Sylvain Excoffon / Coralie Zermatten (Hgg.): Sammeln, kopieren, verbreiten. Zur Buchkultur der Kartäuser gestern und heute (= Analecta Cartusiana; 337), Saint-Etienne: CERCOR 2018, 662 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-2-9546115-8-7, EUR 50,00
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Johannes Soreth: Expositio paraenetica in Regulam Carmelitarum. Ein Kommentar zur Karmelregel. Übersetzt und erläutert von Leo Groothuis, Münster: Aschendorff 2018
Jens Röhrkasten / Coralie Zermatten (eds.): Historiography and Identity. Responses to Medieval Carmelite Culture, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2017
Michaela Scheibe / Christiane Caemmerer / Katja Dühlmeyer u.a. (Red.): Bibel, Thesen, Propaganda. Die Reformation erzählt in 95 Objekten, Berlin: Staatsbibliothek zu Berlin 2017
Der vorzustellende Sammelband ist als Nr. 337 der "Analecta Cartusiana" erschienen und steht damit in einer langen Tradition der von James Hogg 1970 begründeten Schriftenreihe zu Geschichte und Spiritualität des Kartäuserordens. CERCOR, das an der Universität Saint-Etienne angesiedelte "Centre européen de recherches sur les congrégrations et ordres religieux", hat nach dem Tod Hoggs 2018 die Schriftleitung übernommen, und Sylvain Excoffon, hier lehrender Dozent für mittelalterliche Geschichte, firmiert seit 2013 als Mitherausgeber.
Excoffon und Coralie Zermatten, die bereits mehrere Analecta-Tagungsbände herausgebracht haben, verantworten auch den auf eine Tagung 2017 in der Kartause Ittingen zurückgehenden Band. Sein Gegenstand, die Buchkultur der Kartäuser, lässt aufhorchen, bezeichnet er doch ein faszinierendes Phänomen, das seit fast 100 Jahren immer wieder untersucht wurde: die überdurchschnittlich großen Büchersammlungen der Kartäuser, die Qualität ihrer Codices, Korrekturvorschriften, Systematiken, Sonderbibliotheken, Katalogisierungspraxis und Bibliotheksordnungen. Ihre Begründung beziehen Schreibkultur und Bücherliebe aus Kapitel 28, 3-4 der Constitutiones Cartusiae Guigos I.: "Libros quippe tanquam sempiternum animarum nostrarum cibum cautissime custodiri et studiosissime volumus fieri, quia ore non possumus, dei verbum manibus predicemus." [1]
Paul Lehmann und Heinrich Schreiber begründeten 1924 und 1927 die Traditionslinie zum Themenfeld mit mehreren Beiträgen [2]; seitdem sind immer wieder qualifizierte Studien zu Kartäuserbibliotheken erschienen. 2002 brachte Sönke Lorenz einen als Markstein wahrgenommenen Sammelband zum Thema heraus, der die bisherige Forschung zusammenführte. [3]
An den nun 16 Jahre später erschienenen neuen Tagungsband, der erstmals wieder die besondere Affinität der Kartäuser zum Buch in all ihren Ausprägungen zum Gegenstand hat, wurden von vielen Seiten hohe Erwartungen geknüpft.
Die Herausgeber gliedern den Band in fünf Themenbereiche, zu denen Kartäuserbibliotheken im europäischen Rahmen mit jeweils vier bis sechs überwiegend deutschsprachigen Beiträgen behandelt werden: Architektur, Schreiben und Leben, Bibliothekskataloge, Ausgewählte Bestände, Bibliotheksschicksale. Wenngleich Überschneidungen und Mehrfachbezüge zwischen den Themenblöcken unvermeidbar und nötig sind, wie sich auch bei einem kursorischen Durchgang bestätigt, so zeugt diese Gliederung doch von einer klugen Strukturierung des Materials durch die erfahrenen Fach-Editoren.
Am wenigsten überzeugt das an sich wichtige erste Segment zu den baulichen Gegebenheiten von Kartäuserbibliotheken. Die hier versammelten Essays sind recht heterogen und genügen formal, stilistisch und inhaltlich wie auch bezüglich des beigegebenen Bildmaterials nicht durchgängig den Erwartungen. Überzeugend ist dagegen der erstplatzierte Kurzüberblick zur Lage der Bibliotheken im funktionalen Raumplan von Kartausen durch die Bauhistorikerin Elke Nagel. Die sich anschließenden Ausführungen eröffnen einen Blick auf die Bibliotheksbauten in Köln, Neapel und Gaming mit seiner barocken Sonderform sowie vier mittelalterliche Kartausen im Bereich des heutigen Slowenien.
Anlass für Zeitpunkt und Ortswahl der Tagung 2017 war die Edition zweier bisher unerforschter Bibliothekskataloge des 17./18. Jahrhunderts der Kartause Ittingen durch Margrit Früh. Dies spiegelt sich in gleich vier Aufsätzen wider, die sich verteilt über die Themenbereiche mit dem Ittinger Bestand beschäftigen, indem sie die edierten Kataloge, ihr Segment der Profanliteratur (Hanspeter Marti), Spuren der Gegenreformation (Marianne Luginbühl) und Kartäusermanuskripte (Felix Ackermann) vorstellen.
Wo sich historische Bibliothekskataloge von Kartausen erhalten haben, steht die Forschung auf gesichertem Fundament. Der Tagungsband berücksichtigt neben Ittingen die drei Inventare des 13. Jahrhunderts aus Val-Saint-Hugon (Sylvain Excoffon) und zwei Kataloge des 18. Jahrhunderts aus Koblenz (Harald Goder). Dass der spätmittelterliche Bibliothekskatalog Hs. Hist. 6 der Erfurter Kartause in der exzellenten Darstellung durch Matthias Eifler den 3. Themenblock anführt, ist angesichts seiner bibliotheksgeschichtlichen und literaturhistorischen Bedeutung fast selbstverständlich. Man hätte sich hier allerdings auch Beiträge zu den mittelalterlichen Katalogen der Mainzer und Baseler Kartausen gewünscht, die als Sammlungen im Tagungsband völlig unberücksichtigt bleiben.
Dem "Buch in Gebrauch" gilt seit Jahren das Augenmerk in der Forschung; als Reflex dessen ist die 2. Sektion zu verstehen, in der Entstehung, Vervielfältigung, Zusammenführung, Benutzung, Wahrnehmung und Weitergabe von Texten differenziert nachgespürt wird. Der Erfurter Fonds begegnet hier in Gestalt einer heute in Moskau befindlichen Handschrift (Mikhail Khorkov). Einen interessanten Ansatz verfolgt Magda Fischer, die dem Aspekt klösterlicher Privatbibliotheken exemplarisch für die Freiburger Kartause nachgeht.
Dass es ein lohnendes Unterfangen ist, kartäusische Büchersammlungen unter speziellen thematischen Fragestellungen, chronologischen und gattungsspezifischen Aspekten zu analysieren, beweisen die Untersuchungen im vierten Themenblock, etwa zu Katechismusausgaben in Prüll/Regensburg (Rosa Micus) oder zu Musikhandschriften in den slowenischen Kartausen Seitz und Geirach (Katarina Šter).
Die 5. Sektion widmet sich dem Schicksal von Kartäuserbibliotheken und dem Verbleib ihrer Bücher nach den Aufhebungen und Raubzügen vom 16.-19. Jahrhundert. So liefert Manfred Schlegel das Ergebnis einer profunden Analyse zu Inkunabeln aus drei Thurgauer Kartausen in der Universitätsbibliothek Rostock. Maria Teresa Claür Hernàndez und Tonino Ceravolo buchstabieren das Thema des Verlierens und Wiederfindens von Beständen für zwei italienische Kartausen durch. Hinter das Faktum der Fragmentierung und Dislozierung gewachsener Sammlungen können wir nicht zurück. Was aber Verlust und Zerstörung entgangen ist, wird seit Jahren an vielen Orten durch virtuelle Rekonstruktionen von Bibliotheken wieder zusammengeführt und damit ein entscheidender Beitrag zur Defragmentierung von Streubeständen geleistet.
Erschließungs- und Digitalisierungsprojekte gewährleisten Sicherung und Sichtbarmachung des Erhaltenen. Für die Bestände von Kartäuserbibliotheken demonstrieren dies zwei methodisch besonders wichtige Aufsätze, mit denen im Tagungsband der Schritt in die Zukunft vollzogen wird: Christoph Flüeler erläutert den Mehrwert von Digitalisierungsvorhaben und stellt das Projekt der Bereitstellung aller in der Schweiz erhaltenen Kartäuserhandschriften über www.e-codices.ch vor. Ursula Stampfer präsentiert den fortgeschrittenen Stand ihrer bemerkenswerten Arbeiten zur virtuellen Rekonstruktion der Kartäuserbibliothek Allerengelberg/Schnals.
Das Gesamtkonzept des Tagungsbandes überzeugt. Seine 25 Einzelbeiträge in fast durchgängig exzellenter Qualität bieten neben manchem Bekannten eine Fülle neuer Informationen, Ansätze und Erkenntnisse. Mit einer kurzen Zusammenfassung der Tagungsergebnisse beschließen die Herausgeber das Buch. Wichtiger wäre ein Einführungsaufsatz zu Quellen, Kernpunkten und Grundfragen und zum Stand der Forschung gewesen. Mit redaktioneller Steuerung hätte ein Verweisungssystem die ermüdende Wiederkehr identischer Quellen- und Literaturangaben in den Anmerkungen der Fachbeiträge deutlich reduziert.
Ärgerlich sind die Häufung von Tippfehlern sowie grammatische und stilistische Schnitzer, die bei sorgfältiger Lektorierung vermeidbar gewesen wären. Der für 662 Seiten zu leichte Broschureinband und das sehr nachlässige Gesamtlayout entsprechen dem gewohnten Erscheinungsbild der Analecta. CERCOR sollte ernsthaft prüfen, ob die Diskrepanz zwischen Inhalt und Form weiterhin tragbar ist. Ein würdiges Format für die einzige Schriftenreihe zum Bücherorden der Kartäuser erfordert deutlich höhere Ansprüche an Satz, Gestaltung, Lektorat und Einband! Das sollte den Herausgebern die kartäusische Buchkultur wert sein!
Anmerkungen:
[1] Guiges Ier: Coutumes de Chartreuse. Introduction, texte critique et notes par Maurice Laporte (Sources Chrétiennes, 313), Paris 1984, 224.
[2] Paul Lehmann: Bücherliebe und Bücherpflege bei den Karthäusern, in: Miscellanea Francesco Ehrle, Rom 1924, 364-389; Heinrich Schreiber: Quellen und Beobachtungen zur mittelalterlichen Katalogisierungspraxis besonders in deutschen Kartausen, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 44 (1927) 1-19, 97-118.
[3] Sönke Lorenz (Hg.): Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser. Festgabe zum 65. Geburtstag von Edward Potkowski (= Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; 59), Stuttgart 2002.
Annelen Ottermann