Hannah M. Kreß: Reformation und kalkulierte Medialität. Olaus Petri als Publizist der Reformation im schwedischen Reich (= Beiträge zur historischen Theologie; 200), Tübingen: Mohr Siebeck 2021, XVII + 475 S., 24 s/w-Abb., ISBN 978-3-16-160664-9, EUR 129,00
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Markus A. Denzel / Christina Dalhede (eds.): Preindustrial Commercial History. Flows and Contacts between Cities in Scandinavia and North Western Europe, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014
Martin Meier: Vorpommern nördlich der Peene unter dänischer Verwaltung 1715-1721. Aufbau einer Verwaltung und Herrschaftssicherung in einem eroberten Gebiet, München: Oldenbourg 2007
Das Narrativ von der schwedischen Fürstenreformation hat sich zählebig bis in die Gegenwart hinein gehalten - und auch die relative Distanz der schwedischen Reformation zu Martin Luther wird häufig verdeckt durch das neue Selbstverständnis, das sich die schwedische Kirche im 19. Jahrhundert als lutherische Glaubensgemeinschaft zulegte, und retrospektiv auf die Jahrhunderte davor projizierte. Beides geht an der einflussreichen Doppelstellung des schwedischen (und finnischen) Bauern als Untertan und Teil der Obrigkeit vorbei, der "Selbsteigentümer" seines Hofes war, Dorf und Kirchspiel selbstverwaltete, in Harde und Landschaft zu Gericht saß, im Reichstag vertreten war und dem reformatorischen Prozess den Stempel seines Konservatismus aufdrückte.
Die vorliegende Studie zeigt anhand des Forschungsstandes die Haltlosigkeit des Narratives von der Fürstenreformation auf (VIII, 1-6) und räumt damit zugleich die Sicht frei auf den Gegenstand ihrer Untersuchung: die Wechselwirkung und gegenseitige Beeinflussung von politischen Entscheidungen und reformatorischen Schriften sowie deren Auswirkungen auf den Verlauf der Reformation (11). Zwar ist einmal die Rede von "Bauern, die in Leibeigenschaft lebten" (31), auf die Darstellung insgesamt wirkt sich das aber nicht nennenswert aus. Entscheidend ist die Rolle der - korrekt dargestellten - Freibauern alias Selbsteigentümer und der diesen de facto gleichgestellten Erbpächter der Krone.
Die Lebensdaten Olaus Petris - 1493-1552 - geben den zeitlichen Rahmen, die Chronologie seiner Schriften den Aufbau der Studie vor. Petri stand im Dienste Gustav [I.] Erikssons [Vasa], der 1523 zum ersten neuzeitlichen König von Schweden gewählt wurde (seit 1521 Reichsverweser) und hohes Ansehen erlangte, nachdem die von ihm angeführte Erhebung von 1521 jahrzehntelange Kämpfe beendet und die im Landrecht verbrieften Rechte und Freiheiten des Gemeinen Mannes gegen die hochadligen Repräsentanten der Kalmarer Union erfolgreich verteidigt hatte. Bis 1543 kam es zu weiteren Aufständen, die sich nun aber gegen Gustav Erikssons Finanz- und Kirchenpolitik richteten. Diese Phase bezeichnete Poul G. Lindhardt als "ultrakonservative Verteidigung" des alten Glaubens. Martin Berntson sprach von der "Reformation, die das Volk nicht haben wollte". (5) [1] Für das Königtum stellte sich die Existenzfrage: Wegen der massiven Verschuldung standen Kirchenpolitik und Reformation unter dem Primat der Finanzpolitik.
Das 1. Kapitel präsentiert Fragestellung, Forschungsstand, Zielsetzung, Quellen, Terminologie und Methode, das 2. Kapitel die Situation des schwedischen Reichs zu Beginn der Reformation (23-42) und den Begriff der Medialität (42-47). In den Kapiteln 3 bis 7 werden die Schriften Olaus Petris in chronologischer Reihenfolge nach einem weitgehend einheitlichen Schema (Aufbau, Inhalt, Vorlagen, Drucke) behandelt und zu den politischen Ereignissen und Entscheidungen in Beziehung gesetzt. Das 8. Kapitel fasst die Ergebnisse zusammen. Eine Übersicht der überlieferten Drucke, ein Register der zitierten Bibelstellen, Sach-, Personen- und Ortsregister sowie Quellen- und Literaturverzeichnis verleihen dem Band insgesamt den Charakter eines Kompendiums zum Werk Olaus Petris.
"Kalkulierte Medialität" - so die hier gewählte Definition - liegt vor, wenn Druckmedien, über die Inhaltsvermittlung hinaus, Sinn- und Ereigniszusammenhänge schaffen, die es ohne sie so nicht gegeben hätte (13). Daher können sie auch gezielt zur Gestaltung von Kontexten und Deutungshorizonten eingesetzt werden (14). Die Voraussetzungen für den Einsatz dieser Mittel waren recht gut: Die Reformatoren Olaus Petri und Laurentius Andreae, ersterer Sekretär, letzterer Kanzler des Königs, kontrollierten die einzige im ganzen Reich zugelassene Druckerei.
An Quellen ausgewertet werden vor allem die Registratur Gustav Erikssons, die Gesamtausgabe der Schriften Olaus Petris und deren Erst- und Frühdrucke. Das chronologische Verfahren in den Kapiteln 3 bis 7 erschließt - ähnlich dem Postulat der quellengemäßen Sprache - die zeitgenössische Perspektive. Dabei dient das Ausblenden von Wissen und Wertungen späterer Generationen dem Erkenntnisgewinn: Anachronistische Projektionen im Nachhinein werden so vermieden. Im Idealfall können die Ereignisse als "Zeitgeschichte der Reformation" (6) betrachtet werden.
Im Ergebnis erweist sich Olaus Petri als eigenständiger Autor und Theologe, dessen Zielgruppe der Gemeine Mann war (406), also die Gruppe, der er selbst entstammte. Im Mittelpunkt seiner Theologie stand das Verhältnis von Tradition und Schrift, erst dann folgten Ablass und Rechtfertigung (159-162). Teils fußte Petri auf der einheimischen kirchlichen Überlieferung, die er von der Tradition reinigte und an die Heilige Schrift anpasste, teils bezog er Anregungen aus der fränkischen (Ansbacher und Nürnberger Ratschlag) und der Wittenberger Reformation (Luther, Dölsch). Im Übrigen entsprach weder Luthers Eintreten für den Unionskönig Christian II. noch seine Schrift gegen die Bauern dem Interesse Gustav Erikssons oder des Gemeinen Mannes.
Anders als Luther befürwortete Olaus Petri den Widerstand gegen eine ungerechte oder Gott lästernde Obrigkeit. Das Widerstandsrecht war Teil des Herkommens und genuiner Bestandteil der Identität des Gemeinen Mannes. Nicht zuletzt war Gustav Eriksson selbst mit der Unterstützung widerständiger Bauern zur Herrschaft gelangt. Nun aber kam es zur Anklage gegen beide Reformatoren wegen Hochverrats und 1540 zu ihrer Verurteilung zum Tode. Laut Anklage hatten Petri und Andreae, anstatt Gehorsam zu predigen, zu Ungehorsam und Aufruhr angestachelt. Unter anderem sah sich Gustav Eriksson wegen seiner Finanzpolitik als "Scheunenbrecher" gebrandmarkt (305).
Als daraufhin der von Luther empfohlene Georg Norman im Auftrag des Königs versuchte, ein landesherrliches Kirchenregiment aufzubauen, kam es 1542 erneut zum Aufstand. Zwar wurde dieser niedergeschlagen, aber der Versuch musste abgebrochen, die neueingerichteten Ämter abgeschafft und das Bischofssystem wiederhergestellt werden. Für Jahrzehnte blieb die Situation konfessionell offen und ohne offizielle Kirchenordnung.
Olaus Petri wird nach seiner und Andreaes Begnadigung vom König wieder als Berater verwendet, ist aber öffentlich nicht mehr wahrnehmbar (385). Seine Schriften werden anonym herausgegeben, ebenso Neuauflagen seiner früheren Drucke (362f.); diese bleiben aber Grundlage der neuen Lehre. Die Anonymität verleiht den reformatorischen Schriften ein offizielles Gepräge, das der Stilisierung des Königs selbst zum "Reformator" Vorschub leistet. So wird etwa 1541 die erste volkssprachliche Vollbibel, eine Übersetzung der Lutherbibel, ohne namentliche Nennung von Beteiligten gedruckt (362) und später als "Gustav Vasas Bibel" bezeichnet. Das erste Reformationsjubiläum wird 1621 (nicht 1617!) zum 100. Jahrestag der Erhebung unter Gustav Eriksson alias "Gustav Vasa" gegen die Kalmarer Union gefeiert (1f.).
Über das bereits Angeführte hinaus erschließt die Studie nicht nur das Gesamtwerk Olaus Petris systematisch, sondern erweitert auch qualitativ unsere Kenntnis über die schwedische Reformation. Einen wesentlichen Anteil hat daran der innovative methodische Zugriff, mit dem es gelingt, die ursprüngliche Einheit von Politik und Theologie zu rekonstruieren. Dies bedeutet eine kreative Fortentwicklung der historisch-kritischen Methode.
Anmerkung:
[1] Siehe dazu: Martin Berntson: Reformationen som folket inte ville ha? (=Die Reformation, die das Volk nicht haben wollte?), in: Kyrkohistorisk årsskrift 117 (2017), 33-43; Carl Axel Aurelius: Sverige känn dig själv, in: Kyrkohistorisk årsskrift 88 (1987), 105-119, hier 105.
Werner Buchholz