Tanya J. Tiffany: Diego Velázquez's Early Paintings and the Culture of Seventeenth-Century Seville, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2012, 256 S., ISBN 978-0-271-05379-0, USD 79,95
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Das Frühwerk von Diego Velázquez hat in den letzten Jahren erhöhte Aufmerksamkeit erfahren. Einen Auftakt hierfür boten die Feierlichkeiten zum 400. Geburtstag des Künstlers und die einhergehenden Ausstellungen zum Sevillaner Frühwerk in Edinburgh (1996) und Sevilla (1999). Weiter angespornt wurde das Interesse unlängst, als zahlreiche Sammlungen hypothetische Frühwerke des Sevillaners in ihren Beständen entdeckten und die Eigenhändigkeit und damit die Spezifika von Velázquez' frühen Gemälden neu diskutiert werden mussten. Dementsprechend sind Velázquez' Ausbildung, der Gelehrtenzirkel um seinen Lehrmeister Francisco Pacheco, das kulturelle Umfeld der Metropole Sevilla und Velázquez' Anfänge am Königshof verstärkt in den Blickpunkt kunsthistorischer Forschungen gerückt.
Innerhalb dieser Forschungsströmung ist Tanja J. Tiffanys an der Johns Hopkins University entstandene Dissertation "Diego Velázquez's Early Paintings and the Culture of Seventeenth-Century Seville" angesiedelt. In ihrer Einleitung verweist die Autorin auf die Problematik, dass über das rege Forschungsinteresse an kontextuellen Fragestellungen zum Sevillaner Werk die Beschäftigung mit den Gemälden oftmals in den Hintergrund trat. Ausgehend von dieser Beobachtung formuliert Tiffany die Ziele und Methodik ihrer Arbeit: Einzelne, ausgewählte Bilder sollen analysiert und mit dem kulturellen Rahmenwerk der frühen Karriere Velázquez' verknüpft werden. Bedeutsam für die Autorin ist dabei die Frage, in welchem Maße Velázquez die Theorien von Pacheco und dessen Gelehrtenkreis teilte und ob deren Schriften zum Verständnis seiner Gemälde beitragen können.
Dieser Fragestellung entsprechend thematisiert Tiffany bereits in ihrer Einleitung die grundlegende Bedeutsamkeit Pachecos und seines Zirkels für die künstlerische Entwicklung von Velázquez. In Folge seiner Ausbildung sei Velázquez zu einem jener gelehrten Maler geworden, die Pacheco in seinem Malereitraktat "Arte de la Pintura" (1638, publiziert 1649) propagierte. In diesem Zusammenhang benennt die Autorin die mit ihrer These einhergehende Problematik, dass Velázquez' Innovationen den akademischen Prinzipien Pachecos in vielerlei Hinsicht zuwiderlaufen. Dieser Widerspruch wird nicht aufgelöst, wenn Tiffany schreibt, entscheidend sei, dass Velázquez' praktische Talente Einfluss auf sein Bewusstsein für theoretische Konzepte genommen hätten. Angesichts der Relevanz jenes Problems für die Argumentation der Autorin wäre eine intensivere Diskussion hier wünschenswert gewesen.
In den ersten vier Kapiteln bespricht Tiffany einzelne Bilder bzw. Bildpaare verschiedener Genres, in denen Velázquez arbeitete. Analysiert werden die "Jungfrau der unbefleckten Empfängnis" gemeinsam mit "Johannes auf Patmos", das Porträt von "Madre Jerónima de la Fuente", der "Wasserverkäufer von Sevilla" und "Küchenszene mit Christus in Emmaus". Zu jedem Gemälde versammelt Tiffany eine Vielzahl von Quellentexten zeitgenössischer Sevillaner Autoren, die dazu dienen, die Hintergründe der Gemälde zu erhellen und das kulturelle Milieu beleuchten, in dem Velázquez seine Bilder entwickelte. Überzeugend kann die Autorin nachweisen, dass Velázquez in seinen frühen Bildern aktuelle Themen adressierte, die in Pachecos Kreisen diskutiert wurden. So legt sie beispielsweise am Bild "Küchenszene mit Christus in Emmaus" dar, wie Velázquez an der Debatte seiner Sevillaner Zeitgenossen um die Missionierung afrikanischer Sklaven teilnahm. Anhand des Bildes diskutiert die Autorin den Platz der Religion im Alltag, die Rolle der Frau in der katholischen Kirche und Fragen um die Möglichkeit der Eingliederung afrikanischer Sklaven in das Christentum.
Besonders erfreulich ist, dass neben derart prominenten Gemälden auch seltener diskutierte Bilder wie die Jungfrau der unbefleckten Empfängnis und Johannes auf Patmos endlich umfassende Deutungen erfahren. Die Gemälde wurden erstmals im Jahr 1800 von Ceán Bermudes im Sevillaner Karmeliterkloster erwähnt. Tiffany kann erstmals mithilfe karmelitischer Historiografie sowie Schriften Pachecos und seines Zirkels umfangreiche ikonografische Analysen vorlegen. Darüber hinaus kann sie zeigen, dass die Konzeption der Ikonografie und die ungewöhnliche Pendant-Bildung maßgeblich von karmelitischen Glaubenssätzen beeinflusst wurden, so dass man davon ausgehen kann, dass Velázquez seinen Auftrag direkt vom Sevillaner Karmeliterkloster erhielt.
In jedem der vier Kapitel betont Tiffany die enorme Bedeutung der Gedankenwelt von Velázquez' Lehrmeister Pacheco und seines Gelehrtenkreises. So legt sie beispielsweise dar, die Darstellung der Immaculata habe im Wesentlichen den Vorgaben Pachecos entsprochen. Beim Malen des Porträts Jerónimas de la Fuente sei Velázquez mit seiner naturgetreuen Wiedergabe jenem Leitsatz Pachecos gefolgt, porträtierte Personen durch Lebensnähe zu würdigen, nicht durch Idealisierung. Auch die Ikonografie des "Wasserverkäufers von Sevilla" wird anhand der künstlerischen Grundsätze Pachecos und seines Zirkels analysiert. Infolgedessen drängt sich bisweilen der Gedanke auf, Velázquez sei derart von den theoretischen Konzepten Pachecos und seines Zirkels beeinflusst worden, dass ihm nur wenig Platz für die eigene Entwicklung blieb. Zwar wurde Velázquez sicher nicht als "vollendeter Künstler" geboren und mag zu Beginn seiner Karriere noch den Vorstellungen seines Lehrers verpflichtet gewesen sein. Auf der anderen Seite zeigt schon ein Vergleich von Velázquez' frühen Gemälden mit Pachecos Werken gewaltige Unterschiede sowohl in der Originalität der Bildsujets als auch in der kompositionellen und malerischen Ausführung. Diese Divergenzen werden von Tiffany nicht diskutiert.
Im fünften Kapitel untersucht die Autorin abschließend den Übergang zwischen Velázquez' Sevillaner Zeit und seiner Position als Hofmaler. Bezüglich der Frage, warum Velázquez die bodegones-Malerei am Hof aufgegeben habe, argumentiert Tiffany, dass sich der Sevillaner nicht als Maler bescheidener Sujets, sondern als höfischer Porträtmaler profilieren wollte. Während in der Kunsttheorie bodegones in der Kritik standen, keine Erfindungskraft zu erfordern, seien Porträts vorteilhafter beurteilt worden. Velázquez habe sich demnach in einem Genre spezialisiert, welches das Potential besessen hätte, große Achtung in den Augen der Kunsttheoretiker zu verdienen. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch dem Porträt in der Kunsttheorie bloße Imitation und fehlende Erfindungskraft angelastet wurden und allein der Status und die Vorbildlichkeit des Dargestellten die Anfertigung eines Porträts legitimierten. Hätte Velázquez den Ansichten der Kunsttheoretiker entsprechen wollen, hätte er sich sicherlich auf das Malen von Historien spezialisiert, die an der Spitze der Gattungshierarchie standen.
Innerhalb der Publikationsfülle zu Velázquez' Werk zeichnet sich Tiffanys Dissertation durch differenzierte Einzelbildanalysen aus. Diese erlauben der Autorin, neue Erkenntnisse zu den Hintergründen einzelner Bilder und daraus abgeleitet auch zu Velázquez' Sevillaner Frühwerk insgesamt zu gewinnen. Die Hintergründe der Bildthemen und Begleitumstände der Aufträge sind profunde recherchiert und die Autorin kehrt in ihren Erklärungen immer wieder zum Bild zurück. Die Präzision, mit der Tiffany das Sevillaner Werk analysiert, lässt nur im fünften Kapitel etwas nach. Hier wären genauere Recherchen zur spanischen Porträtmalerei wünschenswert gewesen.
Saskia Jogler