Peter Jochen Winters: Markus Wolf. Ein biografisches Porträt, Berlin: Metropol 2021, 240 S., ISBN 978-3-86331-587-0, EUR 24,00
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Als am 4. März 1979 auf dem Titel des SPIEGEL ein Foto vom geheimnisumwitterten Chef der DDR-Auslandspionage, Markus Wolf, prangte, kam das einer kleinen Sensation gleich. Es war das erste Bild von ihm seit über 20 Jahren, das in die Öffentlichkeit gelangte. Markus Wolf leitete die DDR-Auslandspionage, die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) des Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Vorläufer von 1952 bis zum Mai 1986. Dann wurde er von seinem Stellvertreter Werner Großmann abgelöst.
Um den legendären Geheimdienstchef ranken sich seit jeher Mythen. Die "erfolgreiche" Arbeit seines Dienstes zu DDR-Zeiten nötigte Geheimdienstlern in Ost und West Bewunderung ab. Sein Bild in der gesamtdeutschen Öffentlichkeit versuchte Wolf nach 1989 auch selbst durch eine Reihe von Erinnerungsbüchern und anderen Publikationen zu prägen, was ihm in weiten Strecken auch gelungen ist. Eine wissenschaftlich fundierte Biografie über Markus Wolf stand lange aus. Daran hat sich der langjährige FAZ-Journalist Peter Jochen Winters nun versucht. Wer aber etwas Neues erwartet - so viel sei vorweg schon bemerkt - wird enttäuscht werden. Das Porträt über Markus Wolf ist die Neuverwertung eines Teils aus einem bereits 2014 erschienenen Buch, welches Peter Jochen Winters zusammen mit Nicole Glocke geschrieben hat. [1]
Das Buch von Winters basiert vor allem auf veröffentlichter Literatur und Erinnerungsbüchern von Markus Wolf und anderen Protagonisten aus dem DDR-Geheimdienstmilieu. Darüber hinaus werden einige wenige Originalquellen sowie Film- und Audiomaterial mit in die Analyse einbezogen. Dennoch geht Winters dem charismatischen Wolf nicht, wie viele vor ihm, unkritisch auf den Leim. Er versucht den Geheimdienstchef zu demaskieren, indem er immer wieder die Diskrepanz zwischen Wolfs Selbstdarstellung und seinen realen Handlungen in Politik und Nachrichtendienst aufzeigt. Einerseits porträtiert er dabei einen karrierebewussten, gebildeten und taktisch klug operierenden Kommunisten. Andererseits betont er die Schwächen Wolfs, vor allem seinen fehlenden Mut, in entscheidenden Konfliktsituationen mit der politischen Führung eine geradlinige Haltung zu bewahren: "Seine Nicht-Reaktion, sein immer wieder geübtes Stillschweigen in schwierigen Situationen, in denen Mut erforderlich gewesen wäre, war wohl eine für ihn typische Verhaltensweise" - (128) so charakterisiert Winters Wolf. Darüber hinaus wird Wolfs Anpassung an das SED-Regime, die man in Teilen auch als Anbiederung einstufen kann, mehrfach hervorgehoben: So scheute er Anfang der 1950er Jahre nicht davor zurück, freiwillig Spitzelberichte über seine im Westen lebende Tante zu schreiben, Kollegen zu diskreditieren und ehemalige Freunde aus dem Moskauer Exil ins Zwielicht zu rücken. Sowohl bei Differenzen mit seinem ungeliebten Vorgesetzten, Stasi-Chef Erich Mielke, als auch in innerparteilichen Konfliktsituationen zeigte Wolf wenig Zivilcourage und vermied es, Stellung zu beziehen: Mielke "forderte Gehorsam, und Markus Wolf, der Intellektuelle, der sich als etwas Besonderes unter den grauen Funktionären fühlte, gehorchte dem bauernschlauen 'Apparatschik'. Seine Karriere als Spionagechef, seine damit verbundene relative Machtposition und nicht zuletzt seine Illusion von der gewissen Selbstständigkeit waren ihm wertvoller als ein reines Gewissen", (138) so Winters.
Der Aufbau der biografischen Studie über Markus Wolf ist chronologisch: Sie beginnt mit der prägenden Kindheit in Stuttgart in einem kommunistischen, intellektuellen, reformpädagogischen Elternhaus. Immer wieder wird dabei auf den Einfluss der Überfigur des Vaters, des Schriftstellers und Arztes Friedrich Wolf hingewiesen. Es schließen sich die nicht minder einflussreichen Jugendjahre im Moskauer Exil an. Trotz der schwierigen Situation während der stalinistischen Säuberungen ab 1937 war die Familie Wolf im Gegensatz zu anderen Emigranten relativ privilegiert und konnte die Zeit somit einigermaßen unbeschadet überstehen. Die nächsten Kapitel widmen sich dann der Rückkehr in die SBZ, der Rolle von Markus Wolf als Berichterstatter bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen sowie seinem kurzen Einsatz als Diplomat in Polen. Wie nicht anders zu erwarten, bilden die Zeit als Chef der DDR-Auslandsspionage und Wolfs jahrzehntelange Aktivitäten auf diesem Gebiet den Schwerpunkt des Buches - hier erfährt man jedoch wenig Neues oder gar Überraschendes.
Die letzten Seiten des Buches setzen sich mit der Zeit nach dem Fall der Mauer auseinander. Dabei geht es sowohl um die juristische als auch die moralische Aufarbeitung der Geheimdienstaktivitäten des HV-A-Chefs. Wolf selbst, so Winters, habe immer wieder betont, "dass er sich im juristischen Sinn nicht schuldig fühle, aber moralische Schuld empfinde". (225) Wenngleich Winters keine wesentlich neuen Erkenntnisse zu Markus Wolf präsentiert, so ist dem renommierten Journalisten dennoch ein sehr gut und flüssig zu lesendes Porträt über den langjährigen Geheimdienstchef der DDR und seiner schillernden Familie gelungen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Nicole Glocke / Peter Jochen Winters: Im geheimen Krieg der Spionage. Hans-Georg Wieck (BND) und Markus Wolf (MfS). Zwei biografische Porträts, Halle/Saale 2014.
Daniela Münkel