Bénédicte Savoy: Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage, München: C.H.Beck 2021, 256 S., ISBN 978-3-406-76696-1, EUR 24,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Bénédicte Savoy (Hg.): Tempel der Kunst. Die Entstehung des öffentlichen Museums in Deutschland 1701-1815, Mainz: Philipp von Zabern 2006
Felwine Sarr / Bénédicte Savoy: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Berlin: Matthes & Seitz 2019
Bénédicte Savoy: Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen. Mit einem Katalog der Kunstwerke aus deutschen Sammlungen im Musée Napoléon, Wien: Böhlau 2011
Ein beeindruckend gestaltetes Cover ziert den 2021 bei C.H. Beck erschienenen Band der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy: "Afrikas Kampf um seine Kunst" ist in plastisch aufgelegten Lettern aufgedruckt - rot wie Blut! Man darf annehmen, dass dies genau so gemeint ist: die Farbe soll an das Blut erinnern, das an den afrikanischen Objekten in den westlichen Museen kleben soll. Im Zentrum des Covers ist ein Foto der Elfenbeinmaske der sogenannten Queen Idia aus Benin zu sehen, einer Ikone afrikanischer Kunst, seit 1910 im Bestand des British Museum in London. Darunter der Untertitel "Geschichte einer postkolonialen Niederlage".
Auf 200 Seiten Text behandelt Savoy die Debatte um die Restitution afrikanischer Kulturgüter ab dem Jahr 1960 bis Mitte der 1980er-Jahre mit einem Fokus auf den Entwicklungen in Afrika und Europa, speziell in Westdeutschland, sowie in internationalen Organisationen.
Das Buch resultiert aus Savoys Beschäftigung mit Quellenmaterial aus Archiven in Paris und Berlin (aufgelistet 229-231). Ausgangspunkt war ein vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei der Autorin und dem Ökonomen und Schriftsteller Felwine Sarr beauftragter Bericht: F. Sarr - B. Savoy: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Berlin 2019. Die Einleitung macht deutlich, dass es Savoy vor der Folie der Diskussion der Jahre zwischen 1965 und 1985 vor allem um die aktuelle Debatte geht. Ihre Kernthese ist, dass es ein gezieltes "kollektives Vergessen" dieser Restitutionsdebatte gegeben habe, die das Ergebnis "unterminierender Lobbyarbeit" gewesen sei. Als Schuldige sucht sie nach den "Akteure[n], die in ihren Behörden und Dienstzimmern, am Telefon und in Gremien das Thema so erfolgreich von der Bildfläche verschwinden ließen". (8f.)
Die folgenden 16 Kapitel tragen im Titel jeweils eine chronologisch ansteigende Jahreszahl und ein Schlagwort zum Inhalt. Die Autorin skizziert die historische Entwicklung der Entkolonisierung in Afrika seit Mitte der 1950er-Jahre. Sie meint, nach der Unabhängigkeit von 18 bisherigen Kolonien im Jahr 1960 hätten die ehemaligen Kolonialmächte Belgien, Frankreich und Großbritannien begonnen, durch administrative und legislative Maßnahmen die von ihnen zusammengetragenen Sammlungen afrikanischer Kultur vor Rückgabeforderungen zu schützen. Zehn Jahre später wird das Thema im Kurzfilm des ghanaischen Regisseurs Nii Kwate "You Hide Me" vorgestellt (21-26). Savoy parallelisiert den propagandistischen Film mit den gleichzeitigen administrativen Bemühungen des nigerianischen Archäologen Ekpo Eyo, einem der vier Vizepräsidenten des International Council of Museums (ICOM).
Vor dem Hintergrund der von Eyo vorangetriebenen nigerianischen Bemühungen insbesondere um den Erhalt von Dauerleihgaben ist das folgende Kapitel zu sehen, in dem die Autorin unter dem Titel "1972 Preußischer Kulturbesitz" die deutschen Museen in den Blick nimmt (27-44).
Im Kapitel zum Jahr 1976 - "German Debate" - lässt Savoy mit Herbert Ganslmayr, dem Direktor des Bremer Übersee-Museums, ihren deutschen Helden in der Geschichte auftreten. Für ihn spricht in ihren Augen zunächst seine Jugend - Ganslmayr war damals knapp vierzig Jahre alt - und seine Zugehörigkeit zur politisierten 1968er-Generation (71). Er wird inszeniert als Gegenpart zu älteren Museumsvertretern wie Friedrich Kußmaul (Stuttgart), Hans-Georg Wormit und Stephan Waetzoldt (beide Berlin). Ganslmayr setzte sich aus moralischen Gründen für eine Restitution von Kunstwerken ein, die während der Kolonialzeit an deutsche Museen gelangt waren. Das folgende Kapitel steht im Zeichen des panafrikanischen Festivals "Festac '77" in Lagos. Dort trafen sich schwarze Intellektuelle und Künstler aus afrikanischen und außerafrikanischen Ländern. Streitereien um die Queen Idia Mask im Britischen Museum radikalisierten das mediale Echo (89-96).
Den Höhepunkt der Restitutionsdebatte sieht die Autorin im Jahr 1978 erreicht, als die UNESCO unter ihrem Generaldirektor Mahtar M'Bow aus dem Senegal in einer großangelegten medialen Strategie die europäischen Museen unter Druck setzte, die allerdings zu einer geschlossenen Abwehrhaltung der Museumsvertreter führte (98-127).
"Lost Heritage" hieß eine Tagung, die im Mai 1981 im Africa Centre in London stattfand. Nach Savoy markiert die Tagung "eine entscheidende Wende in der britischen - und damit weltweiten - Restitutionsdebatte" (158), weil sich mehr Vertreter der "Diasporen" aktiv in die Debatte einmischten und die Leitung des British Museum den Schulterschluss zu gleichgesinnten Kollegen auf dem Kontinent suchte.
Für das Kapitel "1984 Open End" hat Savoy die Talkshow "Haltet den Dieb. Kunstschätze aus der Dritten Welt - Raubgut, Leihgabe oder Eigentum? " zusammengefasst, die am 18. Dezember 1984 im ZDF ausgestrahlt worden war. Die Sendung wurde im Bremer Übersee-Museum aufgezeichnet, dessen Direktor Ganslmayr ebenso wie sein Stuttgarter Rivale Kußmaul und andere Museumsvertreter an der Diskussion teilnahmen (184-189 mit Taf. 14). Savoy betont die "seltene Synthese fast aller in den 70er und 80er-Jahren artikulierten Positionen" (185), resümiert dann aber für die Jahrzehnte danach: "Der Bleimantel des Schweigens wurde über die europäischen Museen gebreitet, und das Vergessen ihrer kolonialen Vergangenheit begann." (189)
Im Epilog versucht Savoy, die von ihr geschilderten Ereignisse und Diskussionen für die aktuelle Debatte fruchtbar zu machen. Ihr erster Punkt besteht darin, dass "die Männer, die sich in Europa nach 1960 gegen Restitutionsgesuche aus ehemals kolonisierten Ländern stemmten [...] den nachfolgenden Generationen eine gigantische kulturelle Schuld hinterlassen" hätten (195). Ihr Fazit: "Wir müssen es jetzt tun und dürfen die Verantwortung nicht selbst auf unsere Kinder und Kindeskinder abschieben" - gemeint ist eine "ebenso zügige wie besonnene Restitution der Objekte, die im Unrechtskontext kolonialer Okkupation zu uns nach Europa gekommen sind". (196) Salopp feuilletonistisch ist ihre grundsätzliche Aussage "Auch Museen lügen". Museumsverwaltungen der 70er und 80er-Jahre hätten gewusst, dass "die weit überwiegende Mehrheit der afrikanischen Objekte in ihren Sammlungen einen kolonialzeitlichen Ursprung hatte". Natürlich wussten sie das, und die Angabe des kolonialzeitlichen Ursprungs eines Objekts enthält für sich allein keinen belastbaren Hinweis auf einen sogenannten Unrechtskontext. Unsachlich und durch keine Belege untermauert sind die Unterstellungen gegenüber den Museen, speziell den Berliner Museen, sie würden bis heute die Unwahrheit sagen und Erkenntnisse von Mitarbeitern würden "nicht selten von ihren Vorgesetzten unter den Tisch gekehrt". (198f.) Schon zuvor hatte die Autorin polemisch und ebenfalls ohne Belege behauptet, es gäbe an den Museen eine "bis heute praktizierte Kultur des Maulkorbs". (43) Die Kernthese des Buches, wonach gezielte behördliche Aktivitäten ein kollektives Vergessen der Restitutionsdebatte der 1970er und 1980er-Jahre verursacht hätten, ist völlig realitätsfremd. Tatsächlich waren die zahlreichen Publikationen, die verdienstvoll im Anhang aufgelistet sind, nicht aus den Bibliotheken verschwunden, sondern sie wurden weiter diskutiert. Nur ein Beispiel: 1989 erschien die Publikation "The Return of Cultural Treasures" von Jeanette Greenfield. Diese Sammlung von Fallbeispielen war so erfolgreich, dass sie 2007 in der dritten Auflage erschien. [1]
Auffällig ist der Versuch, deutsche Museumsvertreter fachlich und persönlich zu diskreditieren, indem Savoy ihnen mangelnde Auslandserfahrung vorwirft und fachliche Zuständigkeit abspricht (55-57, 112f., 134f.). Es berührt schon etwas merkwürdig, wenn eine Kunsthistorikerin ohne Museumserfahrung, die selbst weder eine ausgewiesene Fachfrau für afrikanische Geschichte und Kunst oder Wissenschaftsgeschichte ist, sich aber in Publikationen, Gutachten und in den Medien ständig zu diesen Themen äußert, anderen Wissenschaftlern vorhält, sie seien für Stellungnahmen fachlich nicht richtig aufgestellt gewesen.
An mehreren Stellen des Buches werden Personen und die Institution der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Verbindung mit der NS-Ideologie gebracht (31-35, 112, 135, 197). Man fragt sich, was die Autorin damit bezwecken möchte, denn dass nach 1945 in West-und Ostdeutschland Amtsträger auch im Kulturbereich zuvor Mitglieder in NS-Organisationen waren, kann inzwischen als wissenschaftlich gut aufgearbeitet gelten. Belege für rassistische Einstellungen der betreffenden Personen bleibt sie ebenso schuldig wie für ihre in den Raum gestellte Frage, ob die Haltung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bis in die 1970er-Jahre mit dem rassistischen Gedankengut der NS-Zeit in Verbindung gebracht werden könne (35). Der Autorin ist vorzuwerfen, dass sie diesbezüglich grundlegende methodische Ansprüche an wissenschaftlich untermauertes Vorgehen nicht erfüllen kann und sich stattdessen von persönlichen Ressentiments leiten lässt. Man fühlt sich an das Interview von Savoy aus dem Jahr 2017 erinnert, als sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Expertenbeirat des Projekts Humboldt-Forum in der Süddeutschen Zeitung vom 20. Juli 2017 kundtat, das Humboldt-Forum sei "wie Tschernobyl". Abschließend lässt sich festhalten: Das Buch ist archivalisch gut recherchiert und eingängig erzählt. Sein Manko ist die Einseitigkeit und emotionale Befangenheit der Autorin, die es bestenfalls zu einer Streitschrift machen.
Anmerkung:
[1] Jeanette Greenfield: The return of cultural treasures (Cambridge 1989; inzwischen 3. Auflage 2007). Man vgl. auch Benno Nietzel: Kulturgutschutz in Europa seit dem 19. Jahrhundert zwischen Verrechtlichung und Kolonialpraxis. Historische Bemerkungen zur aktuellen Debatte, in: Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit, hgg. von Thomas Sandkühler / Angelika Epple / Jürgen Zimmerer, Wien / Köln / Weimar 2021, 147-162.
Harald Schulze