Rezension über:

József Laszlovszky / Balázs Nagy / Péter Szabó et al. (eds.): The Economy of Medieval Hungary (= East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450-1450; Vol. 49), Leiden / Boston: Brill 2018, XXV + 640 S., ISBN 978-90-04-31015-5, EUR 199,00
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Rezension von:
Alexandra Kaar
Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Alexandra Kaar: Rezension von: József Laszlovszky / Balázs Nagy / Péter Szabó et al. (eds.): The Economy of Medieval Hungary, Leiden / Boston: Brill 2018, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 4 [15.04.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/04/35754.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

József Laszlovszky / Balázs Nagy / Péter Szabó et al. (eds.): The Economy of Medieval Hungary

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Der anzuzeigende Band - basierend auf der 2008 von einer Forscher*innengruppe rund um den führenden ungarischen Mediävisten András Kubinyi († 2007) publizierten Kollektivmonografie Gazdaság és gazdálkodás a középkori Magyarországon (Wirtschaft und Landwirtschaft im mittelalterlichen Ungarn), jedoch aktualisiert und maßgeblich erweitert - stellt die erste umfassende Gesamtdarstellung der Wirtschaftsgeschichte des mittelalterlichen Königreichs Ungarn (das heißt einschließlich der heutigen Slowakei, des Burgenlandes, Siebenbürgens, Slawoniens und Kroatiens, jedoch ohne Dalmatien) in englischer Sprache dar. Das Werk ist ein hochwillkommener Überblick für Studierende und Forscher*innen, die des Ungarischen nicht mächtig sind.

Sein Verdienst geht jedoch weit darüber hinaus. Die Herausgeber haben 30 Spezialist*innen unterschiedlicher Fachrichtungen versammelt (neben der mittelalterlichen Geschichte sind Archäologie, Archäozoologie, Demografie, Hydrologie und Numismatik sowie verschiedene historische Teildisziplinen wie die Umwelt- und Klimageschichte vertreten). Das Ergebnis dieser interdisziplinären Zusammenarbeit überzeugt durchweg. Dies gilt besonders auch angesichts der Herausforderungen, vor die sich die Autor*innen gestellt sahen. Wie in jedem anderen Bereich der mittelalterlichen ungarischen Geschichte macht sich auch in der Wirtschaftsgeschichte die bekanntermaßen lückenhafte und ungleichmäßige Quellen-überlieferung bemerkbar. Prägnant bringt dies etwa Árpád Nógrády auf den Punkt, wenn er in seinem Beitrag zu "Grundherrlichen Abgaben und Prinzipien der Besteuerung" zunächst darlegt, dass zur Berechnung der Abgabenlast eines mittelalterlichen Dorfes drei Kennzahlen notwendig sind (die landwirtschaftliche Gesamtproduktion, die Anzahl der Abgabepflichtigen und die Gesamthöhe der grundherrlichen Abgaben), um dann festzuhalten, dass für kein einziges Dorf des Königreichs alle drei Kennzahlen verfügbar seien (274).

Umso notwendiger sind interdisziplinäre Ansätze, wie der vorliegende Band sie anschaulich umsetzt. Auf eine sehr nützliche methodologisch-historiografiegeschichtliche Einleitung der Herausgeber folgen 25 Kapitel, die in fünf Abschnitten ("Strukturen", "Mensch-Natur-Interaktionen in der Produktion", "Geld, Einkünfte und Bewirtschaftung", "Produktionssphären", "Handel") systematisch unterschiedliche Aspekte des mittelalterlichen ungarischen Wirtschaftslebens beleuchten. Ausführliche Würdigung erfahren zunächst die klimatischen und naturräumlichen Voraussetzungen und deren Veränderungen im Unter-suchungszeitraum, wobei besonderes Augenmerk auf das Flusssystem von Donau und Theiß gelegt wird, das große Teile Ungarns prägt. Anschließend werden die unterschiedlichen Produktionszweige behandelt (Bergbau, Land-, Vieh-, Wald- und Wasserwirtschaft), bevor der Blick sich den daraus generierten Einkünften zuwendet. Der vierte Abschnitt behandelt die miteinander verflochtenen Wirtschaftssphären von kirchlichen und adeligen beziehungsweise königlichen Gütern, Städten und Marktorten sowie das Handwerk. Der letzte Abschnitt analysiert schließlich den Binnen- und Außenhandel, dessen Akteure sowie die gehandelten Waren. Der Fülle der behandelten Themen kann hier nicht annähernd Rechnung getragen werden. Daher seien lediglich drei Beiträge gesondert erwähnt, die nach der subjektiven Meinung der Rezensentin besonders interessant und/oder erhellend für den internationalen Vergleich sind: Péter Szabós systematische Ausführungen zu verschiedenen Typen mittelalterlicher ungarischer Wälder, István Felds Überlegungen zu den Aussagemöglichkeiten museal bzw. archäologisch überlieferter Importobjekte sowie die von László Bartosiewicz unter anderem erstellte Analyse des Konsums tierischer Produkte inklusive einer Erörterung der Rolle des Hausenfangs in der Donau.

Alle Kapitel sind übersichtlich, gut lesbar und mit weiterführenden Anmerkungen in Form kompakter Fußnoten versehen. Der sprachlich gelungene, sorgfältig redigierte Band ist darüber hinaus reich mit Karten, Grafiken, Tabellen und Abbildungen (erfreulicherweise teilweise auch in Farbe) ausgestattet. Er ist inhaltlich kohärent und ansprechend gestaltet; explizit hervorgehoben sei hier die Titelabbildung, ein Ausschnitt eines Tafelbildes aus der slowakischen Bergstadt Rosenau (Rožňava), auf dem Bergleute des frühen 16. Jahrhundert ihrer Tätigkeit nachgehen. Zusätzlich zur stringenten Gliederung und den Querverweisen zwischen den einzelnen Kapiteln ist der Band über ein Orts- und Personenregister erschlossen; lediglich ein Sachregister sucht man vergebens. Die über 100 Seiten starke Gesamtbibliografie, die englische Übersetzungen der zitierten ungarischen Titel enthält, bildet schließlich ein nützliches Nachschlagewerk und Arbeitsinstrument für weiterführende Forschungen.

Abschließend sei nochmals ausdrücklich die editorische Leistung der Herausgeber sowie die Syntheseleistung der einzelnen Autor*innen gewürdigt. Zwangsläufig muss ein Handbuch generalisieren und vereinfachen; manche Aspekte müssen unberücksichtigt bleiben. Die Verfasser begegnen dieser Problematik mit durchgehend hoher methodischer Reflexion und lobenswerter Transparenz hinsichtlich der Grenzen ihrer Darstellung. Die Beteiligten haben mit dem besprochenen Band ein internationales Aushängeschild vorgelegt, das sowohl studierendenfreundlich als auch auf dem neuesten Stand der Forschung ist. Die wirtschaftsgeschichtliche Forschung anderer Länder wird die ungarischen Kolleg*innen vermutlich noch länger um diese Leistung beneiden.

Alexandra Kaar