Hansjörg Küster: Der Wald. Natur und Geschichte (= C.H. Beck Wissen; 2891), München: C.H.Beck 2019, 128 S., 18 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-73216-4, EUR 9,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Frank Uekötter: Der Deutsche Kanal. Eine Mythologie der alten Bundesrepublik, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020
Noyan Dinçkal: Istanbul und das Wasser. Zur Geschichte der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1966, München: Oldenbourg 2004
J. Donald Hughes: What is Environmental History ?, Cambridge: polity 2006
Susanne Köstering: Natur zum Anschauen. Das Naturkundemuseum des deutschen Kaiserreichs 1871-1914, Wien: Böhlau 2003
John R. McNeill: Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Frank Elstner. Mit einem Vorwort von Paul Kennedy, Frankfurt/M.: Campus 2003
Im Sommer 2019 ist der Wald erneut ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Anlass dafür waren großflächige Waldbrände in Brasilien und Sibirien, Kalifornien, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, Borkenkäferplagen und allgemeine Trockenheit in Mitteleuropa. Der BUND sah sich veranlasst, ein Waldsterben 2.0 auszurufen, und stellt damit direkte Bezüge zur Waldsterbensdebatte der 1980er Jahre her.
Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass in der Reihe C.H. Beck Wissen nun ein Büchlein erschienen ist, das "gesichertes Wissen und konzentrierte Information" über den Wald vermitteln soll. Geschrieben hat es Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie an der Universität Hannover. Der Autor hat in den letzten 20 Jahren bereits mehrere populärwissenschaftliche Sachbücher geschrieben, welche großenteils bei C.H. Beck verlegt worden sind. Das Themenspektrum reicht dabei von der Ökologie, über die Entwicklung des Waldes, der Geschichte konkreter Landschaften, bis zur Geschichte der Landschaft im Allgemeinen.
Die Darstellung umfasst wie in der Reihe üblich gut 120 Seiten und ist in elf Kapitel unterteilt. Kapitel eins bis sechs konzentrieren sich eher auf die Erläuterung der ökologischen Grundlagen, während Kapitel sieben bis elf eher die Beziehungen von Menschen und Wald in den Fokus nehmen, wobei sowohl historische Entwicklungen als auch kulturelle Zuschreibungen berücksichtigt werden. "Eher" deswegen, weil Küster von Anfang an deutlich macht, dass ihm wichtig ist, Natur und Kultur/Geschichte nicht getrennt zu betrachten. Konkret benennt er drei Aspekte:
Erstens sei Natur keine konstante Größe, auch wenn Stabilität ein Kern der kulturellen Vorstellung von Natur sei. Stattdessen müsse Natur ganz im Sinn der Naturwissenschaften als dynamisch begriffen werden: Der Wald hat eine Geschichte und verändert sich ständig. Diese Prozesse verdeutlichen vor allem Kapitel drei "vom Steinkohlewald zum Wald von heute" und Kapitel fünf "Sukzessionen im Wald". Größere Veränderungen konnten etwa durch klimatischen Wandel oder Katastrophen ausgelöst werden. Sätze wie "nach jeder Katastrophe entwickelten sich neue Wälder" (36), können angesichts aktueller Ereignisse und Debatten relativierend gelesen werden. Allerdings weist Küster auch auf Konsequenzen hin, die klimatische Veränderungen hatten und haben können: zum Beispiel "eine Verarmung der genetischen Vielfalt" (54 f.) in Europa infolge von Eiszeiten.
Zweitens macht Küster deutlich, dass auch Naturwissenschaften nicht einfach Tatsachen beschreiben, sondern dass sie auch von kulturellen Ideen beeinflusst sind bzw. Naturwissenschaften selbst einflussreiche Ideen über Natur produzieren: "Das sind Ideen, keine Tatsachen" (7). Damit relativiert Küster die im naturwissenschaftlichen Teil des Buches als Tatsachenbericht gestaltete Darstellung, die im Übrigen für eine Historikerin informativ und gut zu lesen ist. Immer wieder findet man darin knappe Hinweise auf methodische Fragen und wissenschaftliche Kontroversen.
Drittens gibt es vielfältige Interaktionen zwischen Menschen/Kultur und Wald/Natur. Diese werden im ersten Teil des Buches immer wieder angesprochen, im zweiten Teil bilden sie den zentralen Gegenstand der Darstellung. Vorgestellt werden verschiedene Landnutzungssysteme und ihre Auswirkung auf Wälder (Kapitel 7).
Den Anbau von Getreide und die Permanenz von Siedlungen sieht Küster ebenso als wichtige Zäsur für die Waldgeschichte, wie die Entstehung der gewerblichen Holznutzung (Kapitel 8). Die daraus resultierende Steigerung des Holzkonsums, so Küster, führten schließlich zu einer tatsächlichen oder befürchteten Holznot. Der obligatorische Hinweis auf die kontroverse Deutung fehlt dabei nicht. Was nun folgt, können sich alle vorstellen, die sich mit Forstgeschichte befassen. Küster vermeidet es einerseits die moderne Forstwirtschaft als nachhaltig zu bezeichnen und zeigt, dass sich unter dem Begriff "nachhaltig" völlig unterschiedliche Vorstellungen und Praktiken verbergen. Im Sinne der entstehenden modernen Forstwirtschaft sollte "Nachhaltigkeit" nämlich ermöglichen, weiterhin über genügend Holz zu verfügen, und zwar zunächst vor allem für den Bergbau und die Erzverhüttung, nicht etwa im Sinne des Naturschutzes. Eine weiträumige Aufforstung war erst mit dem Ende des Holzzeitalters möglich, als Kohle Holz als wichtigste Energiequelle ablöste. Am Ende läuft Küsters Darstellung aber doch darauf hinaus, dass die Forstwirtschaft die Nachhaltigkeit erfunden habe.
Der Titel des Buches lautet "Der Wald. Natur und Geschichte" und formuliert damit einen räumlich und zeitlich weitreichenden und heterogenen Gegenstand. Zeitlich reicht die Darstellung von der Entstehung pflanzlichen Lebens auf der Erde bis in die Gegenwart. Räumlich bezieht sich die Darstellung vornehmlich auf Mitteleuropa - eine Ausnahme bildet das Kapitel (6) "Wälder der Erde". Je näher die Darstellung an die Gegenwart rückt, umso mehr konzentriert sie sich auf deutsche Entwicklungen und Spezifika, auch wenn an wenigen Stellen kurze Abschnitte zu anderen Staaten und Regionen eingefügt sind.
Besonders ausgeprägt ist diese deutsche Selbstbezogenheit in Kapitel (10) "Ideen zum Wald". Hier geht es fast ausschließlich um den deutschen Waldmythos. Diesen verfolgt Küster auf bekannten Wegen von Tacitus bis in die Romantik. Er bezieht sich dabei vor allem auf literarische und poetische Quellen, kaum auf im engeren Sinn politische Texte. Wichtiges Anliegen Küsters ist es zu zeigen, dass die Waldbeschreibungen nicht als Tatsachenberichte über den damaligen Wald zu verstehen sind. Die nationalistische Tendenz der "Silvapoesie" [1] des 19. Jahrhunderts wird in ursächlichen Zusammenhang mit den "Freiheitskriegen" (105) und dem Wunsch nach "Freiheit und nationaler Selbstbestimmung" (104) gebracht. Hier entspricht die Darstellung offenkundig nicht dem historischen Forschungsstand, demzufolge der "Mythos vom Befreiungskrieg" längst als Ergebnis aufwendiger Konstruktionsarbeit im Nachhinein dekonstruiert wurde. [2] Dagegen wird die zunehmend radikalnationalistische und antimoderne Aufladung des Waldes im Kaiserreich, der Weimarer Republik und schließlich im Dritten Reich ausgespart. Das wiegt umso schwerer, als Küster mehrfach die große Wirkkraft von Ideen betont.
Das letzte Kapitel "Schutz des Waldes" schlägt einen Bogen bis zur Gegenwart: Belastungen und Bedrohungen des Waldes, etwa durch den Klimawandel, werden ebenso geschildert wie unterschiedlichste Schutzkonzepte. Hier versteht Küster es, in einfachen Worten auf zentrale Komplexitäten aufmerksam zu machen: etwa das Problem der Unsicherheit und der schlechten Planbarkeit, unterschiedliche Ansprüche an den Wald und daraus resultierende Interessenskonflikte. Diese Problematiken sind bemerkenswert klar formuliert und verständlich auf den Punkt gebracht.
Insgesamt ist es Hansjörg Küster gelungen, eine leicht fassliche und lesbare Einführung über den Wald zu schreiben, die auf geringem Raum Wissen über ökologische Grundlagen, historische Nutzungsformen und kulturelle Zuschreibungen vereint. Die Qualität der Darstellung ist in den einzelnen Kapiteln allerdings unterschiedlich und spiegelt wider, dass sich der Autor besser mit den ökologischen Zusammenhängen und der materiellen Geschichte der Natur auskennt als mit der Kultur- bzw. Ideengeschichte. Die wiederholten Hinweise auf das komplexe Natur-Kultur-Verhältnis, methodische Fragen und wissenschaftliche Kontroversen sind eine Stärke des Buches, die sich vor allem in den eher naturwissenschaftlichen Kapiteln niederschlägt. Die ideengeschichtlichen Abschnitte sind demgegenüber wesentlich schwächer, hier entspricht die Darstellung nicht dem aktuellen Stand des Wissens.
Anmerkungen:
[1] Johannes Zechner: Der Deutsche Wald. Eine Ideengeschichte, Darmstadt 2016.
[2] Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag - Wahrnehmung - Deutung 1792-1841 (= Krieg in der Geschichte, Bd. 33), Paderborn 2007. Vgl. hierzu die Rezension in sehepunkte 9 (2009), Nr. 9.
Birgit Metzger