Francisco J. Hernández / Rocío Sánchez Ameijeiras / Emma Falque (eds.): Medieval Studies. In honour of Peter Linehan (= Millennio Medievale; 115), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2018, X + 931 S., zahlr. Tbl., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-88-8450-858-4, EUR 130,00
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Die umfangreiche Festschrift bietet 28 Beiträge zu unterschiedlichen Feldern, Zeiten und Regionen der iberischen Geschichte des Mittelalters. Eine gemeinsame Klammer bildet die quellenkritische Befassung mit Texten, sei es hinsichtlich der handschriftlichen Überlieferung, sei es in (hier erstmals gebotener) Edition.
Die Beiträge verteilen sich sprachlich auf das Kastilische (16), Englische (8), Französische (3) und Portugiesische (1). Es gibt mehr Beiträge von Portugiesen und über Portugal, die jedoch ins Englische übersetzt worden sind. In diesem Zusammenhang bekommt eine von Paul Freedman gemachte Feststellung eine ironische Würze: Er konstatiert, dass bei der Betrachtung der katalanischen Geschichte die Frage der Sprache von entscheidender Bedeutung sei (781). Einige Aufsätze behandeln diesen Teil der Iberischen Halbinsel, jedoch ist keiner auf Katalanisch verfasst.
Da der abgesteckte chronologische und thematische Rahmen enorm groß ist, werden hier nicht alle Aspekte besonders hervorgehoben und nicht alle Aufsätze erwähnt. Abweichend von der Ordnung im Sammelband wird hier versuchsweise eine Ordnung nach Themengebieten eingeführt. Einige weitere übergreifende Aspekte werden gegen Ende dieser Rezension hervorgehoben.
Die iberische Kirchengeschichte ist eines der bevorzugten Themen Linehans und wird hier mehrfach zum Gegenstand der Betrachtungen; aus diesem Bereich seien einige Aufsätze herausgegriffen. Patrick Henriet (Les ajouts clunisiens, 3-20) führt eine Kontroverse weiter, in die er schon länger verwickelt ist. Gegenstand dieser Kontroverse ist v.a. die Datierung einer Handschrift aus dem Besitz der Königin Sancha von Kastilien († 1067). Dabei werden paläografische und liturgiegeschichtliche Argumente angeführt, um zu zeigen, dass der Einfluss von Cluny bereits zur Zeit Ferdinands (1037-1065) begonnen habe - eine Frage, die die kastilische Geschichtsschreibung im Sinne einer Nationalhistoriografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts umtrieb. Die Abbildungen sind zuweilen ein wenig grob - was dem zur Verfügung stehenden Digitalisat geschuldet ist -, aber schränken keineswegs die Argumentation ein.
Rosa M. Rodríguez Porto (Turpinus domini gratia archiepiscopus, 67-110) greift einige Ergebnisse der jüngeren Forschung zum Codex Calixtinus auf und bietet einen eigenen Erklärungsversuch: Die schwer interpretierbare Handschrift war lange Zeit ein offenes Werk, das je nach aktuellen Rechtfertigungsnotwendigkeiten neue Textbestandteile erhielt - oder deren Entnahme erdulden musste.
Maria João Branco (An Archbishop and His Claims, 111-151) liefert in erster Linie eine Transkription der Stellungnahme des Erzbischofs von Braga Martinho Pires zu den Klagen des Erzbischofs von Compostela, der die Bistümer Lissabon und Evora zu Lasten Bragas unter den Primat von Compostela gestellt sehen wollte. Diese Stellungnahme war nur ein Baustein eines seit Jahrzehnten schwelenden Streites, der trotz eines abschließenden Urteils Innocenz' III. noch längst nicht abgeschlossen sein sollte. Seine Edition leitet Branco mit einer umfangreichen Einführung in die Fährnisse der Auseinandersetzung der beiden Erzbistümer ein, die sich wesentlich in die Expansionsambitionen der jeweiligen Königreiche einfügen.
Miguel Ángel Ladero Quesada (Innovación y tradición en la Breve Forma de Confesar, 660-694) geht in einleitenden Abschnitten der Entwicklung der Laster- und Sündenlehre zu Beginn der patristischen Literatur bis zur Reformationszeit nach, was angesichts des knapp bemessenen Raumes zu einem Namedropping wird. Die neuartige Struktur des Lastertraktats von Hernando de Talavera wird daraufhin mit denjenigen ungefähr gleichzeitig entstandener Traktate verglichen. Eine Übersicht über den Inhalt des Traktates in Form von Rubriken bildet den Abschluss des Beitrags.
Ein weiteres Thema des geehrten Peter Linehan sind die Kontakte des Papsttums zu den iberischen Reichen. Auch diesen Bereich behandeln einige Beiträge: Carlos de Ayala Martínez (De nuevo sobre la documentación de Honorio III y Castilla, 153-167) präsentiert zwei bislang ungedruckt gebliebene Kreuzzugsbriefe Papst Honorius' III. an unterschiedliche Empfänger in Kastilien, aufgefunden im Kapitelarchiv von Toledo. Diese Schreiben werden vorgestellt und kommentiert.
Agostino Paravicini Bagliani (Le pénitencier pontifical Guillaume de Moerbeke, 209-223) liefert in zwei Anhängen zwei bislang unbekannte Dokumente zu Wilhelm von Moerbeke. Neben den neuen Dokumenten erweist sich eine Zusammenstellung der Belege über das Wirken Wilhelms im Zeitraum von 1267 bis zu dem Zeitpunkt, als er zum Erzbischof von Korinth ernannt wurde (9. April 1278), als besonders wertvoll. Das erste Dokument hatte der Jubilar selbst für die Portugalia pontificia regestiert, aber den Pönitentiar Wilhelm nicht identifiziert, das zweite Dokument ist bereits über das Württembergische Urkundenbuch online zugänglich gewesen - ein Publikationsort, der Spezialisten zu Wilhelm von Moerbeke wohl nicht so präsent war.
Die vielleicht wichtigste Monografie des Jubilars befasste sich mit der Historiografie und den Historiografen der Iberischen Halbinsel. Historiografische Texte werden u.a. behandelt von Georges Martin (A vueltas con la fecha y autoría del Carmen Campidoctoris, 21-48), der vor allem mit philologischen, aber auch historischen Argumenten eine neue Datierung, Lokalisierung und Zuschreibung des wichtigen Gedichtes über den Cid bietet.
Emma Falque (Una copia olvidada de la versión castellana del Chronicon Mundi, 169-186) identifiziert eine Handschrift aus Sanlúcar de Barrameda mit einem verloren geglaubten Codex. Inhalt dieser Handschrift ist eine kastilische Übersetzung des Chronicon Mundi des Lucas von Tuy († 1249).
Enrique Jerez (Annales Segovienses, 187-207) hat in zwei gleichzeitigen Handschriften einen bislang unbekannten annalistischen Text gefunden, der im Zusammenhang mit den Annalen von Toledo steht. Nach Ausführungen zur handschriftlichen Überlieferung wird dieser kurze Text ediert und kommentiert.
Auf den ersten Blick verwandt sind Aufsätze, die die 'Langzeitfolgen' der Geschichte des Mittelalters betreffen: Die letzten fünf Aufsätze überschreiten die Grenzen des Mittelalters. Dabei stellt sich ein gewisser Schwerpunkt auf der historiografischen Verarbeitung oder Behandlung des Mittelalters ein. Der 1580 verstorbene Jeronimo Zurita wurde historiografisch durch seine Annalen der Krone Aragons überaus bedeutend. Diesem Werk sind zwei Aufsätze gewidmet, die die Arbeitsweise Zuritas genauer untersuchen.
Francisco Bautista (Historia y filología, 695-723) geht der Verwendung der Chroniken des Pero López de Ayala nach; Alberto Torra Pérez (Los registros de la cancillería aragonesa, 725-750) behandelt Zuritas Verwendung von Archivmaterial aus dem Barceloneser Kronarchiv. Beide Autoren stellen eine recht weitgehende methodische Strenge fest.
Paul Freedman (The Study of the Medieval Past in Eighteenth-Century Catalonia, 779-808) stellt die Institutionen, vor allem aber Personen vor, die sich parallel zum Erwachen der mediävistischen Forschung in Frankreich und Deutschland um die Erforschung der katalanischen Geschichte des Mittelalters verdient gemacht haben. Dabei mag man einer gewissen Melancholie erliegen, wenn man feststellt, wie viele Projekte geplant, teilweise angefangen, aber entweder nie vollendet oder sogar nie publiziert wurden. Besondere Bedeutung kommt hier dem 1791 verstorbenen Prämonstratenser Jaume Caresmar zu, der zahlreiche Dokumente transkribiert, Archive geordnet und Klostergeschichten begonnen hat, wovon jedoch das meiste heute in nur schwer benutzbarer Form überliefert ist.
Rocío Sánchez Ameijeiras (Un asunto con mala pinta, 809-850) greift einen Fall auf, in dem mittelalterliche Besitzstände im 18. Jahrhundert zum juristischen Problem wurden: Der Herzog von Arcos legte beim Hofgericht Beschwerde über Abgaben zugunsten der Jakobs-Kirche in Compostela ein, die sich auf ein Privileg Ramiros I. aus dem 9. Jahrhundert berief. Dieses Privileg war aber im Original nicht aufzufinden - und sollte auch nie aufgefunden werden: Diese Fälschung sollte dann mit weitreichenden, auch architektonischen, Mitteln belegt werden.
Jeder Beitrag wird von Kontaktdaten der Autoren, im Falle iberischer Sprachen einer englischen Übersetzung des Aufsatztitels und einer Kurzzusammenfassung auf Englisch begleitet. Die Beiträge folgen vor allem einer chronologischen Anordnung, sodass 'benachbarte' Aufsätze immer wieder einmal lose ineinander greifen, da sie die gleichen Personen betreffen. Manche Autoren greifen die eigenen Forschungsdiskussionen ganz unmittelbar auf, tragen also nicht ganz voraussetzungslose Texte bei; den beschenkten Peter Linehan wird es nicht stören. Eine vollständige Lektüre dürfte vor allem der geehrte Jubilar vornehmen, für die übrigen Nutzer dürften einzelne Aufsatzgruppen von Interesse sein. Zu bunt ist dieser Strauß, als dass eine Lektüre von Deckel zu Deckel notwendig wäre. Aber auch fallweises Schmökern ist angesichts der Qualität der Beiträge sehr bereichernd.
Andreas Kistner