Rezension über:

Tristan Sharp (ed.): From Learning to Love: Schools, Law, and Pastoral Care in the Middle Ages. Essays in Honour of Joseph W. Goering (= Papers in Mediaeval Studies; 29), Toronto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies 2017, XLVIII + 789 S., 13 Farbabb., ISBN 978-0-88844-829-3, USD 110,00
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Rezension von:
Kerstin Hitzbleck
Ahrensburg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin Hitzbleck: Rezension von: Tristan Sharp (ed.): From Learning to Love: Schools, Law, and Pastoral Care in the Middle Ages. Essays in Honour of Joseph W. Goering, Toronto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 4 [15.04.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/04/30988.html


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Tristan Sharp (ed.): From Learning to Love: Schools, Law, and Pastoral Care in the Middle Ages

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Eine gewichtige Publikation. 1486 Gramm, 5 Editoren, 37 Beiträger, 21 Seiten Einleitung, 734 Seiten Beiträge, 13 farbige Abbildungen, 27 Seiten Verzeichnis der Namen, Orte und der mittelalterlichen Quellen. Und ein John-Deere-Trecker (xxxix).

Diese Kompilation zu Ehren von Joseph W. Goering ist in wirklich jeder Hinsicht außergewöhnlich. Nicht nur hat das thematisch breite Œuvre Goerings zur mittelalterlichen Universitäts-, Rechts- und Liturgiegeschichte die einschlägige Forschung immer wieder befruchten können, dazu hat der akademische Lehrer auch eine international wie in der Weite ihrer wissenschaftlichen Interessen umfangreiche Schülerschaft herangezogen, welche ihrem magister (203) auf den Weg durch die oft stiefmütterlich behandelten Themen der mittelalterlichen Geschichte auf der Schwelle zwischen Theologie, Recht und Geschichte gefolgt sind. Entsprechend ist es den Herausgebern nicht hoch genug anzurechnen, dass sie sich in der Einleitung nicht auf die Aufzählung der einzelnen, inhaltlich weitgestreuten Beiträge beschränkt haben, sondern stattdessen Gemeinsamkeiten und Synergien über die drei thematischen Abschnitte hinweg aufzeigen und so das Buch in seiner Vielfältigkeit erschließen. Die Einleitung sei damit jedem Leser empfohlen. Die Beiträge sind, den Interessen des Geehrten folgend, unter die Rubriken "Masters, Schools and Learning" (3-290), "Pastors, Judges and Administrators" (293-529) und "Liturgy, Piety and Exempla" (533-734) subsummiert und überzeugen durchweg mit hohem wissenschaftlichem Niveau, hervorragendem Lektorat und leserfreundlich ins Englische übersetzten Zitaten, welche sich in den meisten Fällen aber im Apparat auch im lateinischen Original finden.

Der erste Teil widmet sich den Bildungskontexten wie der genuin theologischen Arbeit vor allem der hochmittelalterlichen Gelehrten im weitesten Sinne, wobei die Untersuchungen über die nichtakademischen Lehr- und Lernkontexte deutlich werden lassen, dass hochrangige Theologie eben nicht nur an den Universitäten geübt, sondern auch in Klöstern betrieben und in Predigten an die Laien vermittelt wurde. Besonders hervorzuheben ist der Aufsatz von Lindsay Bryan, welche die stark von der Lebenspraxis beeinflussten Überlegungen des Petrus Cantor zur unbedingt zu vermeidenden Sünde des scandalum im Konflikt mit dem grundsätzlich höheren Gut der Wahrheit als grundlegend für die weitere Auseinandersetzung mit diesem Problem im Mittelalter herausstellen kann. Weiterführend für Fragen der mittelalterlichen Begrifflichkeit ist der Aufsatz von Marian Michèle Mulchahey, die sich mit der Bedeutung der Bezeichnung magister im Dominikanerorden auseinandersetzt, der in diesem Kontext keineswegs ein rein akademischer Titel gewesen ist, sondern erzieherische Aufgaben als Mentor für den Ordensnachwuchs in den Mittelpunkt stellte. Blake Beattie zeigt in der kontextualisierenden Einleitung zu seiner Edition einer Predigt des Kardinals Imbert du Puy aus dem Jahr 1333, dass dieser doctor utriusque iuris die Quellen für seinen Auftritt vor dem Papst fast vollständig aus dem Decretum Gratiani gewinnen konnte und unterstreicht damit die Bedeutung dieser grundlegenden juristischen Kompilation über die Sphäre des kanonischen Rechts hinaus. Nicht weniger als faszinierend ist der Beitrag von Kimberly A. Rivers, die sich mit den elaborierten Techniken des Memorierens des umfangreichen kanonistischen Quellenkorpus im 15. Jahrhundert auseinandersetzt und damit einem unzweifelhaft grundlegenden, doch meist wenig beachteten Aspekt mittelalterlichen Lernens ein Forum gibt.

Der zweite Teil des Buches, den Pfarrern und Richtern gewidmet, bietet eine Fülle interessanten Materials zu den unterschiedlichsten auch lebenspraktischen Aspekten mittelalterlicher Seelsorge und Rechtspraxis. Die Aufsätze von Winston Black über die facies mundi des Wilhelm von Auvergne sowie Philip Slavin über die Allegorie und Realität ländlichen Lebens in volkssprachigen Predigten des Mittelalters bieten einen farbigen Einblick in die Glaubenspraxis der mittelalterlichen Bevölkerung abseits der Städte und Höfe. Charles Donahue, Jr. widmet seine Ausführungen den recht plastisch überlieferten Verleumdungsklagen, die im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts am bischöflichen Gericht in Ely verhandelt worden sind, wobei er die Zielsetzung dieser tatsächlich nur selten bis zur Verkündung eines Urteils geführten Prozesse vor allem in der Sicherung und Wiederherstellung des sozialen Friedens sieht. Siegfried Wenzel zeigt die enge Verwobenheit von Recht, Theologie und Glaubenspraxis, wenn er anhand von zwei Predigthandbüchern des 13. und 14. Jahrhunderts die zeitgenössische Gerichtsordnung für das Jüngste Gericht erschließt. Mark F. Johnson stellt aus seiner Arbeit an einer Edition der recht häufig überlieferten Summa de Penitentia des Dominikaners Paulus Hungarus Überlegungen zu Autorschaft und der ratio scribendi vor, die er anhand persönlicher Formulierungen in einer direkten Lehrsituation in Bologna verortet, von wo das kleine Werk wegen seiner Prägnanz zusammen mit den Vertretern des Ordens seinen Weg in die christliche Welt nahm.

Der dritte Teil, Liturgie, Frömmigkeit und exempla gewidmet, bietet ein Florilegium an Beiträgen zur Glaubenspraxis der Zeit, wobei der Aufsatz von Stephan Dusil und Katherine Hill sicherlich den ungewöhnlichsten und interdisziplinärsten Ansatz des ganzen Bandes vertritt: Die Autoren haben sich den Neumen gewidmet, die sich in drei der vier Manuskripte des Decretum Burchards von Worms finden, welche zu Lebzeiten und wahrscheinlich unter dessen Aufsicht in Worms hergestellt worden sind. Die Neumen, welche sich im Abschnitt De visitatione infirmorum, also den ordo der Krankensalbung betreffend, finden, werden im Aufsatz in Notenschrift wiedergegeben und weisen deutlich auf den Sitz im Leben des Burchardschen Werkes hin, das wohl ursprünglich als vade-mecum (552) für Priester beim Krankenbesuch gedacht war, bevor es seinen wirkmächtigeren Rezeptionsweg als kanonistische Sammlung einschlug. Pamela Drost Beattie gibt anhand des Romans "Evast und Blaquerna" des Raymundus Lullus einen einzigartigen Einblick in die Buß- und Beichtunterweisung von Laien abseits von Kanzlei und Altar. Sean Otto wendet sich schließlich der Beicht- und Bußlehre John Wyclifs zu, der sich in seinen Ausführungen zu Maria Magdalena sowohl in der Predigt wie in seinem Traktat De blasphemia nachdrücklich gegen die von Innocenz III. eingeführte jährliche Beichtpflicht positioniert. Aus der Tatsache, dass die Bibel nichts über eine Beichte der prototypischen Sünderin vor einem Priester weiß, schließt der radikale Reformer, dass für eine Vergebung der Sünden das Beichtgespräch und die Absolution durch den Priester nicht notwendig, der Sünder in der Bewältigung seiner Schuld auf sein Gewissen zurückgeworfen ist.

Das Sammelwerk präsentiert sich damit nicht nur als so sympathische wie von Anerkennung des verehrten Lehrers geprägte Festschrift, sondern gewinnt durch die Vielzahl der behandelten Themen geradezu den Charakter eines Handbuchs zu Fragen der Beicht- und Bußpraxis und den Anwendungskontexten des Kirchenrechts in der Welt des Hoch- und Spätmittelalters. In diesem Sinne ist dem Buch eine breite Leserschaft zu wünschen, die sich von dem farbigen Panoptikum zu weiteren Forschungen animieren lassen möge.

Es bleibt: der Trecker. Der auf die Priester des Mittelalters zurückverweist, die ihre Predigten mit Bildern aus dem unmittelbaren Lebenskontext ihrer Schäfchen anreicherten, die göttliche Dreifaltigkeit mit der Dreifelderwirtschaft zu erklären wussten, vom Pflug sprachen, der im steinigen Boden des spirituellen Lebens richtig gesetzt werden will - und auf den Geehrten, dem die genannte Maschine laut den Herausgebern nicht bloß schweres landwirtschaftliches Nutzgerät, sondern im weiteren Sinne ebenfalls Buch, Bild und Spiegel sein kann. Womit sich über alle Zeiten und Lebenskontexte hinweg der Kreis von den Lehrern des Hochmittelalters zu dem Lehrer von heute schließt.

Kerstin Hitzbleck