Eckhard Bernstein: Johannes Crotus Rubianus. Satiriker - Humanist - Theologe. Eine biografische Annäherung (= Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation; Bd. 14), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022, 343 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-52463-0, EUR 60,00
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Johannes Crotus Rubianus dürfte heute außerhalb der Humanismusforschung allenfalls als einer der Verfasser der "Dunkelmännerbriefe" bekannt sein. Die negativen Urteile protestantischer Gegner haben das Bild des Humanisten lange Zeit geprägt. Sie hatten ihm nicht verziehen, dass er sich zwar kurzzeitig für Martin Luther begeistert hatte, sich aber dann entschieden von ihm abwandte. Vielleicht ist diese Negativsicht die Ursache dafür, dass Bernsteins Arbeit die erste Biografie des Gelehrten ist. Sie ist chronologisch aufgebaut: Jedes der vierzehn Kapitel widmet sich einer Lebensphase des Protagonisten.
Anhand der verfügbaren Quellen lassen sich die verschiedenen Stationen des Crotus Rubianus unterschiedlich gut rekonstruieren. Über die Kindheit weiß man fast nichts, recht wenig über das Studium in Erfurt - gesichert ist, dass Crotus Freundschaft mit Ulrich von Hutten, Eobanus Hessus und Luther schloss. Prägend war der Einfluss des Humanistenkreises um den Gothaer Kanoniker Conradus Mutianus Rufus, dem Bernstein 2014 eine Monographie gewidmet hat. Zwangsläufig weist das neue Buch Überschneidungen mit dieser auf. Laut Bernstein fiel Crotus im Gelehrtenkreis durch sein satirisches Talent und sein ausgleichendes Temperament auf. Letzteres habe ihn allerdings verlassen im scharfen Spott, den er ebenso wie andere Mitglieder des Mutianuskreises über Eobanus Hessus ausschüttete, als dieser sich 1515 mit Katharina Spater verheiratete. Bernstein mutmaßt, die Humanisten hätten befürchtet, mit der Eheschließung ginge die Freiheit des Gelehrtenlebens verloren. Hier sollte man weiter gehen: Tatsächlich war Misogynie ein konstitutives Element vieler humanistischer Lebensentwürfe und wurde gerade in Gelehrtengemeinschaften ausgelebt.
1510 ging Crotus nach Fulda, um dort Leiter der Klosterschule zu werden, drei Jahre später wurde er Priester. Von hier aus verfolgte er den sich zuspitzenden Konflikt um das Gutachten, in dem Johannes Reuchlin dafür eingetreten war, jüdische Bücher nicht zu verbrennen, wie es die Kölner Dominikaner und der Konvertit Johannes Pfefferkorn wünschten. Seit 1513 beteiligten sich die Humanisten um Mutianus an dem Streit. Die Eigentümlichkeiten dieses Engagements werden von Bernstein nicht hinreichend herausgearbeitet: Auffallend ist, dass sich die Mitglieder des Mutianuskreises nicht für jüdische Bücher interessierten, vielmehr selbst judenfeindliche Vorurteile hegten; der Einsatz für Reuchlin wurde funktionalisiert für einen mit Polemik und Satire geführten Kampf des Humanismus gegen die Scholastik, wobei ein Antagonismus konstruiert wurde, der durch die Wirklichkeit an den Universitäten kaum gedeckt war. Denn vielfach koexistierten humanistische Ideen und scholastische Traditionen relativ unproblematisch. Crotus und seine Mitstreiter wollten das nicht akzeptieren, sondern suchten Mittel, dem Humanismus die Hegemonie im gelehrten Feld zu sichern. Der Reuchlinkonflikt bot ihnen eine willkommene Gelegenheit.
In diesen Kontext gehören auch die "Dunkelmännerbriefe", deren erster Teil 1515 erschien. Inzwischen darf als gesichert gelten, dass Crotus Initiator und Hauptautor dieses Werkes war. Beteiligt war Ulrich von Hutten, der 1517 einen zweiten Teil folgen ließ. Anders als Bernstein meint, handelt es sich hierbei nicht um eine Satire, die vorrangig auf die universitäre Scholastik zielt. Karikiert werden nämlich Gelehrte, die keine verstockten Scholastiker sind, sondern sich selbst an Gedichten versuchen, eifrig Briefe schreiben und eine eigene Gelehrtengemeinschaft formen. An deren Spitze steht mit Ortwin Gratius eine reale Person - bezeichnenderweise ein Kölner Gelehrter, dessen humanistische Interessen die Forschung inzwischen nachgewiesen hat. Zwei weitere, häufig ebenfalls Crotus zugeschriebene Satiren, die 1514 bzw. 1518 anonym erschienen, sind in ihrer antischolastischen Stoßrichtung eindeutiger als zumindest der erste Teil der "Dunkelmännerbriefe".
1517 begab sich Crotus nach Italien, um in Bologna Theologie zu studieren. Dort erregten ihn der durch Pietro Pomponazzis Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele ausgelöste Skandal und mehr noch die von Luthers Ablassthesen in Deutschland verursachten Kontroversen. Crotus reagiert in bewährter Weise: Er verfasste eine Satire und unterstützende Briefe und griff dabei auf feststehende Deutungsmuster zurück, was Bernsteins Interpretation, Crotus sei 1520 als Lutheraner nach Deutschland zurückgekehrt, zu einfach erscheinen lässt. In Erfurt wurde er für das Wintersemester zum Rektor gewählt, als solcher bereitete er am 3. Januar 1521 Luther auf dessen Weg zum Reichstag nach Worms einen ehrenden Empfang. Mit dem berühmten Rektoratsblatt, das in 16 Wappen eine humanistische Gelehrtengemeinschaft um Erasmus, Reuchlin, Luther und Mutian entwarf, dokumentierte er Bernstein zufolge, welch große Rolle Freundschaft für ihn spielte, wobei der Freundeskreis für Crotus als Kampfgruppe agieren sollte.
Wieder in Fulda, kühlte Crotus' Begeisterung für die Wittenberger Reformation ab, da ihm das Agieren mancher Lutheranhänger zu radikal war. Zwischen 1524 und 1530 stand Crotus im Dienst des Hochmeisters des Deutschen Ordens. In dieser Zeit rückte er immer stärker von den Lutheranern ab. 1530 verließ er Königsberg, im folgenden Jahr trat er in den Dienst des Mainzer und Magdeburger Erzbischofs Albrecht von Brandenburg und wurde Kanoniker im Neuen Stift in Halle. Anders als sein Biograph hat Crotus diese Entscheidung nicht als Rückkehr zur katholischen Kirche verstanden, sondern als Abrücken von Luther, der diese Kirche verlassen hatte. Im September 1531 veröffentlichte er eine Verteidigung seines neuen Dienstherrn gegen umlaufende Vorwürfe der Lutheraner. Für die reformatorischen Kontroversen um die richtige Form des Abendmahls hatte er nur Spott übrig - diese Streitigkeiten hielt der promovierte Theologe für Theologengezänk, das er schon in seinen früheren Satiren karikiert hatte.
Der verärgerte Luther beauftragte Justus Menius mit einer Gegenschrift. Dieser wollte Crotus als Heuchler entlarven. Beleg für dessen Unzuverlässigkeit waren ihm ausgerechnet die "Dunkelmännerbriefe", denn sie seien Teil eines jahrzehntelangen Kampfes gegen die Papisten, den Crotus nun verraten habe. Wohl auf Geheiß des Erzbischofs verzichtete Crotus auf eine Replik. Gleichwohl geriet er in eine Kontroverse, die Georg Witzels 1532 erschienene und Crotus gewidmete "Defensio bonorum operum" ausgelöst hatte. Die polemischen Erwiderungen aus dem lutherischen Lager trafen nicht nur den Autor, sondern auch den Widmungsträger. Bis zu seinem Tod hielt Crotus sich aus weiteren polemischen Kämpfen heraus.
Bernstein ist eine kenntnisreiche und gut geschriebene, wenn auch konventionell gearbeitete Biografie gelungen. Getragen ist sie von merklicher Sympathie für den Protagonisten. Indem Crotus im Netzwerk seiner Freunde vorgestellt wird, entsteht ein lebhaftes (Gruppen-)Porträt des deutschen Humanismus. Bernstein tendiert dazu, den von Luther ausgelösten reformatorischen Bewegungen in den ersten Jahren nach 1517 klarere Konturen zu verleihen, als sie sie für viele Zeitgenossen hatten. Das Verhalten des Crotus wäre ein guter Ausgangspunkt für eine Revision solcher Deutungen, die allzu selbstgewiss mit werthaltig aufgeladenen Kategorien wie 'Humanismus', 'Scholastik' und eben 'Reformation' operieren.
Dass es sich bei der Wittenberger Reformation um etwas anderes handelte als eine weitere reformerische Gruppierung, die Bildung und religiöses Leben erneuern, das Deutungsmonopol der traditionellen Universitätstheologie brechen und nationales Selbstbewusstsein gegenüber der römischen Kirche demonstrieren wollte, war bis in die frühen 1520er Jahre nicht klar. Sogar dem Theologen Crotus entgingen zudem theologische Implikationen der Thesen Luthers. Bedauerlich ist, dass Bernstein die Forschungen der letzten Jahre vollständig ignoriert hat. Sein Buch bewegt sich auf dem Stand der Mutianbiografie von 2014. Das hat dazu geführt, dass etwa die vom Rezensenten vorgelegten Arbeiten zum Reuchlinkonflikt unberücksichtigt blieben. Andere Autorinnen und Autoren trifft dasselbe Schicksal. Hier wäre es Aufgabe des Verlags und der Reihenherausgeber gewesen, auf Nachbesserungen zu drängen. Lesenswert bleibt Bernsteins Arbeit aber allemal.
Jan-Hendryk de Boer