Hagen Fleischer: Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert. Übersetzung aus dem Griechischen von Andrea Schellinger (= Griechenland in Europa; Bd. 5), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020, 368 S., ISBN 978-3-412-51789-2, EUR 30,00
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Heinz A. Richter: Griechenland 1950-1974. Zwischen Demokratie und Diktatur, Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2013
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In der von Chryssoula Kambas und Marilisa Mitsou herausgegebenen Reihe "Griechenland in Europa, Kultur - Geschichte - Literatur" ist als Band 5 das vorliegende Buch erschienen. Es handelt sich um die deutschsprachige Erstveröffentlichung einiger Beiträge, die Hagen Fleischer als ausgewiesener Experte für die Geschichte Griechenlands im Zweiten Weltkrieg zwischen 1981 und 2016 fast nur auf Griechisch publiziert hat. Die Auswahl der Beiträge erfolgte durch Fleischer zusammen mit den Reihenherausgeberinnen. Der Autor setzt sich mit den deutsch-griechischen Beziehungen seit dem Ende des Ersten Weltkriegs auseinander. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Zeit des Zweiten Weltkriegs und danach.
Das erste Kapitel mit der Bezeichnung "Krieg und Besatzung" macht mehr als die Hälfte des Buchs aus und beinhaltet folgende Abschnitte: "Besatzung und Widerstand 1941-1944", "Kontakte zwischen deutschen Besatzern und griechischem Widerstand", "Geostrategische Pläne für ein germanisches Nachkriegs-Kreta", "Griechisches Judentum und Deutsches Reich. Der Holocaust und seine deutsch-griechische Vorgeschichte".
Der erste Abschnitt mit etwa 100 Seiten ist der umfangreichste. Es handelt sich um eine komprimierte Darstellung des Zweiten Weltkriegs und des Widerstands in Griechenland, die einen guten Überblick über diese leidvolle Zeit vermittelt. Die Ausführungen über den griechischen Widerstand könnten manchem allerdings streckenweise Schwierigkeiten bereiten: Im ursprünglich für eine griechische Publikation konzipierten Beitrag geht der Autor nicht nur auf die größeren, sondern auch auf die kleineren Widerstandsgruppen ein. Für das deutsche Lesepublikum dürfte es etwas mühsam sein, den Überblick über alle diese Gruppen zu behalten.
In den anderen Abschnitten befasst sich der Autor mit dem heiklen Thema Kollaboration, mit dem Bürgerkrieg zwischen den linken und rechten Widerstandsgruppen, mit der Besetzung Kretas durch die Wehrmacht, der militärischen Bedeutung der Insel für die Pläne der Kriegsmarine, mit den Beziehungen zwischen den Juden Thessalonikis und Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg und mit dem Holocaust. Zur Rettung von Juden mit Hilfe der christlichen Umgebung hat es viele Aktionen gegeben, die auch im Beitrag genannt werden. Erwähnung hätte in diesem Zusammenhang der gemeinsame Protest in Form einer Petition der akademischen, geistlichen und wirtschaftlichen Elite des Landes gegen den Abtransport der Juden nach Polen verdient.
Das zweite Kapitel trägt den Titel "Kontinuitäten" und gliedert sich in folgende Unterpunkte: "Das deutsche Venizelos-Bild nach dem Ersten Weltkrieg", "Deutsche Kränze auf griechischem Boden", "Unter der Militärdiktatur. Deutsche Kulturpolitik in Griechenland 1967-1974", "Das deutsch-griechische Dreieck. Instrumentalisierte Erinnerung in den deutschen Staaten und Griechenland" und "'Wiedergutmachung'" in Griechenland.
Im ersten Abschnitt wird anhand des vielleicht bedeutendsten neugriechischen Politikers Eleftherios Venizelos das Verhältnis der beiden Länder in der Zeit zwischen den Weltkriegen untersucht. In den anderen Abschnitten geht es um die Zeit nach 1945. Dazu gehören Aspekte wie die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Bonn und Athen im Dezember 1950, die Vergangenheitsbewältigung der west- und ostdeutschen Regierungen, die Besuche der verschiedenen Bundespräsidenten in Griechenland, die "Wiedergutmachung" der Bundesrepublik in Höhe von 115 Millionen DM im Jahr 1960, die Einstellung der Bundesregierungen zu der von 1967 bis 1974 herrschenden Junta in Athen, die Wechselbeziehungen im politischen "Dreieck" zwischen Bundesrepublik - DDR -Griechenland und die Frage nach den Kriegsreparationen und dem Zwangskredit aus dem Zeitraum von 1942 bis 1944.
Das dritte und letzte Kapitel ist mit knapp 40 Seiten vom Umfang her bescheiden und dreht sich um "Autobiografisches". Im ersten Abschnitt geht der Autor auf seine Tätigkeit als Mitglied der Untersuchungskommission über Kurt Waldheims Wehrmachtsvergangenheit, im zweiten auf seine eigene Vita ein. Der ehemalige UNO-Generalsekretär und österreichische Bundespräsident war im Zweiten Weltkrieg unter anderem auch in Thessaloniki in der Abteilung Ic im Oberkommando der Heeresgruppe E eingesetzt. Diese Dienststelle war für Feindnachrichten, Spionageabwehr usw. zuständig. Das Militärpersonal sammelte dort sämtliche Informationen und leitete nach deren Bearbeitung und Bündelung die Texte an das Oberkommando weiter. Die Bearbeitung bestand unter anderem auch darin, Berichte der Wehrmachtseinheiten über Gräueltaten an der Zivilbevölkerung in Kampfhandlungen gegen "Bandenverdächtige" oder "Banditen" umzuwandeln. (317) Waldheim hatte nach dem Krieg diese Dienstzeit verschwiegen. Als Schweigen unmöglich geworden war, wollte er nur "Schreibtischarbeit" getan haben, sonst habe er von verbrecherischen Besetzungsakten nichts gewusst. (312) Die Kommission sollte herausfinden, ob er persönlich schuldig sei. Da der Autor über die Ansichten und Einstellungen der verschiedenen Kommissionsmitglieder sowie über die Versuche mancher namentlich bekannter österreichischer Politiker, das Untersuchungsergebnis zu beeinflussen, bereitwillig berichtet, erfährt das Lesepublikum einiges über die interne Arbeit der Kommission und über die politischen Hintergründe der "Causa Waldheim".
Hagen Fleischer ist im Januar 1944 in Wien geboren. Der Vater war in Kriegsgefangenschaft. Nach dem Kriegsende ließen sich Mutter und Kind im katholischen Süddeutschland nieder. Als Zugewanderter und Protestant erfuhr er von den Einheimischen eine doppelte Ablehnung. Seine Kindheit war wie die der ganzen Generation von den Kriegsfolgen geprägt: wirtschaftliche Not, Mangel an Konsumgütern und Entbehrungen. Diese Kindheitserfahrungen waren für Fleischer ausschlaggebend, Geschichte zu studieren. Von 1970 bis 1977 schrieb er in Berlin an seiner Dissertation: "Griechenland 1941-1944, Kampf gegen Stahlhelm und Krone". Nach der Promotion zog er mit seiner griechischen Ehefrau nach Athen. Ab 1979 war er in Athen und/oder Kreta als Hochschullehrer an den dortigen Universitäten tätig. Sein Forschungsschwerpunkt ist die deutsch-griechische Zeitgeschichte.
Der Autor hat die Texte für diese deutsche Ausgabe ergänzt, aktualisiert und sorgfältig überprüft. Einige Flüchtigkeitsfehler haben sich dennoch eingeschlichen; so sind z. B. die Fußnoten 30 und 33 vertauscht worden (152), statt 1981 steht 19812 (201) und Κοινότητα (Gemeinde) ist mal richtig (178), mal falsch als Κοινώτητα (200) geschrieben.
Das Buch lässt sich gut und flüssig lesen. Das spricht für die Übersetzungen. An ein paar Stellen hat die Übersetzerin indes eine nicht so glückliche Wortwahl getroffen: So handelt es sich bei Kampfhandlungen der Widerstandsgruppen gegen die Besatzungsmacht nicht um Überfälle, sondern um Angriffe (87, 131). Was dem Buch aber fehlt, ist eine Landkarte Griechenlands mit den wichtigsten in den Texten genannten Ortschaften bzw. Regionen. Wer sich mit der griechischen Landeskunde nicht so gut auskennt, muss recherchieren oder selbst Landkarten studieren. Dies beeinträchtigt den Lesefluss.
Insgesamt ist das Buch empfehlenswert für alle, die mehr über die Hintergründe und die Entwicklung der deutsch-griechischen Beziehungen nach dem Ersten und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren wollen. Fundierte und kompetente Beiträge, zahlreiche Quellenangaben, Literaturhinweise und ein Werkverzeichnis der deutschsprachigen und englischen Schriften des Autors regen zum weiteren Studium an. Die Lektüre leistet auch einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der letzten Krise, die 2010 zwischen Deutschland und Griechenland ausbrach und das Verhältnis der beiden Länder schwer belastet hat. In diesem Zusammenhang wurde in Griechenland die Frage nach Reparationen wieder sehr aktuell.
Der Deutsch-Griechische Zukunftsfonds des Auswärtigen Amtes hat die Finanzierung der Drucklegung getragen.
Loukas Lymperopoulos