Yilmaz Dziewior / Gregor Muir (Hgg.): Andy Warhol Now. Ausstellungskatalog, Museum Ludwig Köln, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2020, 223 S., ISBN 978-3-96098-762-8, EUR 38,00
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"Geld verdienen ist Kunst. Und arbeiten ist Kunst. Und gutes Geschäft ist die beste Kunst" (Andy Warhol). Eigentlich sollte man bereits hier die Feder beiseitelegen, denn Warhol selbst sagt alles über seine Kunst und der Kritiker kann dessen Werk kaum besser charakterisieren. Wäre da nicht die schöne Analogie zu einem anderen Krösus der Moderne zu ziehen, dem Mann mit dem Hut.
"Jeder Mensch (...) ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler." So lautet der "Erweiterte Kunstbegriff" des ehemaligen Akademieprofessors Joseph Beuys. [1] Die Erweiterung des künstlerischen Ausdrucks demonstrierte er mit Agitation, Performance und unorthodoxer Materialität, der er mystische Qualität, metaphorische Bedeutung und gesellschaftsverändernde Funktion zuschrieb. Mit einem Schlag hat der akademische Heilsbringer der Kunst die Kunst ausgetrieben.
Kaum anders klingt das, was Andy Warhol unter Kunst versteht: "Being good in business is the most fascinating kind of art. Making money is art and working is art and good business is the best art". [2] Wenn dem besten Geschäft höchster Kunstrang zukommt, Jeff Bezos der reichste Geschäftsmann 2021 ist, dann ist Bezos aktuell der größte Künstler. Quod erat demonstrandum. Immerhin hält sich auch Warhol in der Spitzengruppe seiner Sparte. Mit kunstfremden Kriterien wird gegen den Kunstbegriff vorgegangen und Kunst ideologisch camoufliert. [3] Die Tatsache, dass Kunst nichts ist als Geschäft, verwendet Warhol als Ideologie, die das Investmentprodukt legitimieren soll, das er fabriziert. Mit dem 'Schamanen' verbindet Warhol der frontale Angriff auf den Kunstbegriff. Beide relativieren die Kunst auf ihren Produktcharakter und reduzieren sie zum Verwertungsobjekt. [4] Während der eine jede menschliche Tätigkeit unter den Kunstbegriff subsummiert, ihn dabei der Beliebigkeit ausliefert, postuliert der andere den kommerziellen Erfolg zum Kunstkriterium und antizipiert damit das aktuelle Definitionskriterium: moneymaking = Kunst. Die beiden 'Aufklärer' rekurrieren auf einen entleerten Kunstbegriff, der besagt "anything goes".
Anlass dieser unfrisierten Einführung ist die aus pandemischen Gründen dem Publikum vorenthaltene Retrospektive des "bekanntesten Vertreters der Pop Art" [5] Andy Warhol (1928-87) im Kölner Museum Ludwig. Ein verhinderter Blockbuster, der Quotenrenner des Jahres! Wenn auch die Begehung der Schau Andy Warhol Now, die bis September 20 in der Londoner Tate Modern gezeigt wurde, nicht möglich ist, so informiert der umfangreiche Katalog über das "facettenreiche Werk" Warhols, vor allem aber über dessen Bedeutung für "eine junge Generation im Zeitalter von Migration und gesellschaftlicher Diversität". [6] Die in der Presse hochgelobte "Ikone" der Moderne wird als Transformator der Gegenwartskunst, als Außenseiter der Gesellschaft, Emigrantenkind, als Muttersöhnchen, Queer-Kopf und als Prophet des 'American Way of Life' mit homosexuellem Anstrich vorgeführt. Zu sehen wären unter anderen Umständen neben einem Wust von Dokumentarischem über 100 Werke, darunter die populären Darstellungen von Marilyn Monroe, Coca-Cola-Flaschen, Campbell-Suppen-Konserven, Brillo Boxes - Konsumartikel des US-Lifestyle.
Schon im Vorspann des Katalogs verheddern sich die Autoren mit dem Anspruch auf "humanistische Betrachtungen über Warhols Leben und Werk". Im "intimen Austausch" wird dem imaginären Betrachter der todlangweilige, fünfstündige Film Sleep (1963), der den Warhol-Lover John Giorno in unterschiedlichen Schlafpositionen, kommentiert mit dilettantisch anmutenden halbseidenen Männerzeichnungen, annonciert. Darauf folgen Pop-Arbeiten aus den 70er und 80er Jahren, die Warhols "performative Annäherung an den Mythos des künstlerischen Genies" (1) offenbaren, ein Topos, rätselhaft abgründig, der unbedingt erklärungsbedürftig ist. Weiterhin wird in der Ausstellung gezeigt, wie der Künstler nach dem auf ihn verübten Attentat "flamboyant und unermüdlich" neue Wege beschritten hat, die Welt, in der er lebte, in seinen Werken abzubilden. Kurzum - wir sollten, so die Text-Autoren, darüber nachdenken, was uns Warhol über "die Anliegen der heutigen Zeit" zu sagen haben könnte (1). Danach folgen 9127 Zeichen Danksagung.
Als 'Philosophie' Warhols wird der Slogan "Coca-Cola ist und bleibt Coca-Cola" zitiert (12). Darin erkenne jeder die demokratische Verfassung unserer Zeit. Denn im Zeitalter von "Make America Great Again" muss daran erinnert werden, wer Andy Warhol eigentlich war. Die Schreiber mutmaßen, Warhol hoffte "einst sein Werk als eine Form des "Commonismus" (sic!) zu positionieren". Contradictio in Adjecto: with Capitalism to Communism? Coca-Cola, Cheesburger und Chewing Gum für alle? Amerika einen Spiegel vorzuhalten, sei der Anlass gewesen, Dollarscheine, Boulevardblätter, Hollywood-Stars und sich selbst ins Großformat zu reproduzieren, wird kolportiert und einige Spalten weiter seine "Schwärmerei für die Reichen und Berühmten" ins Feld geführt (12f., 17, Abb. 172f.).
Weitschweifig werden mit den drei Ausstellungsbereichen "Immigrant", "Queer", "Tod/Religion" die Lebensumstände Warhols ausgebreitet. Bis ins kleinste Detail werden Seiten um Seiten bedruckt mit Dokumentiertem und Kolportiertem aus der Warhol'schen Zauberkiste. Da geht es um die schwierige Kindheit, seine diversen Krankheiten, seine enge Mutterbindung, seine religiösen Anwandlungen, seine Erfolge als Werbegrafiker, seine sexuelle Orientierung, die in der Frage kulminiert: "Wie schwul war Warhol?" (16), schließlich seine Maler-Karriere und der kometenhafte Aufstieg zum Pop-Idol (10-19). Ein klassischer Panegyrikus aufs 'Queer Life'. Voyeuristisch angehauchte Zeitgenossen können sich freuen.
Olivia Zaing präsentiert ein buntes Potpourri von A bis Z zu Warhols 'Highlife' (20-25). Keneth Brummel schildert mit dokumentarischem Material die Warhol'sche Silver Clouds - Performance (1965-1966) in der New Yorker Galerie Leo Castelli (26-31). Diedrich Diederichsen versucht, Warhols TV- und Filmproduktion an Walter Benjamins These von der Veränderung des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit anzubinden und Stephan Diederich widmet sich "Warhols Gesichter" (39-47). Martine Syms überrascht mit einer grafisch austarierten Design-Eloge von doppelseitigen Typo-Foto-Montagen zu Warhols Schlaflosigkeit (48-55). Fiontán Moran dokumentiert die exhibitionistischen Auftritte und Produktionen des "Queer Warhol" in der New Yorker Szene (56-63) und Charlie Porter entdeckt die intimen Seiten seines Freundes (64-69).
Andy Warhol, der jahrelang die Werbeschiene rauf und runter spazierte, kannte die Gesetze des Marktes und der Konsumgesellschaft, und nutzte deren Techniken, um sie zum Inhalt seiner Kunst zu machen. Schon die Modeanzeigen (80-85), Plattencovers sowie die Covers seines Trend-Magazins Interview (144f., 174-177), die er professionell gestaltete, weisen ihn als guten Werbegrafiker aus. Sicherlich war er als PR-Artist seiner Zeit voraus, primär darin, den Bildergeschmack zu kanalisieren und zu verändern. Die grellbunte Ware, die er in seiner Factory, Zufluchtsort der New Yorker Underground-Szene und Starlaboratorium, ausbrütete und in Massen produzierte sowie über Merchandising und willfährige Galeristen vertrieb, hat konkrete Spuren im Bildgedächtnis der Zeit hinterlassen, die dort zutage treten, wo Kunst schon kapituliert hat. Mit fotounterstütztem, multiplem Siebdruck hat er Furore gemacht. Wer kennt sie nicht, die als Toilettendeko beliebten buntpoppigen Serienplakate, im Katalog vertreten mit Round Marilyn (101), Elvis (110), Silver Liz (123), Mick Jagger (184), Double Marlon (231), die obszönen Flowers (132), Mao (158), Hammer and Sickle (159), Ladies and Gentlemen (162-171) mit ihren Drag Queens und Transsexuellen, wo noch am Ehesten innovatives Vermögen eingegangen ist. Gleiches muss dem Torso (Abb. 9 und 179) zugestanden werden. Sozusagen kunstaffine Gebrauchsgrafik.
Klassischen Warhol sieht man in den Suppendosen- und Marilyn-Formaten der Pop-Ära (94 u. 202ff.). Politisches, das seinerzeit angesagt war, in der 1962 begonnenen Serie Death and Disaster, für die er Zeitungsbilder von Rassenunruhen, Autounfällen und elektrischen Stühlen auf Siebdruck fertigte (206-225). Am Ende die Last Supper-Bilder in über hundert Versionen (204f.). Mit dem todesmaskenartigen Fright Wig-Selbstporträt (206), hat er sich das Requiem 'warholisiert'. Alles muss irgendwie 'cool' rüberkommen, den Zeitgeist der 60er Jahre aus der Toilettenperspektive verbildern.
Dieser queere Allrounder, der nach allem griff, was reproduzierbar erschien, Werbung, Bücher, Mode, Filme, Zeitschriften, Fotografie, Skulptur, plastischer Klimbim u.a., war ein Produkt seiner selbst. So, wie er sich inszeniert hat, war er Vorläufer einer ganzen Reihe von Exzentrikern im Kunstbetrieb, die dazu beitrugen, die Kommerzialisierung der Kunst zu zementieren. Immerhin hat der kleine, schüchterne Emigrantensohn seinen 'American Dream' mit Bravour absolviert.
Da ein Besuch der Ausstellung wegen Corona bedingter Schließung nicht möglich ist, kann auch keine Empfehlung dazu ausgesprochen werden. Der Katalog, bunt und grell typografiert, entspricht dem dargestellten Werk. An keiner Stelle lassen die Autoren Zweifel an Warhols Kunstbegriff aufkommen, umschiffen schlafwandlerisch das brisante Thema. Darüber hinaus lassen sie kein heißes Eisen aus und dürften damit dem Eventbedürfnis der Vernissage Kultur vollauf genügen.
Anmerkungen:
[1] Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt. Interview von Peter Brügge mit Joseph Beuys, in: Der Spiegel 23 (1984).
[2] andy warhol's silver factory, in: youtube, verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=MCMTGkcyFDc.
[3] Hier kann nur der Kunstbegriff ex negativo, im Sinne von Theodor W. Adorno und Jean Baudrillard geltend gemacht werden, denn eine positive Formulierung würde nur Un- bzw. Pseudokunst, die das bestehende Kunstdilemma überdeckt, beschönigt und affirmativ rechtfertigt, zuarbeiten.
[4] Vgl. Max Horkheimer / Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/ Main 2003, 129.
[5] https://www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/andy-warhol-now.html (zuletzt gesehen am 21.02.2021).
[6] Ebd.
Anmerkung der Redaktion:
Der Zutritt zu Museen und Ausstellungen unterliegt in der gegenwärtigen Situation sehr schnellen Änderungen. Zu den aktuellen Verfahrensregeln bezüglich der Ausstellung Andy Warhol Now finden Sie Informationen auf der Seite des Museums Ludwig in Köln.
Dietmar Spengler