Bernward Schmidt / Simon Falch (Hgg.): Kilian Leib (1471-1553). Prediger - Humanist - Kontroverstheologe (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. Vereinsschriften der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum; 80), Münster: Aschendorff 2020, 187 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-402-11101-7, EUR 24,90
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Die erste und einzige Gesamtdarstellung zu Kilian Leib, dem humanistisch gebildeten Prior des Augustinerchorherrenstifts Rebdorf bei Eichstätt, von dem zahlreiche, auch ungedruckte Werke vorliegen, erschien 1910. Der Tagungsband will daher neue Forschung anregen und verspricht, "kein pures L'art pour l'art" zu bieten (14).
Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive problematisieren Christina Patz und Simon Falch die Textsorte des "geistlichen Sendbriefs", indem sie einen kürzlich wiederentdeckten Neujahrsbrief Kilian Leibs an eine Klosterschwester mit einem Brief des Bamberger Bischofskaplans Heinrich Kötzler an eine geistliche Bruderschaft vergleichen. Die sorgfältige Analyse beider Texte ergibt, dass sie "konzeptionell kaum ungleicher sein könnten" (42): Während Kötzlers Brief, ein "Hybrid zwischen Predigt und Traktat" (26), mit lebensnahen Beispielen und einer auf den mündlichen Vortrag zugeschnittenen Sprache eine "gelehrte und laikale Öffentlichkeit" anspricht (28), verfolgt Leib ein explizit didaktisches Ziel: Um der Adressatin Gelegenheit zur Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse zu geben, baut er lateinische Zitate samt deutscher Übersetzung ein (33). Diese "deutsch-lateinische Experimentalpredigt" (38) komme dem makkaronischen Stil nahe: "obwohl keine konsequente Sprachamalgamierung stattfindet, werden doch Makkaroni gekocht, Leib hat lediglich das Rezept variiert" (41). Da beide Texte einen Predigtcharakter tragen, sich aber als Briefe auf einen bestimmten Adressatenkreis beschränken, wird vorgeschlagen, sie als "Sendbriefpredigten" einzuordnen (42-44).
Wie Leib zum Bauernkrieg stand, untersuchen Kilian Baur und Stefan Abel in ihren Beiträgen anhand einer 1525, nach der Niederschlagung des Bauernkriegs gedruckten Flugschrift. Wie bei altgläubigen Kontroverstheologen üblich, lag für Leib die Schuld allein bei Luther, der die unbedarften, einfältigen Bauern mit seiner Irrlehre zum Aufstand verführt habe (65). Anstatt aber Luther direkt zu attackieren, führte Leib lediglich historische Beispiele an, die zeigen sollten, dass der Aufruhr der Bauern zum Scheitern verurteilt sei (67f.). Da Alt- und Neugläubige gleichermaßen die Aufstände kritisierten, könne man, so Baur, bei Leib nicht von einer katholischen Reaktion auf eine "reformatorische Gegenöffentlichkeit" sprechen. Stattdessen gebe es eine "reformatorisch-katholische (Teil-)Öffentlichkeit", in der Katholiken und Reformatoren vor einem gemeinsamen Publikum um die Deutung des Bauernkriegs rangen (74).
Während Baur Leibs Argumentation für eine "zusammenhanglose Präsentation" historischer Exempel hält (69), sieht Abel darin eine gezielte Strategie: "Historische Singularitäten werden erst in der zyklischen [...] Wiederkehr zu Gesetzmäßigkeiten" (84). Erst durch die "unendlich fortlaufende mise en série" verdichteten sich Leibs Beispiele zu dem Argument, dass Aufstände der niederen Volksmassen prinzipiell dazu verurteilt seien, brutal niedergeschlagen zu werden (87). Genau in die Mitte der Exempel-Reihe setzte Leib eine Neuinterpretation des Phalaris von Akragas: Statt als bestialischen Tyrannen zeichnete Leib ihn als vorbildhaften Herrscher, der zwar hart, aber gerecht strafe und sich nicht beim Volk anbiedere. Indem er zeige, dass Aufstände immer im Unglück endeten, sei er "ein warer prophet unnd warsager" (98). Möglicherweise, so Abel, kritisierte Leib hier indirekt den Eichstätter Bischof, der den Aufruhr nicht gewaltsam niederschlagen konnte, sondern auf Verhandlungen setzen musste, was ihm manche als Schwäche auslegten (111).
Bernward Schmidt verortet Leibs Bibelauslegung im Spektrum der altgläubigen Kontroverstheologie. In der nur handschriftlich überlieferten Polemik "Luthers Bad und Spiegel" (1526) wiederhole Leib die typischen Vorwürfe der anti-lutherischen Kontroverstheologie, bleibe dabei allerdings "eher assoziativ" und wenig systematisch (117f., 129). Schmidt erläutert, wie Leib seine Vorwürfe gegen Luther (Verfälschung der Schrift, Vortäuschung von Gelehrsamkeit, Verführung zum falschen Gottesdienst) begründete (118-125) und zeigt anhand der intertextuellen Bezüge überzeugend, dass fast alle Argumente Leibs, insbesondere die Kritik an Luthers Schriftauslegung, wohl von Hieronymus Emser übernommen sind (125-128). Da Emser wiederum von Erasmus abhänge, brachte Leib für Humanisten also keine neuen Einsichten, so dass als Adressaten nur konfessionell Schwankende oder bereits überzeugte Katholiken in Frage kämen (130). Anders als Emser, der nur Latein konnte, unterfütterte Leib seine Argumentation jedoch zusätzlich mit Hilfe seiner Hebräisch- und Griechischkenntnisse (128).
Seinem Beitrag über die hebräischen Sprachkenntnisse Leibs stellt Ulrich Hausmann Grundsätzliches über das Verhältnis von Humanismus und Reformation voran (zum Teil gestützt auf Joseph Lortz): "Allenfalls in ihrem mühsamen textkritischen Streben nach dem möglichst authentischen Urtext und einigen weiteren philologischen Methoden griffen Reformatoren unmittelbar auf Studien der Humanisten zurück" (134). "Entgegen der vorherrschenden Meinung" (138) und ganz anders als Luther, dessen mangelnde Hebräischkenntnisse Hausmann stark betont (135), stünden Leib und die altgläubigen "Klosterhumanisten" in einer langen Tradition christlicher "Hebraistik", deren Genese ausführlich zur Sprache kommt (138-146). Am Beispiel der Übersetzung von Gen 1,1-2 demonstriert Hausmann, wie Leib - dem die textkritischen Probleme "bereits umfänglich bewusst" gewesen seien (153) - versuchte, unter Zuhilfenahme der jüdischen Auslegungstradition Luther eine Verfälschung der Bibel nachzuweisen. Während Luther "bereshit" mit "in principio" und "ruach" mit "ventus" übersetzte, favorisierte Leib "per principium" und "spiritus Dei". Hierfür sammelte er Argumente aus der jüdischen Bibelauslegung, die Hausmann um weitere Punkte vermehrt (156-161). Luther sei erst auf Leibs Linie eingeschwenkt, als er die Hoffnung auf Mission der Juden aufgegeben hatte (167). Die Vermutung, dass dieser "Lernfortschritt" (165) Luthers "direkt oder indirekt vermittelten" Kenntnis des damals noch ungedruckten Traktats Leibs geschuldet sei (167), scheint mir gewagt, da andere, näherliegende Quellen nicht diskutiert werden.
Kathrin Clench-Priber stellt schließlich Leibs Wettertagebuch, das er über 19 Jahre sorgfältig geführt hat, in den Kontext der Astrometeorologie, die im 16. Jahrhundert "zur führenden Wettertheorie" aufstieg und vermutlich von Conrad Celtis aus Krakau nach Ingolstadt importiert wurde (176). Zwar maß Leib Sterndeuter, Horoskope und Bauernregeln an seinen Beobachtungen und verwarf sie als Betrug (181f.). Aber er ging auch über die gängige Astrometeorologie hinaus, indem er annahm, dass ungünstige Planetenkonstellationen nicht nur das Wetter, sondern auch das Verhalten der Menschen beeinflussten (184). Daher konnte er die Konjunktion von Jupiter und Saturn für eine der Ursachen der "Ketzerei" halten (184f.). Gottes Barmherzigkeit könne zwar die negativen Einflüsse der Gestirne bremsen, lasse sie zur Strafe für die Sünden der Menschen aber auch zu. Leibs Wetterbeobachtungen waren somit eng mit seiner Kontroverstheologie und Frömmigkeitspraxis (Buße, Fürbitte, Bittprozessionen) verzahnt.
So unterschiedlich die Beiträge thematisch und methodisch auch ausfallen, sie setzen alle interessante Schlaglichter, die zum Weiterforschen einladen. Erfreulich ist, dass auf die zahlreich verfügbaren Digitalisate der Quellen stets mit Permalinks verwiesen wird - eine Premiere für diese Reihe.
Markus Müller