Iris Schaefer (Hg.): Entdeckt! Maltechniken von Martini bis Monet. Katalog zur Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum 2021/2022, Köln: Wienand 2021, 256 S., ISBN 978-3-86832-660-4, EUR 30,00
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"Aut prodesse, aut delectare" - nutzen oder vergnügen solle sie, forderte Horaz von der Kunst. Bis heute hat sich daran kaum etwas verändert. Dies gilt sowohl für das Kunstwerk, als auch für seine Exposition. Nun hat es das Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud in Köln unternommen, eine Schau zu organisieren, die den Nutzbarkeitsansprüchen überaus entgegenkommt und eine bisher vernachlässigte Hinsicht auf die Malerei eröffnet. Die Rede ist von den technischen Aspekten der Gemälde, die in der Ausstellung "Entdeckt! Maltechniken von Martini bis Monet" behandelt werden. Der Katalog bietet eine willkommene Gelegenheit, Studien- und Kenntnisdefizite aufzuarbeiten.
Dass dieses Thema in der kunsthistorischen Literatur wenig und im Ausstellungsbetrieb kaum Resonanz gefunden hat, liegt wohl daran, dass sich mit der Problemstellung 'Technik in der Malerei' keine Quote erzielen lässt und der Stoff eine relativ 'trockene' Angelegenheit ist. [1]
Die Einführung skizziert den Arbeitsprozess zur Herstellung eines Gemäldes, mit den Bereichen Planung, Bildträger, Grundierung, Unterzeichnung, Malfarben, Maltechnik, Firniss. Sie weist voraus auf die Geschichte der künstlerischen Ausbildung, die unterschiedlichen Maltechniken und ihre kunsttechnologische Erschließung. Expressis verbis soll die Kölner Sammlung unter dem "Blickwinkel der Maltechnik" (11) neu entdeckt werden, so die Verfasserinnen. Der Inhalt ist in sechs Kapitel aufgeteilt und im Anhang mit einem Glossar und Künstlerindex versehen. Die einzelnen Beiträge der Autorinnen Iris Schaefer, Anna Bungenberg und Caroline von Saint-George sind in Untertitel gegliedert, mit Zitaten berühmter Künstler geschmückt und mit reichem Bildmaterial illustriert.
Das Kapitel "Ausbildung und Praxis der Maler" gibt einen kurzen Einblick in die Malerwerkstatt, die Zunftorganisation und die Ausbildung vom Lehrling zum Gesellen und Meister. Darauf folgt ein Ausblick auf die Arbeit und den Unterricht an den Kunstschulen und Kunstakademien. Beides ist mehr oder weniger ein Routinebeitrag mit altbekanntem Bildmaterial. Als Kuriosität stellt man hier die Porträts der Catharina van Hemessen (1548) und ihrer Schwester vor - Hinweise auf die in den Malerfamilien tätigen Künstlerinnen. Mit Atelier- und Naturmalerei sowie der Beschreibung der Malerutensilien endet der Rundschlag zu den historischen Voraussetzungen der Maltechniken.
Die folgenden Kapitel werden primär mit Werken des Museums illustriert. Das Kapitel "Bildträger" analysiert die verschiedenen Malgründe entsprechend der Entwicklung der Malerei in Europa. Ihm kommt beachtliche Bedeutung hinsichtlich der Maltechnik und der Bildwirkung zu. Beginnend mit der Holztafel, die für subtile Feinmalerei steht, über die Leinwand, als meistverwandter und elastischer Malgrund bis hin zu Steinplatten und Kupfer- bzw. Zinkbleche, die besondere maltechnische Effekte erlauben; und schließlich die leichten Malgründe, wie Papier, Karton und Pappe, welche insbesondere für Ölskizzen, Gouache- und Pastellarbeiten genutzt wurden. Im Detail wird anhand herausragender Gemälde aus der Sammlung, wie dem Kreuz-Altar (1490/95) des sog. Meister des Bartholomäus-Altars, dem Gemälde Juno und Argus (ca. 1610) von Peter Paul Rubens, der Steinigung des hl. Stephanus (ca. 1600/02) von Adam Elsheimer und der Pastellstudie Tänzerinnen (ca. 1905) von Edgar Degas vorgeführt, wie die verschiedenen Malgründe aufgebaut sind und in welcher Weise sie die Malerei beeinflussen.
Mit der "Grundierung" gehen die Autorinnen in media res. Durch die Grundierung wird der Bildträger für die Malerei vorbereitet. Sie besteht aus Bindemittel und Füllstoffen, egalisiert den Malgrund und bildet die Basis für den Farbauftrag. Je nach Grundton beeinflusst sie die Farbwirkung des Gemäldes. An Simone Martinis Maria mit Kind (1315-35) exemplifiziert der Katalog detailliert die Technik der "Punzierung" des Goldgrundes (72f.). Anhand des Wunderbaren Fischzugs (ca. 1610) von Rubens wird ausführlich die Funktion der "Imprimitur" erklärt, eine tonige, leicht transparente Farbschicht zur Isolierung des Malgrundes und Konservierung der Unterzeichnung. Die im 17. Jahrhundert gängige flexible "Ölgrundierung" ermöglicht das Zusammenrollen der Leinwand, die "Doppelgrundierungen" den Einsatz einer zweiten, meist hellen oder wie im Falle der Brüder Le Nain (ca. 1647/48, London, The National Gallery) eines grauen Malgrundes (82f.). Auch die kommerzielle Vorgrundierung im 19. Jahrhundert, derer sich die Impressionisten bedienten, wird nicht ausgelassen. Mit der bunten Palette der Freiluftmalerei werden die hellen Malgründe aktuell, die bei Manet, Sisley und Morisot (92-95) in die Farbkomposition eingebunden werden.
Ist der Malgrund aufgetragen und glattgeschliffen, wird die "Unterzeichnung", das heißt der Kompositionsentwurf eingezeichnet. Die mittels Infrarotreflektografie erschlossene Unterzeichnung des Weltgerichts (ca. 1435) von Stephan Lochner macht deutlich, dass der Künstler bis ins kleinste Detail hinein sein Gemälde vorgeplant hatte. Im Altar der Stadtpatrone (1446/49) dagegen konnte man motivische Veränderungen feststellen. Bei Maarten van Heemskercks Beweinung Christi (ca. 1530) fanden die Restauratorinnen mehrere Unterzeichnungsvarianten, dabei die Umzeichnung einer Grablege in die vorhandene Beweinungsszene (107f.). Als Bild im Bilde veranschaulicht das Interieur des Ateliers einer Malerin (1789, New York, Metropolitan Museum of Art) von Marie Victoire Lemoine, was eine Unterzeichnung ist (112f.).
Die Autorinnen zeichnen nach, welche Möglichkeiten die Kunstpraxis dafür bereitstellte, den Entwurf auf den Malgrund zu übertragen (119-127). Als einfachste Methode gilt das Durchpausen der Vorlage auf die Grundierung. Am großformatigen Gemälde Bathseba im Bade (ca. 1547/48) von Paris Bordone wird exemplifiziert, wie über die "Lochpause" der Übertrag zustande kommt. Parallel dazu hatte sich im 16. Jahrhundert die Methode des "Durchgriffelns" der Komposition durchgesetzt. Das bis heute angewandte klassische Verfahren der "Quadrierung", bei der Vorlage und Bildträger mit einem regelmäßigen Rasternetz überzogen werden, erlaubt es den Entwurf dimensional zu variieren. Zur Verdeutlichung zeigt der Katalog den Kupferstich einer Atelierszene aus Diderots D'Alemberts Encyclopédie (1771), wo ein quadriertes Bild aufs Kleinformat übertragen wird (125).
Das folgende Kapitel "Malschicht" behandelt die unterschiedlichen Maltechniken und ihre Handhabung. Bereits im 13. Jahrhundert, so die Autorinnen, wurde neben den wässrigen Bindemitteln bereits Leinöl zur Herstellung verstreichbarer Farbe eingesetzt (130ff.). Die mittels Stricheltechnik aufgetragene "Eitempera" wurde abgelöst von der "Ölmalerei", die den Pigment-Farbton bewahrt und eine Vielfalt technischer Möglichkeiten bietet. Im Katalog konkretisieren Bernardo Strozzis Verleugnung Petri (1633/35) und Frans Hals' Malle Babbe (1633/35, Berlin, Staatl. Gemäldegalerie) die Pinselarbeit. Godefridus Schalckens Mädchen vor dem Spiegel (1680/85) zeigt die Virtuosität eines Feinmalers und Paul Delaroches betörende Herodias mit dem Haupt des Täufers (1843) punktet mit akademischer Glattmalerei. Zum Lob der "Alla prima-Malerei" haben die Ausstellerinnen das fabelhafte Spargelbündel (1880) von Édouard Manet aus dem Depot geholt und auch Claude Monets Fischerboote am Strand von Étretat (1884) nicht vergessen (130-150). Mit der "Herstellung und Aufbewahrung der Malfarben" und neueren Malverfahren, die auf Tempera, Leim und Öl basieren, wird der Übergang zu den Malutensilien bewältigt, was im Katalog beispielhaft visualisiert wird (168-179).
Den sog. "Pentimenti" ist ein eigenes Kapitel gewidmet (188-207). Bei Zeichnungen werden die vielfachen Strichzüge als Pentimenti bezeichnet. In der Malerei handelt es sich bei den Pentimenti um die kompositionellen und malerischen Änderungen im Bild, die Unterzeichnungen und Untermalungen, die an der Bildoberfläche verborgen bleiben. Als prominentestes Opfer dieser Korrekturen wird im Katalog Rembrandts spätes Selbstbildnis (1662/63) behandelt. Mikroskop-Aufnahmen, Röntgen-Aufnahmen und Röntgenfluoreszenz-Analysen deckten eine Vielzahl von Veränderungen auf. Fragen über Fragen! Im Fall der Waldlandschaft mit Staffage von Dirk Dalen d.Ä. konnte mit Technik ein verschwundenes Urteil des Paris als Untermalung festgestellt werden. Im letzten Kapitel geht es um den "Firnis", die abschließende Schicht, zur Farbsättigung und Konservierung der Maloberfläche (210-227). Herstellung, historische Entwicklung und Anwendung der Firnisse werden thematisiert, sowie ihre Auswirkung auf die Malerei mit Künstlerwertungen und Bildvergleichen unterlegt.
Der vorliegende Katalog, eine perfekte Ergänzung zu dem immer noch unentbehrlichen "Dörner"[2], bewältigt die Aufarbeitung des Stoffes mit Bravour. Er bietet vielfältige Anregungen zur Betrachtung der Bilder. Überaus bemerkenswert ist die exemplarische Dokumentation durch Detailaufnahmen. Schön ist auch das Einfließen der Künstlerzitate und -bekenntnisse. Kritisches, wie den sensationsheischenden Titel - für das Titelbild hätte man sich die plakativen Gebrüder Le Nain gewünscht -, den Hypothesensalat zur Unterzeichnung oder das misslungene Layout der Zwischentitel, will ich mir ersparen. Zu wertvoll ist der Gewinn, der sich durch die Lektüre erschließt. Letztlich muss man sich fragen, was uns Kunstwerke nützen, die zu keiner Einsicht führen. Die ausgewogene Mischung macht's. Diese scheint den Autorinnen und Kuratorinnen gelungen zu sein, nämlich das Thema so aufzubereiten, dass beides bedient wird, die Lust und die Erkenntnis.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt Marije Vellekoop: Van Gogh at work, Ausstellungskatalog Van Gogh Museum, Amsterdam, München 2013; Katja von Baum: Köln im Mittelalter - Geheimnisse der Maler, Ausstellungskatalog Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln / Berlin / München 2013. In zahlreichen Aufsätzen in Fachzeitschriften haben die Autorinnen Restaurierungsfragen und maltechnische Komplexe aufgearbeitet; vgl. Literaturverzeichnis des Katalogs.
[2] Max Doerner: Malmaterial und seine Verwendung im Bilde, Stuttgart 1965.
Dietmar Spengler