Sonja Brink / Francesco Grisolia (Hgg.): Die Zeichnungen des Giovan Battista Beinaschi: aus der Sammlung der Kunstakademie Düsseldorf am Kunstpalast, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2020, 272 S., ISBN 978-3-7319-0749-7, EUR 49,95
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Hier geht es nicht um einen Barockfürsten vom Schlage Gian Lorenzo Berninis, Carlo Marattas oder Pietro da Cortonas - stattdessen stand ein wenig bekannter Piemonteser, der kaum mit barocken Superprojekten trumpfen kann, im Fokus einer vorzüglich ausgerichteten Ausstellung (Das Auge reist mit. G. B. Beinaschi zwischen Rom und Neapel, Kunstpalast, Düsseldorf 2018), die inzwischen mit einem reich bebilderten Katalog bedacht wurde. Sein Name: Giovan Battista Beinaschi.
Angestoßen wurde sie durch die Sammlungs-Kuratorin Sonja Brink, die mit einer Reihe wissenschaftlicher Bestands- und Ausstellungskataloge die Zeichnungssammlung der Kunstakademie Düsseldorf vorbildlich betreute und bekannt machte. [1] Dieser Bestand von ca. 14.000 Handzeichnungen, heute Dauerleihgabe der Kunstakademie, verdankt sich der Sammeltätigkeit des nachmaligen Düsseldorfer Akademiedirektors Lambert Krahe (1712-1790), der sie 1778 zum Zwecke der Ausbildung von Künstlern an der Kunstakademie an die Bergischen Landstände veräußerte.
Gespannt wartete man auf das Erscheinen dieses Kataloges. Nun ist er heraus und zwar in deutscher und italienischer Ausgabe. Zu bestaunen sind eintausendfünfhundert Gramm Spitzenwerke römisch-neapolitanischer Zeichenkunst des Barock. Ausführliche Beiträge zum disegno des Künstlers beschreiben die rund 250 Zeichnungen im Kunstpalast, klären Werkprozesse und erörtern die Stellung Beinaschis in der Wechselbeziehung der Kunstproduktion zwischen Rom und Neapel. Der prächtige Katalog belegt anschaulich das Zeichentalent des Künstlers.
Unter der Regie von Sonja Brink hat der in Rom tätige Kunsthistoriker Francesco Grisolia, der sich auf die profunde Monografie von Vincenzo Pacelli und Francesco Petrucci stützen konnte, den umfassenden Zeichnungsbestand mit den öffentlichen Werken des Malers in Verbindung gebracht. Hierbei ist eine Revision der künstlerischen Bedeutung Beinaschis erzielt, sind überraschende Neuzuschreibungen gemacht und eine gesicherte Basis für weitergehende Forschungen gelegt worden.
Der Piemontese Giovan Battista Beinaschi (1634-1688) arbeitete seit 1651 in Rom und ab 1663 in Neapel, dem Mittelpunkt seines Schaffens. Mit sakralen Fresken und mit Tafelmalerei bediente er Ordenskongregationen und andere kirchliche Institutionen. Allegorien und Heilige, die im barocken Rom und in Neapel allgegenwärtig waren, prägen sein Opus. Als Hauptwerk gelten die Fresken in der Vierung des Gesù Nuovo in Neapel und die Kuppel von Santa Maria degli Angeli a Pizzofalcone. Sein Caravaggismo, seine Auseinandersetzung mit dem eindringlichen Pathos Mattia Pretis und die Fortsetzung von Giovanni Lanfrancos Tenebrismo sicherten ihm einen herausragenden Platz in der neapolitanischen Malerei. Beinaschi entwickelte eine nahezu unverwechselbare zeichnerische Handschrift. Auch hier ist er ein Meister von Licht und Schatten. Mit schwarzer Kreide und brauner Feder komponiert er seine Historien. Perspektive und Tempo kennzeichnen Beinaschis Zeichenvortrag.
Grisolia entführt mit seiner Einleitung in die Welt des römischen und neapolitanischen Barock, charakterisiert die Zeichenkunst Beinaschis und pointiert im Anschluss an Jacob Bean und Walter Vitzthum dessen Eigenständigkeit gegenüber seinen Vorbildern. [2] Insbesondere stellt der Autor die Besonderheit des Düsseldorfer Bestandes hinsichtlich des stilistischen Verständnisses heraus, sondert Werkstattarbeiten aus und definiert der Malerei entsprechende Werkgruppen.
Nur wenige Zeichnungen Beinaschis aus der Düsseldorfer Akademiesammlung datieren aus den römischen Jahren des Künstlers, zumeist Studien, die mit erhaltenen Gemälden in Verbindung stehen. Eine ansehnliche Aktstudie, die in die 1650er Jahre zu datierende Rötelzeichnung eines männlichen Modells, mit der Beischrift "Cav.r. Benaschi" gehört zum klassischen Repertoire des barocken Künstlers (28, Kat.-Nr. 1).
In die römische Frühzeit fällt auch eine Studienarbeit, die eine Madonna mit Kind darstellt. Die schwarze Kreidezeichnung (um 1655-1660) dürfte, so Grisolia, im Zusammenhang mit einem Mariengemälde entstanden sein, dessen Aufbewahrungsort nicht bekannt ist. Hier schälen sich bereits wesentliche Grundzüge von Beinaschis Zeichenweise heraus. Die geschmeidige und schwungvolle Linienführung in schwarzer Kreide sowie die körperhafte Modellierung durch kräftige Schattenpartien sind schon voll ausgebildet. Die ausdrucksstarke zeichnerische Handschrift rechtfertigt die außerordentliche Wertschätzung seiner Blätter durch die Zeitgenossen (29-31, Kat.-Nr. 3).
Ab 1663 arbeitet der Maler in Neapel und stattet viele Kirchen mit seinen Fresken und Gemälden aus, die teilweise verloren, aber dank der zeichnerischen Vorstudien durchweg dokumentiert sind (15). Die von seinen Biografen behauptete inventio Beinaschis bestätigt Grisolia anhand der Kompositionszeichnungen und Skizzen und charakterisiert exemplarisch die Variationsbreite der Zeichnung des Künstlers. Richtig erkennt der Autor Beinaschis originäre disegnatorische Handschrift und kontrastiert sie mit derjenigen Lanfrancos.
Mit dem "Tableau d'autel représentant la gloire céleste" hat das Krahe-Inventar II eine Komposition in schwarzer Kreide (31f., Kat.-Nr. 4) dem Künstler zugeordnet, in der die ganze virtuose Gestaltungskraft Beinaschis zur Anschauung kommt. Die Anfang der 1660er Jahre entstandene Komposition Die hl. Familie mit der hl. Anna, wohl eine Altartafel vorbereitend, demonstriert mit der skizzenhaften Anlage, der rapiden Strichführung und den groben Diagonalschraffuren den ab dato charakteristischen Konzeptionsstil des Meisters, wie Grisolia schlüssig darlegt. Der neapolitanischen Zeit sind fünf Pinselskizzen in Braun zu verdanken, die möglicherweise um 1665 den verlorenen Fresken Beinaschis der Cappella del Crocifisso in Santa Maria di Loreto zugearbeitet sind (33-37, Kat.-Nr. 6.1-5). Hier ist der souveräne Gebrauch des Pinsels in Perfektion aufgezeigt. Die breit angelegte Lavierung verleiht den Figuren Plastizität und malerische Qualität. Auf den Entwurf folgt die Studie. Eines der qualitativ herausragenden Blätter ist die schwarze Kreidezeichnung auf blauem Papier mit einer sitzenden weiblichen Figur (46f., Kat.-Nr. 15), die auch den Umschlag des Kataloges schmückt. Die in Untersicht mit einer Schreibfeder in der Hand dargestellte Heilige, Allegorie oder Sibylle, wohl ein Kuppel-Pendentif vorbereitend, könnte Grisolia zufolge für eine verlorene neapolitanische Kirche angefertigt worden sein. Der Verfasser betont die Sicherheit und Bestimmtheit der Linienführung sowie die perfekte Helldunkelmodellierung und lässt keinen Zweifel an der Meisterhand.
Die rund fünf Jahre einer römischen Zwischenphase, mit der Beinaschi ab 1675 seine neapolitanischen Aktivitäten unterbrach, sind durch Gemälde in den Kirchen Santa Maria del Suffragio (86-88, Kat.-Nr. 52), San Bonaventura al Palatino (88-90, Kat.-Nr. 53, 54) und in Santi Ambrogio e Carlo al Corso (91-93, Kat.-Nr. 55) gesichert. Sie bringen eine Beruhigung der Linienführung mit sich. Ab Sommer 1680 ist Beinaschi erneut in Neapel tätig, wo er in Santi Apostoli das Paradies vollendet, die Kuppel von Santa Maria degli Angeli a Pizzofalcone freskiert und Langhäuser und Kuppeln der Kirchen mit Fresken ausmalt - Arbeiten, die Grisolia sämtlich mit Zeichnungen und Entwürfen belegt. Für diese letzte Schaffensperiode beobachtet der Autor beim Meister eine zunehmende Weichheit der Strichführung und die Anwendung einer Mischtechnik, welche auf malerische Wirkung abzielt (20, Kat.-Nr. 70-91).
Grisolia beschäftigt sich auch mit der Händescheidung zwischen Meister und Schülern bzw. Nachahmern und Kopisten. So wurde eine ganze Reihe von Blättern, die bisher unter dem Namen Beinaschi liefen, seiner Werkstatt oder sogar anderen Zeichnern zugeschrieben (21). Schließlich muss Grisolia zugestimmt werden, wenn er früheren Autoren, die das Werk Beinaschis für allzu leicht befunden haben, nachdrücklich widerspricht [3] und zu Recht Pier Leone Ghezzi als Kenner anruft, um die Berühmtheit und Fertigkeit des Zeichners Beinaschi zu bezeugen (21).
Der von Sonja Brink verfasste Prolog des Kataloges liest sich wie ein Vermächtnis. Die Zeichnungssammlung der Düsseldorfer Kunstakademie wurden in den letzten Dekaden zwar durch hervorragend edierte Bestands- und Ausstellungskataloge bekannt gemacht - doch gemessen an der Größe und der Qualität des Zeichnungsbestands klaffen umfangreiche Lücken in der Aufarbeitung dieser exzellenten Barocksammlung. Vor allem wartet man noch immer auf die Revision und Präsentation des großen Carlo Maratta-Konvoluts: Es scheint unverständlich, dass trotz umfassender Vorarbeiten dazu der Kuratorin das Heft aus der Hand genommen wurde. Man wüsste gerne, welches Zeichen damit für die Zukunft der barocken Zeichnungsvirtuosen aus dem Bestand der Düsseldorfer Kunstakademie gesetzt werden sollte.
Der Katalog lädt den Leser ein, das zeichnerische Œuvre eines bislang unterschätzten und wenig beachteten Barockmalers kennenzulernen, dem Liebhaber der Meisterzeichnung zur Freude, der Forschung aber beschert er reichen Gewinn. Schließlich ein großes Lob den Machern des Katalogs, der durch seine hervorragende Übersicht und exzellente Druckqualität seinesgleichen sucht.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt Sonja Brink: Idea et Inventio. Italienische Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts aus der Sammlung der Kunstakademie Düsseldorf am Museum Kunstpalast (Ausst.-Kat. Düsseldorf, Museum Kunstpalast), 2 Bde., Petersberg 2017.
[2] Vgl. Jacob Bean / Walter Vitzthum: Disegni del Lanfranco e del Benaschi, in: Bollettino d'arte, 4. F., 46 (1961), 106-122.
[3] Vgl. ebd.
Dietmar Spengler