Johanna Beamish: Im Transit auf dem Ozean. Schiffszeitungen als Dokumente globaler Verbindungen im 19. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Campus 2018, 271 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-593-50949-5, EUR 43,00
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Wie erlebten Passagiere im neunzehnten Jahrhundert die mehrmonatige Schiffspassage zwischen den Britischen Inseln, Australien und Neuseeland? Dieser Frage geht Johanna Beamish in ihrer nun als Buch erschienenen Dissertation anhand von Schiffzeitungen nach, welche die Passagiere selbst während ihrer interkontinentalen Überfahrten verfassten. Damit greift sie globalgeschichtliche Fragestellungen auf und knüpft im engeren Sinne an das wachsende Feld der maritimen Geschichte an. Ziel des Buches ist es, durch die dezidierte Aufarbeitung von Schiffzeitungen ein von Roland Wenzlhuemer formuliertes Forschungsdesiderat der Globalgeschichte zu erfüllen, nämlich die globalen Verbindungen selbst genauer zu untersuchen. Laut Wenzlhuemer, unter dessen Ägide die Arbeit entstanden ist, lässt sich "im Transit der Schiffspassage [...] die Rolle der Verbindungen als Mediatoren besonders deutlich" erkennen. [1] Fraglos repräsentierten Schiffe während des neunzehnten Jahrhunderts nicht nur ganz plastisch die globalen Verbindungen innerhalb eines weltumspannenden Verkehrsnetzes. Vielmehr kreuzten sich an Bord auch die Lebenswege individueller Akteure aus verschiedenen Weltregionen (24).
Beamish grenzt sich von klassischen Ansätzen der maritimen Geschichte ab, die bislang ihren Fokus vor allem auf die Ausgangs- und Endpunkte der Schiffspassagen, Hafenstädte und deren Hinterland gelegt hat. Stattdessen stellt sie den isolierten sozialen Mikrokosmos der Schiffsgemeinschaft, der in der Zeit des Transits entstand und geformt wurde, in den Mittelpunkt, wobei sie in den einzelnen Kapiteln an den Analysegegenstand "heran- beziehungsweise herauszoomen" möchte (32). Zu diesem Zweck wählt Beamish einen sehr langen Untersuchungszeitraum von 1830-1900, der sich grob mit der Hochzeit der Segel- und Dampfschifffahrt während des Viktorianischen Zeitalters überschneidet und den sie mit den technischen Neuerungen wie der Einführung der kabellosen Telegraphie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts enden lässt.
Für die Analyse der Transiterfahrung konzipiert Beamish ihre Arbeit um das Quellenkorpus der Schiffszeitungen herum. Daraus ergibt sich die Struktur der in zehn Kapitel gegliederten Studie: Nach einer ausführlichen Besprechung und kritischen Einordnung der Passagierzeitungen folgen die Kapitel dem Ablauf der Schiffspassage vom Ausgangs- zum Zielhafen. Dementsprechend beginnt Beamish ihre inhaltliche Analyse im dritten Kapitel mit der Abfahrt im Hafen, die ungeachtet unterschiedlicher individueller Reisemotivation für alle Passagiere einen tiefen Einschnitt darstellte. Diese chronologische Anordnung wird lediglich von so genannten "Zwischenbetrachtungen" aufgebrochen, in denen Beamish jeweils das Entstehen der Passagiergemeinschaft (Kapitel 4) sowie deren interne Konflikte (Kapitel 7) genauer untersucht. In der ersten Zwischenbetrachtung diagnostiziert sie eine Korrelation von Schiffszeitungen und den Vergemeinschaftungsprozessen an Bord, bevor sie im fünften Kapitel die Isolations- und Transiterfahrung der Passagiere auf hoher See im Detail untersucht. Die Passagiere replizierten häufig vertraute Alltagspraktiken wie das Herausgeben einer Zeitung, ergänzten diese aber auch mit Ritualen wie der Äquatortaufe oder handelten sie wie im Falle der Kleiderordnung neu aus. Im Anschluss analysiert Beamish die Kontakte zur Außenwelt während des Anlegens in Hafenstädten wie Kapstadt, Port Said oder Colombo und das Zusammentreffen mit anderen Schiffen auf See, durch die der Transit unterbrochen wurde.
Der ersten Zwischenbetrachtung stellt Beamish eine zweite gegenüber, in der sie die Funktion der Schiffszeitungen für die Entstehung und Austragung von Konflikten diskutiert. Das folgende Kapitel beschreibt die Ankunft im Zielhafen, mit der auch ein Analyseschnitt vollzogen wird. Vor dem eigentlichen Fazit rekapituliert ein gesonderter Abschnitt die Unterschiedlichkeit der Transiterfahrungen der einzelnen Akteure, die von Faktoren wie Reiserichtung, Verkehrsmittel (Dampf- oder Segelschiff) etc. abhängig waren. Beamish rechtfertigt die gemeinsame Berücksichtigung solch verschiedenartiger Erfahrungen mit dem nachvollziehbaren Anspruch, ein möglichst umfassendes, allgemeines Bild der Transiterfahrung zeichnen zu wollen (226). Freilich hätte diese grundlegende Betrachtung bereits an früherer Stelle, etwa in der Einleitung, insgesamt zur besseren Orientierung beigetragen.
Beamish versteht ihre Arbeit als Grundlagenforschung und tatsächlich erschließt sie ein bislang vernachlässigtes Quellengenre, das die "leere Zeit" des Transits als wichtigen Aspekt der Globalisierung beleuchtet. Es gelingt ihr zu demonstrieren, wie die Publikation einer Schiffszeitung die Erfahrung der Passagiere beeinflusste und einen Raum schuf, in dem soziale Praktiken an Bord stets neu ausgehandelt wurden. Das Buch trägt damit maßgeblich zur Verbesserung des wissenschaftlichen Verständnisses bei, wie die frühen Globalisierungsprozesse in ihrer räumlichen und zeitlichen Ausdehnung für die zeitgenössischen Akteure konkret erfahrbar wurden.
Eine Untersuchung, die beinahe ausschließlich auf einer einzigen Quellengattung gründet, lässt jedoch zwangsläufig Fragen offen, wie Beamish in ihrem Fazit selbst einräumt (230). So betont sie beispielsweise die Bedeutung von Telegrammen für die Passagiere (153f.), ohne die Untersuchung jedoch in einem nennenswerten Ausmaß mit einer breiteren Quellenbasis zu unterfüttern. Zwar verweist Beamish wiederholt darauf, dass ihr analytischer Fokus ausschließlich auf der gemeinschaftlichen Transiterfahrung in der Isolation liegt. Eine systematischere Einbettung der Analyse in übergeordnete Kontexte wie den britischen Imperialismus, die Viktorianische Gesellschaft oder etwa die Genese des australischen Dominions wäre aber an vielen Stellen für das allgemeine Verständnis durchaus hilfreich gewesen. Stellenweise problematisiert Beamish diese Sachverhalte auch, wenn sie zum Beispiel den britischen Passagieren beim Besuch der Hafenstädte ein zivilisatorisches Überlegenheitsgefühl attestiert. Die Hafenstädte definiert sie dabei als Kontaktzonen, ohne dieses Konzept jedoch eingehender zu erläutern (150). Verkäufer, Geldwechsler und andere, die mit den Passagieren in archetypischen Kontaktzonen wie den Häfen interagierten, wirkten jedoch mitunter aktiv an der orientalistischen Konstruktion ihres eigenen Abbilds mit. [2] Bedingt durch die enge Quellenauswahl bleibt die Erzählung somit über weite Strecken einer implizit eurozentrischen Sicht verhaftet, zumal sich der Referenzrahmen des "weißen britischen Mannes" laut Beamish auf das Britische Empire beschränkte (151). Zweifelsohne stellte die Transiterfahrung einen wesentlichen Aspekt der zunehmenden Globalisierung im neunzehnten Jahrhundert dar. Im Transit auf dem Ozean bleibt jedoch in letzter Konsequenz eine Antwort schuldig, inwiefern sich reziproke globale Verflechtungen auch im Lokalen (hier der Schiffsgemeinschaft) zeigten, abgesehen von der offensichtlich weltumspannenden Ausdehnung der untersuchten Verbindung.
Anmerkungen:
[1] Roland Wenzelhuemer: Globalgeschichte schreiben. Eine Einführung in 6 Episoden, Konstanz / München 2017, 228.
[2] Marie Louis Pratt: Imperial Eyes: Travel Writing and Transculturation, London 1992.
Dolf-Alexander Neuhaus