Brian Merrilees / William Edwards / Anne Grondeux (eds.): Le dictionnaire AALMA. Les versions Saint-Omer, BM 644, Exeter, Cath. Libr. 3517 et Paris, BnF lat. 13032 (= Lexica Latina Medii Aevi), Turnhout: Brepols 2019, LXII + 957 S., 4 Farbabb., ISBN 978-2-503-57519-3, EUR 475,00
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Katherine L. Jansen / G. Geltner / Anne E. Lester (eds.): Center and Periphery. Studies on Power in the Medieval World in Honor of William Chester Jordan, Leiden / Boston: Brill 2013
Richard Copsey: Biographical Register of Carmelites in England and Wales 1240-1540, Faversham: Saint Albert's Press 2020
Manche Titel sind alles andere als selbsterklärend: Wer würde hinter einem Substantiv mit allzu vielen Vokalen eines der bedeutendsten Wörterbücher des späten Mittelalters vermuten? Doch genau darum handelt es sich. Die Rede ist von Aalma, einem Wörterbuch, das (zumindest in seiner Langfassung) für über 23.000 lateinische Begriffe nicht nur die mittelfranzösischen Äquivalente liefert, sondern diese häufiger auch näher erläutert.
Die vorliegende Edition war vom 2013 verstorbenen Brian Merrilees auf der Grundlage einer von William Edwards erstellten Transkription vorbereitet, aber noch nicht ganz abgeschlossen worden. Anne Grondeux, ausgewiesene Spezialisten für lateinische Lexikografie des Mittelalters, hat sie nun zu einem guten Abschluss gebracht. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Der seltsame anmutende Titel Aalma ist nicht zeitgenössisch, sondern stammt von Mario Roques, der damit - unter Rückgriff auf das erste Lemma (das durch ein vierge secrete ou sainte näher erläutert wird) - einer Familie lateinisch-französischer Lexika des 14. und 15. Jahrhunderts ihren Namen gab. Roques hatte 1938 die älteste, in der Pariser Handschrift BnF lat. 13032 enthaltene Version ediert. [1] Heute sind insgesamt 14 Versionen von Aalma bekannt: es handelt es sich damit wohl um die bekanntesten zweisprachigen Glossarien des französischen Mittelalters. Nicht alle Versionen sind gleichermaßen wertvoll: es sind vor allem die drei hier edierten, die aufgrund einiger Besonderheiten aus der Masse der Überlieferung herausstechen.
Die mittelalterliche Lexikografie präsentiert sich lateinisch und ist vor allem ein Produkt Italiens. Die Verfasser des Aalma konnten auf berühmte Vorbilder zurückgreifen. Egal ob Papias mit seinem Elementarium (11. Jh), Uguccione da Pisa mit seinen Derivationes (1160/70) oder Giovanni Balbi mit seinem Catholicon (1286): alle hatten alphabetisch gegliederte Lexika verfasst, die sich großer Verbreitung erfreuten, den lateinischen Wortbestand erfassten und damit Wissen knapp und zuverlässig aufbereiteten. [2]
Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts war das Bedürfnis nach zweisprachigen Lexika unverkennbar, die zum einen als Referenztexte für Gelehrte, zum anderen als Lehrwerke für Anfänger fungieren konnten. Nicht ganz zufällig korrespondiert dieser Zeitabschnitt mit den Jahrzehnten, in denen von Karl V. von Frankreich und anderen wichtige Übersetzungen lateinischer Texte in Auftrag gegeben wurden. Die Handschrift Paris, BnF lat. 13032 entstand um 1380 wohl in Nordfrankreich und gelangte über die Abtei Saint-Germain-des-Prés in die Nationalbibliothek. Der Codex Saint-Omer, Bibliothèque municipale 644, kann auf die Zeit um 1430 datiert werden, wurde ebenfalls in Nordfrankreich geschrieben und gehörte einst der Abtei Saint-Bertin, während Exeter, Cathedral Library 3517, über ein Explicit mit der Jahresnennung 1431 verfügt und aus Privatbesitz in die Dean and Chapter Library der englischen Kathedralstadt überführt wurde. In allen drei Handschriften ist Aalma als Einzeltext überliefert.
Durch Aalma wurde das Mittelfranzösische um eine Fülle neuer Fachtermini bereichert. Davon zeugen auch die hier edierten Versionen. Durch ausführliche Handschriftenbeschreibungen aller 14 erhaltenen und sehr individuell gestalteten Textzeugen (IX-XXIX), darunter zwölf vollständigen, werden einige interessante Verbindungslinien deutlich. Von besonderer Bedeutung ist dabei das älteste Exemplar Paris, BnF lat. 13032, das, ohne das Original (exemplar) zu sein, diesem aber sehr nahestehen muss. Mit Ausnahme der in Saint-Omer und Exeter verwahrten Handschriften, die über einen umfangreicheren Wortbestand verfügen, sind alle erhaltenen Textzeugen von dieser Version abhängig, was anhand einer Vielzahl von Lemmata überzeugend demonstriert wird. Dennoch finden sich in diesen voneinander abhängigen Handschriften noch viele Eigenheiten: Manchmal handelt es sich um ausführlichere Definition, manchmal um die Einfügung von Neologismen. Dies zeigt, dass die Kompilatoren der Handschriften nicht bloß abschrieben, sondern mitgestalteten. Die Anzahl der Lemmata unterscheidet sich z.T. erheblich voneinander: Während beispielsweise in Paris, BnF lat. 13032 der Buchstabe "B" 278 Einträge umfasst, wartet eine Handschrift aus Troyes lediglich mit 245 Einträgen für denselben Buchstaben auf. Exeter, Cathedral Library 3517, tritt aufgrund der starken Präsenz lateinischer Wortdefinitionen hervor (auf die aber durchaus auch ein französisches Äquivalent folgen kann). Saint-Omer, Bibliothèque municipale 644, besticht durch eine Fülle von Neologismen (melioritas: meilleureté; venialitas: pardonnableté) und zusätzlich verarbeiteter Quellen, die vom hohen Bildungsniveau des Kompilators zeugen, "un lettré qui maîtrisait le latin et le français avec une assurance évidente" (xxxviii). Nachgewiesen wird eine Verbindung dieser Version mit dem zeitgleich in derselben Region entstandenen Dictionarius des Kartäusers Firmin Le Ver. Doch egal, um welche dieser vielen Versionen es sich handelt: Grundlage des Wortbestands ist das, was im Catholicon des Giovanni Balbi gelistet ist (vgl. XLIII-XLIV). In der Version Saint-Omer finden sich beispielsweise explizite Marginalglossen der Art secundum Catholicon.
Die Editionen präsentieren sich wie folgt: auf der linken Seite findet sich der Text Saint-Omer, auf der rechten Seite gegenüberliegend werden die Texte Paris und Exeter abgedruckt. Da die Version Paris BnF lat. 13032 beim Buchstaben "D" einiges an Textausfall zu verzeichnen hatte, wurde diese Lücke durch Übernahme der Einträge aus Paris, BnF lat. 17881 geschlossen. Alle drei Versionen verfügen über einen eigenen Variantenapparat.
Wie bei solcherart Lexika üblich, lassen sich nicht nur Rückschlüsse auf die Wortbedeutung selbst, sondern auch auf das historische Umfeld, in dem dieses Wort verwendet wurde, ziehen. Anders ausgedrückt: Mitunter wird die historische Kontextualisierung bereits mitgeliefert. Dies soll abschließend an einem Beispiel verdeutlicht werden.
Das Lemma Carmelus/Carmelita verweist nicht nur auf den Berg Carmelus, wo "Elias Gott anbetete", sondern auf die von dieser Lokalität abgeleitete Personenbezeichnung Carmelita. In der urbanen Wirklichkeit des späten Mittelalters, in der das Wissen um die eigentliche eremitische Herkunft der Karmeliter aus dem Heiligen Land nicht mehr unmittelbar präsent war, wurde durch die Definition des Wortbegriffs eben diese historische Hintergrundfolie mitgeliefert. [3]
Die Bedeutung des vorliegenden Werks kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, erleichtert es die korrekte Übersetzung französischer Quellen des späten Mittelalters doch ungemein. Eines droht in den mediävistischen Fächern nämlich langsam in Vergessenheit zu geraten: Arbeit an Quellen ist stets auch philologische Arbeit. Englischsprachige Übersetzungen sind nicht die Lösung aller Probleme. Jede Universitäts-, jede Seminarbibliothek, die auf sich hält, sollte die vorliegende Aalma-Edition ihren Beständen einverleiben. Die Qualität zukünftiger Forschung wird davon profitieren.
Anmerkungen:
[1] Recueil général des lexiques français du moyen âge (XIIe-XVe siècle), Bd. 2: Aalma Paris BnF lat. 13032, hg. von Mario Roques, Paris 1938.
[2] Von Papias' Elementarium ist lediglich der Buchstabe A kritisch ediert, vgl. Papiae Elementarium, hg. von Violetta de Angelis, Littera A, 3 Bde., Mailand 1977-1980. Gute Dienste leistet noch immer die Edition von 1496 (ND Turin 1966) unter dem Titel Vocabulista. Ugucciones Derivationes liegen in einer vorzüglichen kritischen Edition vor, vgl. Uguccione da Pisa: Derivationes (Edizione Nazionale dei testi mediolatini 11, Serie I, 6,), Edizione critica princeps, hg. von Enzo Cecchini [u.a.], 2 Bde., Firenze 2004. Balbis Catholicon ist nach wie vor nur als Inkunabeldruck (Mainz 1460; ND London 1971) zu benutzen.
[3] Brian Merrilees / William Edwards (éds.): Le dictionnaire AALMA. Les versions Saint-Omer, BM 644, Exeter, Cath. Libr. 3517 et Paris, BNF lat. 13032 (= Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis, Series-in-4o; 6), Turnhout 2019, 108: Carmelus.i - est quidam mons in quo David semel requievit cum exercitu suo et similiter in quo Elias deum adoravit - et a carmelus venit Carmelita, est quidam monachus et ideo dicitur carmelita quia primum monasterium istorum fratrum erat in illo monte.
Ralf Lützelschwab