Ulrich Nagel: Zwischen Dynastie und Staatsräson. Die habsburgischen Botschafter in Wien und Madrid am Beginn des Dreißigjährigen Krieges (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Bd. 247), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 464 S., ISBN 978-3-525-31057-1, EUR 80,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Jörg Rogge / Markus Meumann (Hgg.): Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006
Herfried Münkler: Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist: Velbrück 2006
Renger de Bruin / Cornelis van der Haven / Lotte Jensen et al. (eds.): Performances of Peace. Utrecht 1713, Leiden / Boston: Brill 2015
Internationale Beziehungen fanden im 17. Jahrhundert zwischen Dynastien statt. Im Fall jener zwischen Wien und Madrid war es nur eine Dynastie, deren unterschiedliche Mitglieder interagierten. Die internationale Struktur des Hauses Habsburg war ein wichtiger Grund dafür, dass der Dreißigjährige Krieg von Anfang an ein europäischer war. Ulrich Nagel hat in seiner Bonner Dissertation, deren überarbeitete Version hier vorliegt, die Beziehungen in dieser entscheidenden Phase untersucht: Wie gestalteten sie sich, wenn sich die Mitglieder zwar als eine Dynastie verstanden, aber unterschiedliche Herrschaftsgebiete mit verschiedenen Interessen repräsentierten? Wie stark machte sich in der Praxis die "Staatsräson" bemerkbar, die in der politischen Theorie zunehmend an Bedeutung gewann?
Nagel untersucht die Beziehungen der Jahre 1617 bis 1620, indem er die "Mikroebene" der Botschafter und die "dynastische Makropolitik", die sie gestalteten, analysiert. Die beiden im Zentrum stehenden Akteure sind der für sein Geschichtswerk Annales Ferdinandei bekannte gebürtige Kärntner Franz Christoph von Khevenhüller, der mit zehnjährigem Abstand seinem Onkel Hans von Khevenhüller als kaiserlicher Repräsentant in Madrid folgte, sowie der aus dem Baskenland stammende spanische Botschafter in Wien Iñigo Veléz de Guevara y Tassis, Conde de Oñate, der u.a. den nach ihm benannten Oñate-Vertrag für die innerhabsburgische Erbfolge aushandelte. Einer breiten Quellenbasis zu Khevenhüller steht eine weniger günstige Situation zu Oñate gegenüber, nicht zuletzt weil sein Nachlass sich in einem der Forschung nicht allgemein zugänglichen Adelsarchiv befindet. Dennoch basiert die Studie auf einer soliden Grundlage von Quellen aus 16 Archiven und Handschriftenbibliotheken in Großbritannien, Österreich, Spanien und der Tschechischen Republik.
Angesichts der höfischen Struktur frühneuzeitlicher Herrschaft waren Botschafter jenseits ihrer Funktion zunächst einmal Teil des Hofes, an dem sie lebten. Für die Habsburger bildeten sich nach der Trennung der Linien und der personellen Entflechtung der Beziehungen unterschiedliche Modelle heraus, die angesichts der - auch kulturellen - spanischen Dominanz konsequent waren: Während sich die kaiserlichen Botschafter in Spanien kulturell und sprachlich gut integrierten und damit das Ideal der dynastischen Einheit mit Leben erfüllten, blieben die spanischen Botschafter in Wien weitgehend fremd und darauf bedacht, "spanische Ordnungsmodelle" (59) durchzusetzen. Khevenhüller, der als Konvertit zugleich den spanischen Katholizismus positiv adaptierte, und Oñate sind dafür beispielhaft.
Nagels Studie gliedert sich in drei Teile: Im ersten Teil analysiert er die "Figur des frühneuzeitlichen Diplomaten" in Theorie und Praxis und überprüft die allgemeinen Parameter für Khevenhüller und Oñate. In beiden Fällen war der diplomatische Posten Teil einer höfisch-administrativ ausgelegten Karriere, die allerdings von zahlreichen anderen Faktoren als dem Erfolg oder Misserfolg der jeweiligen diplomatischen Mission mitbestimmt wurde. Während die Karriere des zunächst von Melchior Khlesl geförderten Khevenhüller stagnierte und er sich finanziell immer weiter verschlechterte, war die Zeit in Wien für Oñate, der das Instrumentarium frühneuzeitlicher Herrschaft kannte und nutzte, ohne sich mit seinem Einsatzort zu identifizieren, ein weiterer Schritt innerhalb eines politischen Aufstiegs.
Der zweite Teil bietet unter dem Titel "Strukturen und Ausprägungen frühneuzeitlicher Diplomatentätigkeit" Einblicke in den diplomatischen Alltag. Thematisiert werden unter anderem der Aufbau und das Personal der Botschaft, sprachliche Aspekte sowohl im Hinblick auf die verwendeten Sprachen als auch auf die diplomatische Rhetorik, Netzwerke, Finanzen, Wahrnehmungsfragen, Zeremoniell und andere Formen der symbolischen Repräsentation sowie das ganze Spektrum unterschiedlicher Aufgaben. Es wird eindrucksvoll deutlich, dass beide Botschafter nicht bloß in einer historisch sensiblen Phase politische Verhandlungen führten: Sie mussten zum einen in einer fremden Umgebung einen Alltag organisieren, in dem von der Lebensmittelversorgung bis hin zur Postverbindung nicht immer alles reibungslos lief, zum anderen waren sie Adressaten für die Interessen nicht nur ihrer Fürsten, sondern zahlreicher Personen, namentlich denen ihrer Landsleute. Die "sich im 17. Jahrhundert allmählich durchsetzende Transformierung des Botschafters vom Fürsten- zum Staatsdiener" (274) deutete sich an.
Im dritten Teil steht der "Botschafter als Protagonist dynastischer Makropolitik" im Fokus. Nagel untersucht die Diplomatie in den zentralen Konfliktfällen des Untersuchungszeitraums: im sogenannten Friaulischen Krieg zwischen Erzherzog Ferdinand und Venedig, in den Wahlen desselben zum böhmischen, ungarischen und römischen König bzw. Kaiser, in dynastischen Auseinandersetzungen u.a. um die Entmachtung Khlesls, in der Regelung der Erbfolge, die eben in den Oñate-Vertrag mündete, und schließlich beim Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Die Fallbeispiele machen deutlich, dass hinter dem Selbst- und Fremdbild vom einen Haus Österreich zahlreiche Differenzen verborgen waren. Oñate nahm dabei eine aktive Rolle ein und gestaltete die kaiserliche Politik mit. Khevenhüller blieb dagegen blass und geriet sogar bei der Repräsentation der österreichischen Linie bzw. des Kaisers in die Defensive. Inwieweit diese Unterschiede strukturell bedingt waren oder ob individuelle Faktoren wie die Nähe Khevenhüllers zu dem gestürzten Khlesl ausschlaggebend waren, bleibt allerdings offen. Es bestätigt sich das bereits in der zeitgenössischen Propaganda kolportierte Bild von der dominanten spanischen Rolle innerhalb der habsburgischen Dynastie. Nagel macht zugleich deutlich, dass Oñate als der Typus eines konfrontativen Vertreters Spaniens zu jener Politik der Verflechtung mit internationalen Konflikten und der Verschuldung beitrug, die den spanischen Niedergang förderte.
Nagel ist eine sehr solide, quellengesättigte Studie gelungen, welche die Funktionsweise von Diplomatie in verschiedener Hinsicht um zahlreiche wertvolle Einblicke erweitert, auch wenn methodisch Wünsche offen bleiben: So sind die theoretischen Reflexionen auf den Untersuchungsgegenstand, namentlich auf die Phänomene Diplomatie, Diplomaten, Dynastie und Staatsräson, eher eklektisch als systematisch. Strukturelle Aspekte der Herrschaftsgebiete wie z.B. die Bedeutung der Verbindungslinien der sogenannten Spanischen Straße, welche die Inhalte der Diplomatie determinierten, bleiben ausgeblendet. In der Darstellung selbst wäre eine noch stärkere Fokussierung wünschenswert gewesen: Die gelegentlichen zeitlichen Sprünge über den eigentlichen Untersuchungsgegenstand hinaus sind interessant, aber im Hinblick auf die Argumentation nicht immer zielführend. Sprachlich ist die Arbeit erfreulich sauber, wenn auch terminologisch mitunter ungelenk. Davon abgesehen handelt es sich jedoch um eine dicht an den Quellen entlang geschriebene Studie, die für zahlreiche Fragestellungen - die Praxis, Institutionalisierung und Professionalisierung frühneuzeitlicher Diplomatie, den Staatsbildungsprozess, die innerhabsburgischen Beziehungen oder die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges - wichtige neue Ergebnisse liefert.
Anuschka Tischer