Sara Lorenzini: Global Development. A Cold War History (= America in the World), Princeton / Oxford: Princeton University Press 2019, XIV + 275 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-0-691-18015-1, USD 29,95
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Sara Lorenzinis Global Development bündelt die Geschichte von Entwicklungsdenken und Entwicklungspolitik im 20. Jahrhundert auf 180 Textseiten. Lorenzini strukturiert das Buch einerseits chronologisch: von den Ursprüngen im Kolonialismus bis zu einer Skizze der Gegenwart. Ihr Hauptaugenmerk liegt aber auf den 1940er bis 1970er Jahren. Andererseits gliedern Akteursgruppen das Buch. Den bekannten Deutungen über die USA stellt Lorenzini das chinesische Engagement in Afrika sowie - auf eigener Archivarbeit fußend und über viele Studien zur internationalen Entwicklungspolitik hinausgehend - Konzepte und Projekte der Europäischen Gemeinschaften und des Rats für gegenseitige Wirtschafshilfe an die Seite. Anhand internationaler Organisationen zeichnet Lorenzini gescheiterte und ihrer Meinung nach unrealistische Bestrebungen nach einem einheitlichen Entwicklungskonzept und globalen Lösungen nach. Als einzig thematisch angelegtes Kapitel wird der Bedeutungszuwachs der Umweltpolitik hervorgehoben, den Lorenzini mit Umbrüchen im Entwicklungsdenken verwebt. Wie in den Passagen zur Entwicklungspolitik Chinas in Afrika schimmert hier die Gegenwart als Fluchtpunkt durch. Lorenzinis Wechsel zwischen den Perspektiven verschiedener Akteursgruppen eröffnet mehr Einsichten als die angekündigte "political, intellectual and economic history of the twentieth century through the lens of development" (3) vermuten lässt. Lorenzini illustriert dadurch die Vielfältigkeit und die Omnipräsenz von Entwicklungsdenken und -handeln im 20. Jahrhundert. Allerdings konzentriert Lorenzini ihre Arbeit auf das Agieren von Staaten, deren Beziehungen und - weniger prominent - internationale Organisationen. Entwicklung bedeutet für sie in erster Linie öffentliche Hilfe. Nicht-staatliche Akteurinnen und Akteure treten nur selten auf, abgesehen von der epistemic community aus vor allem Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die das Feld Entwicklung mitprägten. Länder und Interessengruppen des globalen Südens, die Lorenzini als Herausforderung für den globalen Norden - die Sowjetunion mitinbegriffen - darstellt, sowie die Umsetzung von Projekten vor Ort und deren langfristige Folgen erhalten hingegen überraschend wenig Raum.
Lorenzinis Erkenntnisse münden in drei übergreifende Thesen: Sie argumentiert, erstens, dass es sich bei Entwicklung um nationale Projekte der sogenannten Geber- und Empfängerländer in einem zunehmend globalen Rahmen handelt. Diesen Gedanken entfaltet sie unter anderem am verhältnismäßig selbstständigen Agieren der DDR, an der Umdeutung kolonialer Großprojekte durch postkoloniale Staaten wie Tansania oder am Prestigecharakter der Entwicklungspolitik für China. Nationaler Prestigegewinn habe auch bei der Einladung internationaler Entwicklungsexpertinnen und -experten durch Länder des globalen Südens eine Rolle gespielt. Ihre These, Entwicklungspolitik werde im Wechselspiel von nationalen Motivationen und globaler Einbettung gestaltet, ist für Regierungen plausibel. Darüber, ob die nationale Rahmung auch für das "joint imperial management" (56) der europäischen Imperien, die kolonialen Traditionslinien in der frühen Entwicklungspolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und deren regionale Visionen bei der Suche nach einem postimperialen Image die beste Formel darstellt, lässt sich hingegen diskutieren.
Lorenzini zielt, zweitens, auf die Überwindung eines "hegemony narrative" (7), das die Geschichte der Entwicklung aus der Perspektive US-amerikanischer Akteurinnen und Akteure erzählt und bewertet. Entwicklung sei kein einheitliches oder gleichbleibendes Konzept, sondern werde von vielfältigen Spannungen und Motivschichten geformt und fortlaufend verändert. Selbst innerhalb vermeintlicher Blöcke konkurrierten Ideen, wie sie an Diskussionen innerhalb des Entwicklungshilfeausschusses der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe oder der EWG zeigt. Das Anliegen und die Umsetzung sind zu begrüßen. So viele Perspektiven, noch dazu so konzise dargeboten, findet man selten in einem einzigen Text zur Entwicklungspolitik. Zudem überzeugt Lorenzinis Argument, dass die Geschichte des Entwicklungsdenkens von Konjunkturen des Vergessens und des vermeintlichen Neuentdeckens geprägt sei. So setzte man bereits in kolonialen Zusammenhängen etwa auf Mikrokredite und empowerment von Frauen. Beides wurde später durch andere Ansätze ersetzt, gelte heute aber wieder als zeitgemäß.
Nach der Lektüre von Global Development erscheint die US-amerikanisch geprägte Modernisierungstheorie keineswegs als zwangsläufige Siegerin im Ringen um die zeitweilige entwicklungspolitische Deutungshoheit. Durch drei Hintertüren schleicht sich bisweilen dennoch implizit ein Hegemonienarrativ ein: Die Periodisierung, laut der in den 1950er und 1960er Jahren der Kalte Krieg dominiert habe und ab den 1970er Jahren auf die Herausforderung des globalen Südens reagiert werden musste, bildet die Perspektive weniger Industriestaaten ab. Die Akteurswahl verstärkt diese Tendenz: Stimmen aus sogenannten Empfängerländern kommen zwar vor, bleiben aber eher randständig. Zuletzt rückt die US-Perspektive sprachlich wieder zur Norm auf, da andere Ansätze als "alternatives" (etwa 50, 107) markiert werden. Lorenzini untergräbt damit ihre wichtige Intervention ein Stück weit selbst.
Ihre dritte These betrifft das Verhältnis von Entwicklung und Ost-West-Konflikt. Der Kalte Krieg habe Strukturen, Institutionen und Logiken der Entwicklungspolitik geprägt und wirke durch diese bis heute weiter. Außerdem habe er die Globalität des Entwicklungsdenkens maßgeblich befördert. Den Ost-West-Konflikt liest Lorenzini nicht als Supermächtekonfrontation, sondern als Strukturbedingung, die subtil Einfluss ausgeübt habe. Mit Blick auf Lorenzinis Argument über die Bedeutung nationaler Projekte, die beschriebene Eigenständigkeit von Akteurinnen und Akteuren und den Hinweis auf koloniale Ursprünge wäre dennoch zu fragen, ob die im Titel angekündigte "Cold War history" am besten geeignet ist, um über Entwicklung nachzudenken, und ob diese Bezeichnung die Thesen des Buchs angemessen abbildet. Lorenzini zeichnet ein wesentlich komplexeres Bild, das noch deutlicher geworden wäre, wenn sie noch mehr Augenmerk auf Akteursgruppen aus dem globalen Süden, nicht-staatliche Organisationen oder vermeintlich zweitrangige, aber sehr aktive Industriestaaten wie Kanada oder die Niederlande gelegt hätte. Sinnvoller erscheint Lorenzinis nicht konsequent operationalisierter Ansatz, Entwicklung als Linse für Facetten der internationalen Politik im 20. Jahrhundert zu begreifen.
Insgesamt hat Sara Lorenzini einen ausgezeichneten Überblick vorgelegt, der die Multipolarität und Transformationen von Entwicklungstrends hervorhebt und dazu anregt, über die Produktion globalen Denkens und über Entwicklung als Strukturprinzip internationaler Politik nachzudenken. Allerdings bindet Lorenzini Entwicklungsdenken und -politik zu stark an den Ost-West-Konflikt zurück, wodurch sie die Komplexität ihrer Befunde bisweilen selbst etwas einschränkt.
Christopher Seiberlich