Markus A. Denzel / Christina Dalhede (eds.): Preindustrial Commercial History. Flows and Contacts between Cities in Scandinavia and North Western Europe (= Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Bd. 124), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, 368 S., ISBN 978-3-515-10824-9, EUR 58,00
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Der vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse eines Workshops, der von der Preindustrial Research Group an der Universität Göteborg in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Nationalarchiv und dem Landesarchiv Göteborg mit Teilnehmern aus Göteborg, Greifswald, Groningen, Leipzig, Malente-Gremsmühlen, Oldenburg i. O. und Stockholm vom 13. bis zum 15. September 2012 in der westschwedischen Metropole am Göta älv durchgeführt wurde. Erklärtes Ziel der Herausgeber war die Präsentation unmittelbar aus den Quellen gearbeiteter Studien zu wichtigen Fragen der vorindustriellen Handelsbeziehungen und des Warenverkehrs zwischen skandinavischen Städten und Nordwesteuropa. Neben Primärmaterial aus den beiden genannten schwedischen Archiven wurden in den insgesamt elf Einzelbeiträgen Originalquellen vor allem aus den Stadt-, Staats- bzw. Landesarchiven von Aurich, Lübeck, Schleswig und Schwerin sowie vier Privatarchiven herangezogen. In einem Fall wurden die digitalisierten Sundzollregister unter einer bestimmten Fragestellung ausgewertet.
In einem einleitenden Überblick stellt Denzel eine Periodisierung der Geschichte des Ostseehandels in vier Epochen vor und führt in grundlegende Fragestellungen und Forschungsperspektiven ein. Die nun folgenden elf Beiträge gliedern sich in drei Abschnitte: I. Nationale Einrichtungen, Merkmale und Voraussetzungen des Marktes, II. Handelsgüter und Formen des Handels, III. Gewerbegeschichte, Handelsbankiers und Forschungen zur Sozial- und Kulturgeschichte des Geschäfts- und Handelsverkehrs. Zeitlich reichen die Beiträge vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis zur Wende zum 21. Jahrhundert.
Denzels Epocheneinteilung gibt den Rahmen vor, in den sich die Einzelbeiträge einordnen: Auf die (1.) Wikingerzeit und die sich daran anschließende (2.) Hansezeit folgte, so Denzel, seit den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts (3.) die Epoche holländischer Dominanz. Ursächlich für den Aufstieg der holländischen Kaufleute und Schiffer sei der grundlegende Wandel des "langen" 16. Jahrhunderts gewesen, in dessen Folge Nordwesteuropa an die Stelle des Mittelmeer-Raumes als "ökonomisch-geografisches Zentrum Europas" getreten sei (15). Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hätten (4.) das aufsteigende Russland und dessen wichtigster Handelspartner England die Holländer abgelöst. Die fünf wichtigsten Städte des europäischen Nordwestens, Amsterdam, London, Hamburg, Kopenhagen und Göteborg, hätten die Rolle von Vermittlern zwischen dem Ostseeraum und dem Atlantik eingenommen. Da die Industrialisierung im Ostseeraum relativ spät einsetzte, sei dieses Handelssystem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - mit einer Unterbrechung durch die Kontinentalsperre - bestehen geblieben.
Die Themen der Einzelbeiträge umspannen eine große Bandbreite von (1.) der Messingherstellung und den Kupfermühlen in der Umgebung Lübecks von 1515 bis etwa 1850 auf der Grundlage schwedischen und ungarischen Kupfers (Meyer, 117-128), (2.) der Auswertung der Zollregister von Nya Lödöse (1621 in Göteborg aufgegangen) für das erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts (Veenstra, 129-164) sowie (3.) der Sundzollregister zur Entwicklung der Schiffergemeinden Papenburg und Pekela (Provinz Groningen) 1750-1800 (Veluwenkamp / Scheltjens, 165-196, mit Hinweis auf ihre frühere Veröffentlichung zu diesem Thema), über (4.) die Untersuchung der für Handel und Seefahrt grundlegenden durchschnittlichen Wintertemperaturen im Zeitraum 1651-1759 (Johansson, 61-78) bis hin zu den zentralen Funktionen Hamburgs als Finanzplatz und Drehscheibe des Zahlungsverkehrs für den gesamten nordeuropäischen Handel. Auf der Grundlage des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und der Versicherungsraten für Schiffe und Schiffsladungen werden (5.) die Beziehungen zwischen Hamburg und den schwedischen Hafenstädten Stockholm und Göteborg vom Beginn des Dreißigjährigen Krieges bis zur Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871, in dessen Folge diese Funktion Hamburgs auf Berlin überging, unter die Lupe genommen (Denzel, 199-230).
Dalhede nimmt (6.) die weiblichen Kaufleute Göteborgs im Berichtszeitraum 1638-1700 sowie 1718-1720 und 1729/1730 ins Visier. Sie wertet die Zulagezollregister der Stadt Göteborg, die Rechnungsbücher der städtischen Eisenwaage sowie die Kaufmannsbücher aus. Insgesamt 6 % der Handelshäuser Göteborgs wurden im Berichtszeitraum von Frauen geführt.
Ferner werden (7.) der Hamburger Kunsthandel und seine Beziehungen zum dänischen Hof im 18. Jahrhundert beschrieben (North, 31-42). Dieser Beitrag ist, abgesehen von einigen Textumstellungen, weitgehend identisch mit dem im Jahr 2003 im Scandinavian Journal of History erschienenen Aufsatz des Autors zum selben Thema, ohne dass dies kenntlich gemacht wird.
Das von Markus A. Denzel entwickelte Modell des bargeldlosen Zahlungsverkehrs in der Frühneuzeit wendet Andersson (8.) auf das Geschäftsgebaren Göteborger Handelshäuser im 18. Jahrhundert an. Der Schwerpunkt dieser Studie liegt auf Handel, Kredit sowie, vor allem, auf der Art und Weise des Umgangs mit unterschiedlichen kaufmännischen Risiken (231-250). Letzteres Syndrom begreift Andersson als "trust".
Ebenfalls im 18. Jahrhundert liegt der zeitliche Schwerpunkt der Studie Schmekels über (9.) die Beziehungen der ostfriesischen Hausleute zu den Städten der Region als Zentren von Handel und Konsum. Die Hausleute nahmen in Ostfriesland eine den freien Bauern Skandinaviens vergleichbare Stellung ein. Von ihren Zeitgenossen wurden sie als "Herren im Dorf" respektiert.
(10.) der Baumwollhandel Göteborgs 1815-1860 und seine Bedeutung für die schwedische Frühindustrialisierung ist das Thema der Studie Olssons (81-116). Als Bezugsrahmen für das Wachstum des Baumwollhandels und der baumwollverarbeitenden Industrie präsentiert der Autor die allgemeine Entwicklung Westschwedens als Wirtschaftsregion sui generis, die er vom Osten des Landes mit seinen Wirtschaftszentren Stockholm und Norrköping unterscheidet.
Auf (11.) die Gefahren des Kapitaltransfers von einem Wirtschaftsgebiet über Staatsgrenzen hinweg oder auch von einer Wirtschaftsregion in die andere (cross border or cross region) geht Kärrlander anhand dreier Fallbeispiele ein (Malmö Diskontbank 1817, Österreich, Kredit-Anstalt 1931, lateinamerikanische Staaten 1982ff.). Seine Kernerkenntnis lautet: Kapital von jenseits der Grenzen ist verfügbar, aber es ist volatil. Kleine Märkte sind bei Bewegungen großer Kapitalien in besonderem Maße verwundbar.
Die verwendeten Archivalien, auf deren Grundlage, gemäß dem Anspruch der Herausgeber, die Beiträge erarbeitet wurden, sind am Ende des Bandes in einem Verzeichnis unveröffentlichter Quellen aufgeführt. Ein ausführliches Orts-, Personen- und Sachregister trägt wesentlich zur wissenschaftlichen Qualität des Bandes bei.
Als beispielhaft ist die Kombination von epochenübergreifendem Rahmen, quellenbasierten Einzelstudien und substanzieller Quellenpräsentation und -nachweis hervorzuheben. Diese Kombination gibt dem Leser eine solide Orientierung und macht den Band gleichzeitig zu einem kompakten Arbeitsinstrument.
Werner Buchholz