgen geschützt waren.
Alle Bauern hatten ihr Land und, was sehr wichtig war, hatten Teil an der Allmende (commons). Die unabhängigen Bauern sind als dörfliche Elite zu sehen: sie stellten die Schöffen für die Verwaltung des Dorfes und besetzten auch die meisten anderen Ämter. Da es keine Regeln für die Anzahl der Schafe gab, durften alle Bauern auf der Allmende weiden, aber die unabhängigen Bauern, die mehr Schafe als ihre Nachbarn hatten, profitierten stärker von der Allmende als andere, denen es weniger gut ging. Doch die Unterschiede zwischen der dörflichen Elite und den anderen Bauern waren weit weniger ausgeprägt als die sonst in den südlichen Niederlanden zwischen den coqs de village aus den Reihen der großen Pächter und den kleineren Bauern üblichen. Selbst dort, wo es Pächter gab, waren die Unterschiede zwischen ihnen und den unabhängigen Bauern weitaus geringer als anderswo.
"Bauern waren die ultimativen Antispezialisten" (141), waren sie doch auch auf den vormodernen Rohstoff- und Faktormärkten aktiv. Sie handelten mit Tieren (hauptsächlich Schafen) und Tierprodukten (Wolle, Butter), wenn auch nicht in großem Umfang. Sie konnten ihre Höfe gelegentlich zur Altersvorsorge oder für andere Formen der Versicherung einsetzen. Und einige haben möglicherweise als Saisonarbeiter in Antwerpen gearbeitet. Kurz gesagt, Bauern nutzten Marktaktivitäten, sowohl die unabhängigen Bauern als auch diejenigen, die von ihren Kleinbetrieben abhängig waren. Man kann jedoch bezweifeln, ob ihre Marktaktivitäten wesentlich zum Aufstieg des Kapitalismus beigetragen haben.
Die Autorin ist in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu Hause. Dies zeigt sich nicht nur an den Kapiteln, die sich mit Ungleichheit, sozialer Schichtung, der Allmende und den Märkten sowie den Beziehungen zwischen Pächtern und der Dorfgemeinschaft befassen (1-5), sondern auch bei denjenigen, die die Verwaltung und den sozialen Zusammenhalt behandeln (6-7). In diesen letzten Kapiteln scheint der Versuch, das Leben der Dorfbewohner auf Statistiken zu reduzieren, jedoch weniger erfolgreich.
Die Ähnlichkeiten zwischen der Idee des Dorfes als Gemeinde und der Art und Weise, wie sich Städte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit als Gemeinschaften verstanden haben (225), erfordert weitere Untersuchungen. Das Ritual der jährlichen Grenzbesichtigung, das mit der Dorfprozession zusammenfiel (224, 254), verdient ebenfalls weitere wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Bei der Untersuchung des sozialen Zusammenhalts der Dörfer wird die Fürsorge für die Armen herausgestellt. Die Unterscheidung zwischen den "verdienenden" und den "unwürdigen" Armen (den Armen aus der eigenen Gemeinschaft wurde geholfen, Landstreichern und Vagabunden nicht), könnte zur Selbstdefinition der Gemeinschaft beitragen (242). Unter den Gründen für Armenhilfe erwartet man vergeblich die Erwähnung auch religiöser Motive (252). Allgemein wird Religion nur nebenbei erwähnt (z. B. 249). Arbeiten zur Verschönerung der Dorfkirche sind nur interessant, wenn sie etwas über örtliche Rivalitäten aussagen.
Auffallend ist, dass auch Alphabetisierung nur am Rande erwähnt wird. Die Verordnungen sollten von den Schöffen und Gerichtsdienern (110) verfasst und während der jährlichen Dorfversammlungen veröffentlicht werden (105). Die Dörfer verfügten über einen oder mehrere (gebildete) Angestellte und Steuereintreiber (207, 209, 211-2, 218), und anlässlich der Grenzbesichtigung wurde auf Karten zurückgegriffen, deren Verfasser von der Autorin leider nicht identifiziert werden (224). Die Dörfer scheinen in der pragmatischen Schriftlichkeit zu Hause. Im Jahr 1462 konnte Herzog Philip der Gute von den Bauern verlangen, dass sie Urkunden über ihre Nutzungsrechte in der Allmende überarbeiteten (211, aber nur auf Seite 225 wird ein Lehrer erwähnt. Auf Seite 263 erfahren wir dagegen sogar, dass das Dorf Brecht ein Zentrum des Humanismus war, in dem sich eine Rhetorikkammer befand. Ab 1515 eröffnete dort selbst eine Lateinschule!).
Informationen zu Religion und Alphabetisierung, wenn sie vorhanden sind, sind schwer aufzufinden, da dem Buch leider ein Index fehlt. Dies ist umso frustrierender angesichts der Informationen über die Schriftlichkeit der Bauern, da diese ein wesentlich neues Licht auf das Dorfleben in der Campine wirft. Das Fehlen eines Index ist jedoch der einzige schwerwiegende Makel dieses Buches.
Anmerkung:
[1] Peter Blickle: Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform, München 2000.
Marco Mostert