Rezension über:

Antonio Vera: Von der "Polizei der Demokratie" zum "Glied und Werkzeug der nationalsozialistischen Gemeinschaft". Die Polizei als Instrument staatlicher Herrschaft im Deutschland der Zwischenkriegszeit (1918-1939) (= Sicherheit. Polizeiwissenschaft und Sicherheitsforschung im Kontext; Bd. 9), Baden-Baden: NOMOS 2019, 625 S., ISBN 978-3-8487-5622-3, EUR 114,00
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Rezension von:
Sven Deppisch
Fürstenfeldbruck
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Sven Deppisch: Rezension von: Antonio Vera: Von der "Polizei der Demokratie" zum "Glied und Werkzeug der nationalsozialistischen Gemeinschaft". Die Polizei als Instrument staatlicher Herrschaft im Deutschland der Zwischenkriegszeit (1918-1939), Baden-Baden: NOMOS 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 1 [15.01.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/01/34700.html


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Antonio Vera: Von der "Polizei der Demokratie" zum "Glied und Werkzeug der nationalsozialistischen Gemeinschaft"

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In den vergangenen drei Jahrzehnten konzentrierte sich die Forschung zur Geschichte der deutschen Polizei größtenteils auf deren Einsätze und Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Verglichen damit vernachlässigte sie die Rolle der Sicherheitskräfte in den turbulenten Jahren zwischen 1918 und 1939, obwohl bekannt ist, wie bedeutend die Zwischenkriegszeit für das Exekutivorgan war. Den Wandel "Von der 'Polizei der Demokratie' zum 'Glied und Werkzeug der nationalsozialistischen Gemeinschaft'" beleuchtet Antonio Vera nun in seinem gleichnamigen Buch. Die Studie basiert auf seiner 2018 von der Fernuniversität Hagen angenommenen Dissertation und gliedert sich in fünf Kapitel.

Veras Ziel ist es, "die Rolle, die Funktion und die Bedeutung der deutschen Polizei zwischen den Jahren 1918 und 1939 im Spannungsfeld von Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft" (30) zu beleuchten. Um zu ermitteln, wie die Ordnungsmacht sich selbst, aber auch wichtige Ereignisse wahrnahm, strebt der Autor an, eine kulturgeschichtlich orientierte Diskursanalyse zur deutschen Polizei durchzuführen. Dahingehend betrachtet er vorwiegend "die individuellen, subjektiven Handlungs- und Deutungsmuster der Polizeibeamten in ihrem mehr oder weniger alltäglichen polizeilichen Handeln und der Interaktion mit dem polizeilichen Gegenüber" (30).

Zugleich möchte Vera historiografische und soziologische Ansätze in der polizeigeschichtlichen Forschung stärker als bisher miteinander verzahnen. Nach der Einleitung widmet sich der Autor daher zunächst den theoretischen Grundlagen seiner Arbeit. Zuerst setzt er sich mit dem Polizeibegriff auseinander, dessen Bedeutung sich vom ersten schriftlichen Nachweis im Jahr 1451 bis hin zum modernen Verständnis stark wandelte. Anschließend skizziert er verschiedene Theorien der Herrschafts- und Polizeisoziologie. Danach liefert er einen Abriss über die Polizeigeschichte selbst, in dem er sogar bis ins alte Ägypten zurückblickt. Für seine Studie zur deutschen Polizei in der Zwischenkriegszeit ist das aber weniger zweckdienlich als der folgende allgemeine Überblick zu Sicherheitslage und Kriminalität im Deutschland der Jahre 1918 bis 1939. Sein historischer Streifzug unterstreicht jedoch, dass eine umfassende Gesamtdarstellung zur Geschichte der Polizei nach wie vor ein großes Desiderat ist.

Die zentrale Prämisse und zugleich Quintessenz seiner Studie besteht für Vera in der "Funktion der Polizei als Instrument staatlicher Herrschaft" (584). Was wie eine Binsenweisheit klingt, versucht der Autor im vierten und umfangreichsten Kapitel seiner Arbeit an der Geschichte der deutschen Polizei in der Zwischenkriegszeit aufzuzeigen. Dazu wertet er zum einen die wissenschaftliche Literatur über die Ordnungsmacht für diese Periode aus. Ihre Erkenntnisse möchte er ergänzen, indem er zum anderen polizeilich relevante Ereignisse dieser Zeit im Spiegel der - in der Forschung bislang wenig beachteten - Zeitschrift "Die Polizei" analysiert. Aus den in seinem Untersuchungszeitraum erschienenen insgesamt 22 Jahrgängen mit über 14.000 Seiten wählt Vera lediglich etwas mehr als 170 Beiträge aus, wobei er nicht deutlich macht, welchen Kriterien er dabei folgt. Diese Texte stammen überwiegend aus der Feder von führenden Vertretern insbesondere der preußischen Polizei, aber unter anderem auch von Repräsentanten des preußischen Innenministeriums sowie von Staatsanwälten, Medizinern, Ingenieuren und Schriftstellern. Mit seiner Analyse beabsichtigt der Autor, "neue Erkenntnisse über die Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung der Polizei und ihre Wahrnehmung und Einschätzung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der deutschen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit" (35) zu gewinnen. Weitere Polizeizeitschriften oder sonstige Quellen wertet er dafür aber nicht aus.

Die ereignisreichen Zwischenkriegsjahre unterteilt Vera in vier gängige Abschnitte: Zunächst beleuchtet er die Anfangsphase der Weimarer Republik von 1918 bis 1923. Nach dem Kollaps des wilhelminischen Sicherheitsapparats etablierten die einzelnen Länder in der ersten deutschen Demokratie neue Polizeikräfte. Diese sahen sich durch Unruhen und Aufstände von vorwiegend politisch linksgerichteten Gegnern herausgefordert, die sie häufig mit brutaler Waffengewalt niederschlugen. In den von Vera ausgewerteten Artikeln wurde der militärische Charakter der neuen Staatsgewalt durchaus ambivalent bewertet. So begrüßten einige Autoren, dass die Polizei mit martialischen Einsatztaktiken gegen Aufständische vorging und damit polizeiliche Großlagen erfolgreich bewältigte. Allerdings fanden sich auch kritische Stimmen, die dafür plädierten, die Ordnungsmacht als bürgernahe Institution auszurichten. Denn deren geringen Rückhalt in der Bevölkerung führten sie nicht zuletzt auf das autoritäre Auftreten der Polizisten zurück.

In der relativ stabilen Phase der Weimarer Republik zwischen 1924 und 1929 bemühte sich die Polizei, das angespannte Verhältnis zu den Bürgern zu verbessern. Als sich die Sicherheitslage beruhigte, wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Ordnungsmacht zu modernisieren und zu professionalisieren - Schritte, die von den Autoren der ausgewerteten Beiträge befürwortet wurden. Das betraf etwa den als geradezu alternativlos erachteten Einsatz moderner Technik. Des Weiteren sollte das Ausbildungswesen demilitarisiert und somit liberalisiert werden, um die Polizei generell zu demokratisieren. Während Letzteres scheiterte, scheint es der preußischen Regierung aber durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit gelungen zu sein, die Bevölkerung mit der Polizei zumindest partiell zu versöhnen, worauf einzelne Beiträge laut Vera hindeuten.

In der folgenden Phase zwischen 1930 und 1932 zeigte sich allerdings, dass dieser Erfolg nur kurz währte. Infolge der Weltwirtschaftskrise eskalierte erneut die politische Gewalt auf deutschen Straßen, womit die Staatsmacht überfordert war. Die Agitation von beiden politischen Rändern sowie die staatlichen Sparmaßnahmen zermürbten die Weimarer Polizei zusätzlich. Mit dem "Preußenschlag" vom 20. Juli 1932 war sie de facto entmachtet, da sie dem Staatsstreich des Reichskanzlers Franz von Papen gegen die preußische Regierung tatenlos zusehen musste. Darüber schwieg sich die Zeitschrift "Die Polizei" jedoch aus und widmete sich stattdessen immer häufiger "belanglosen" (429) Themen, wie Vera feststellt.

In der letzten Phase von 1933 bis 1939 schließlich entwickelte sich die Polizei rasch zu einer willfährigen Institution des nationalsozialistischen Maßnahmenstaates. Das von Vera untersuchte Periodikum wandelte sich zu einem linientreuen Organ der NS-Propaganda, das die deutlich erweiterten Befugnisse der Staatsgewalt einhellig befürwortete und seine polizeilichen Leser im Sinne der neuen Machthaber ideologisch ausrichten wollte. Dazu propagierte es nicht zuletzt deren Feindbilder, also vorwiegend Kommunisten, "Asoziale" und ab 1938 zunehmend Juden.

Punktuell liefert Veras Quellenanalyse vertiefende Erkenntnisse zur Lebens- und Arbeitswirklichkeit der Polizei, die über die bisherigen Ergebnisse der Forschung hinausgehen. Detaillierter als diese stellt der Autor beispielsweise dar, wie sich die Sparpolitik infolge der Weltwirtschaftskrise auf die Besoldung der Polizeibeamten auswirkte. Ein weiterer Pluspunkt der Studie ist, dass sie noch expliziter als bisher auf die Rolle der Polizei bei der Zwangssterilisation von "Erbkranken" in den frühen Jahren des NS-Regimes hinweist. Demgegenüber dominieren in der Studie aber die subjektiven Positionen der Zeitschriftenautoren, die offenbaren, wie sie die zentralen Themen ihrer Zeit reflektierten.

Am Ende seines umfangreichen Buches zieht Vera Bilanz und kommt zu dem Schluss: "Je höher (1) der Rückhalt der Polizei beim Bürger, (2) die Popularität der Regierung in der Bevölkerung und (3) die Loyalität der Polizei zu ihrem Dienstherrn ist, desto besser kann die Polizei ihre Funktion als Instrument staatlicher Herrschaft erfüllen." (586) Deshalb habe sie auch das Scheitern der Weimarer Republik und den Aufstieg des Nationalsozialismus mit zu verantworten. Fraglich ist jedoch, ob es für diese Erkenntnis der Diskursanalyse einer Polizeizeitschrift bedurfte.

Das Verdienst von Veras Studie besteht darin, zentrale Erkenntnisse der polizeigeschichtlichen Forschung zur Zwischenkriegszeit zu rekapitulieren und durch eine publizistische Binnenperspektive zu ergänzen. Damit ermöglicht seine Arbeit neue Einblicke in die Polizeikultur. Zur Literatur über die Geschichte der deutschen Polizei zwischen 1918 und 1939 fügt Vera mit seinem Buch ein informatives Werk hinzu, das Perspektiven für tiefergehende Analysen auf breiterer Quellenbasis eröffnet.

Sven Deppisch