Robert L. J. Shaw: The Celestine Monks of France, c.1350-1450. Observant Reform in an Age of Schism, Council and War (= Church, Faith and Culture in the Medieval West), Amsterdam: Amsterdam University Press 2018, 294 S., 1 Kt., 2 s/w-Abb., ISBN 978-94-6298-678-7, GBP 90,00
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Gegründet wurden sie von Pietro da Morrone (c. 1215-1296), der zunächst in den Abruzzen als Einsiedler lebte, dann aber immer mehr Gleichgesinnte um sich scharte: die Cölestiner. Die Gemeinschaft wurde 1264 offiziell den Benediktinern inkorporiert, als eigenständig agierende benediktinische Kongregation 1275 von Gregor X. anerkannt. Die Ausbreitung erfolgte rasch: Um 1300 verfügten die Cölestiner über 35, um 1400 bereits über 100 Klöster. Die Expansion wurde maßgeblich durch die Wahl des Pietro da Morrone zum Papst mit dem Namen Cölestin (V.) gefördert. Zwar regierte er nur vier Monate lang, doch ergoss sich in dieser Zeit eine wahre Flut an Privilegien über die noch junge Gemeinschaft. Die Entstehung des französischen Zweigs der Cölestiner ist vor dem Hintergrund eines singulären Ereignisses zu sehen: dem Rücktritt Cölestins von seinem Amt. Kirchenrechtlich zwar geregelt, im konkreten Verlauf jedoch undurchsichtig, sollte dieser Rücktritt für große Verunsicherung sorgen. Der machtbewusste Nachfolger jedenfalls, Bonifaz VIII., war durch sein persönliches Agieren in der Angelegenheit angreifbar geworden. Philipp IV. von Frankreich sollte dies nutzen - und wurde zu diesem Zweck zu einem der größten Förderer der Cölestiner in Frankreich. Die Ausbreitung im Königreich erfolgte zunächst nur sehr langsam: zwischen 1300-1350 entstanden vier Klöster (Ambert; Mont-de-Châtres; Offémont; Ternes). In den 100 Jahren zwischen 1350-1450 kamen weitere 13 Klöster hinzu, angefangen mit Paris 1352, das, gegründet vom Kollegium der Notare und Sekretäre des Königs, zum Mutterhaus des französischen Ordenszweigs aufstieg. Gefördert wurde das Kloster, in dem 1414 fast 40 Mönche lebten, vor allem durch Ludwig, den Herzog von Orléans und Karl V. von Frankreich. Fast ebenso groß waren die Konvente in Avignon, Amiens, Lyon und Marcoussis. Das Große Schisma, das seit 1378 die Christenheit in zwei Obödienzen teilte, war dafür verantwortlich, dass den französischen Cölestinern 1380 das Recht zur Selbstbestimmung bzw. -verwaltung und damit umfassende Autonomie gewährt wurde. Man durfte jetzt alle drei Jahre Provinzkapitel abhalten, Provinziale wählen und eigene Konstitutionen erlassen. In Frankreich sah man sich als Reformflügel innerhalb des Ordens an und versuchte bald, das in Italien tagende Generalkapitel (mit Unterstützung der Kurie) zu dominieren.
Die französischen Cölestiner fanden sich eher in Städten und waren stärker privilegiert als ihre italienischen Mitbrüder. Sie entstammten vor allem der Bourgeoisie. Die beiden einflussreichsten Persönlichkeiten im behandelten Zeitraum, die Provinziale Pierre Pocquet († 1408) und Jean Bassand († 1445), waren vor ihrem Eintritt in den Orden Juristen in utroque iure gewesen.
Die vorliegende Darstellung untersucht Ausbreitung, Entstehung und Blüte des französischen Ordenszweigs der Cölestiner und richtet dabei den Blick besonders auf die Interaktion der für ihre strenge Askese und Weltabgeschiedenheit bekannten Mönche mit der sie umgebenden und fördernden Gesellschaft. Die Arbeit versteht sich bewusst als Ergänzung und Vertiefung von Karl Borchardts opus magnum. [1] Der Anspruch des in zwei Teile (I. The French Celestines in their world; II. The world of the French Celestines) mit insgesamt fünf Kapiteln gegliederten Werks ist hoch: "Above all, it seeks to explore how late medieval monastic reform both drew from and shaped its sociocultural landscape." (20)
Shaw privilegiert einen eher biographisch ausgerichteten Zugriff auf die Thematik. Dies zeigt sich bereits im ersten Kapitel, wo er sich der Mitte des 15. Jahrhunderts von einem anonymen Cölestiner verfassten Vita des Jean Bassand annimmt. Es gibt wenige Quellen, die zum Verständnis der Kultur der französischen Cölestiner im späten Mittelalter besser geeignet sind. Fünf Mal zum Provinzial gewählt, machte Bassand durch eine harte asketische Lebenspraxis, die jede Verhältnismäßigkeit vermissen ließ, auf sich aufmerksam. Damit steht er im Gegensatz zu Vertretern der Reformorden des 12. Jahrhunderts, die auf Mäßigung setzten und in ihr den Garanten einer funktionierenden vita communis sahen. Skrupulös beachtete asketische Übungen hatten bereits den Ordensgründer ausgezeichnet - und alles wurde getan, um dieses proprium des Ordens in konstitutionelle Bahnen zu lenken. Genau dieser durch Konstitutionen gleichermaßen eingeschärfte wie gezähmte Rigorismus war es, der die Cölestiner für die Zeitgenossen so attraktiv machte.
Auf die Entstehung der Konstitutionen wird im zweiten Kapitel eingegangen. Die 1340 von den italienischen Mitbrüdern verabschiedeten Gesetzestexte wurden in Frankreich in den Provinzkapiteln seit 1380 konsequent weiterentwickelt und harmonisiert. Sie verstärkten "the walls of their spiritual seclusion" (69). Und überzeugend wird dargelegt, dass "there is every reason to see their constitutional activity as creative or even charismatic, as part of a complex but often deeply spiritual conversation between monks and the world" (79). In den Konstitutionen wird oligarchische Autorität betont und die Amtszeit der Oberen ohne Möglichkeit zur unmittelbaren Wiederwahl auf drei Jahre beschränkt. Das, was zu Zeiten des Pietro da Morrone noch undenkbar schien, nämlich der Bau von Klöstern in Städten, wurde nun Realität. Dies bedingte gesteigerte Außenkontakte: den Cölestinern war es fortan auch gestattet, in den Dienst von Laien zu treten, z.B. als königliche Beichtväter.
Wie erfolgreich waren die französischen Cölestiner in ihrem Bemühen um Reinheit? Wie wurde Disziplin durchgesetzt und aufrechterhalten? Im dritten Kapitel wird darauf ausgehend von der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verfassten "Chronik der Cölestiner von Metz" und einigen im Zeitraum zwischen 1395 und 1408 entstandenen Quodlibeta eine Antwort versucht. Letztere enthalten Fragen disziplinarischer und moralischer Natur, die von Pierre Pocquet, vor allem aber von Jean Gerson beantwortet werden. Gerson, Kanzler der Pariser Universität, fühlte sich dem Orden nicht zuletzt deshalb verbunden, weil zwei seiner Brüder dort eingetreten waren. Große Strenge und überbordender Rigorismus sind mit Händen zu greifen, wofür insbesondere Pierre Pocquet verantwortlich zeichnet.
Shaw geht mit einiger Ausführlichkeit auf Pocquets literarisches Schaffen ein, unter dem vor allem das Orationarium in vita Domini nostri Jesu Christi et de suffragiis sanctorum (geschrieben zwischen 1378-91) hervorragt. Es handelt sich dabei nicht um ein Handbuch asketischer Bußvorschriften, sondern um einen Frömmigkeitstraktat in Form spiritueller Unterweisung. Es bietet einen "approach to the inner man" und "a practical balance to the potential for monotony in the Celestines' constitutional observance" (146). Aufgrund der Nähe zur Gedankenwelt eines Jean Gerson ist auch das Dictamen de laudibus Joseph besonders hervorzuheben. Pocquet betritt hier Neuland und zeigt sich als Exeget von einiger Originalität: Im Hl. Joseph verbindet er Aspekte von Vater- und Führerschaft und bezieht diese auf seinen eigenen Orden.
Auf die materielle Seite cölestinischer Existenz in Frankreich wird im vierten Kapitel eingegangen. Gründer und Wohltäter umfassten nicht nur Vertreter des Hochadels bzw. des hohen Klerus, sondern das "Who's Who" der französischen Beamtenschaft und Bourgeoisie. Das "gute Leben" und die "conversatio" der Cölestiner waren für die Zuwendungen entscheidend. Vollständige Einnahmen- und Ausgabenlisten sind nicht vorhanden, doch verstreute Hinweise lassen darauf schließen, dass einige Klöster mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, stammten die Einnahmen doch vor allem aus Geldrenten. Demonstriert wird dies am Beispiel der Reduzierung liturgischer Verpflichtungen in Paris und Sens. Der Wert der Messstiftungen hatte sich im Laufe der Zeit stark verringert (s. hierzu die Appendices 2+3). Die Lösung bestand nun darin, viele der kleineren Messverpflichtungen zu einer einzigen großen zusammenzulegen, es wurde also nicht mehr jedes Wohltäters in einer eigenen Messe gedacht. Jean Gerson lieferte hierzu die theologische Begründung: Es könnten "necessitates" eintreten, die ein starres Festhalten an einmal getroffenen Verpflichtungen gegenstandslos werden lassen - und dies war hier der Fall.
Der Autor arbeitet mit eindrücklichen Bildern: dass sich königliche und päpstliche Gunst ab der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts von den Cölestinern ab und anderen Ordensgemeinschaften zuwandte, ist unbestritten. Shaw bemerkt hierzu lakonisch: "They had, like Icarus, flown somewhat too close to the sun in the period under study" (263). Das Selbstbild und -verständnis der Cölestiner blieben hiervon zunächst unberührt, wähnten sie sich doch noch immer im Besitz von Antworten auf drängende Fragen soziokultureller Natur. Doch stieg der Druck: Wie konnte man eigenen Ansprüchen an Askese und Weltabgewandtheit gerecht werden, wo man sich doch verstärkt dem Projekt einer Reform der Welt widmete? Wie konnte das Spannungsverhältnis zwischen dem Befolgen einer strengen Observanz und der Erkenntnis, dass rechtliche Verfügungen lediglich Mittel, niemals jedoch Zweck sind, ausgeglichen werden?
Man muss Shaws rückhaltlose Begeisterung für seinen Untersuchungsgegenstand nicht uneingeschränkt teilen ("Few orders, surely, have ever wielded such an outsized symbolic and ideological influence on their world", 267), doch bleibt nach der Lektüre von 268 engbedruckten Seiten die Erkenntnis, dass es beileibe nicht nur Männer vom Schlage Philippe de Mézières, Pierres de Luxembourg oder des Herzogs von Orléans waren, die sich strengen monastischen Reformern zuwandten, deren Lebenspraxis sie nur bewundern, nicht aber selbst realisieren konnten. [2] Die Geschichte der französischen Cölestiner ist ebenso eine Erzählung fortgesetzter Krisen und Konflikte wie eine Geschichte von steter Reform und Hoffnung auf Erneuerung.
Anmerkungen:
[1] Karl Borchardt: Die Cölestiner: eine Mönchsgemeinschaft des späteren Mittelalters, Husum 2006.
[2] Im Falle Ludwigs wird hier vom Autor tatsächlich mehr versprochen als eingelöst: inwiefern seine Frömmigkeit "ran quite deep on a personal level" (224) bleibt trotz einer Fußnote, die auf weitere Informationen ("see below") hoffen lässt, ausgesprochen unklar. Denn die bemühten "very frequent visits to the Paris Celestines" (242) können damit doch wohl kaum gemeint sein?
Ralf Lützelschwab